ENGLAND Geruch von Rubel
Unsere einst so große Partei ist zur Marionette von Extremisten geworden«, klagte Frank Tomney -- in der »Times«. »Die Radikalen wollen die Reste der Marktwirtschaft zerstören«, sagte auch Alan Williams in der »Times«. »Alan Willianis will der Partei Denkkontrollen aufzwingen«, ereiferte sich Nick Bradley -- in der »Times«.
Das war zuviel für Eric Heffer, und der schrieb das böse Wort »Hexenjagd« in der »Times«.
Bemerkenswert an dem Gedankenaustausch: Alle zitierten Herren sind Mitglieder der Labour-Partei, drei von ihnen Unterhausabgeordnete. Doch die Genossen reden nicht mehr miteinander, sie fallen nur noch übereinander her, besonders gern in der Zeitung.
Das ist an sich nichts Neues für die traditionell zerstrittene Arbeiterpartei, deren Mitglieder sich etwas darauf zugute halten, miteinander umzuspringen wie andernorts nicht einmal Opposition und Regierung. Doch der gegenwärtige Grabenkampf zwischen rechts und links trägt Sprengstoff in sich, der zur Spaltung der Partei führen kann.
Ausgelöst wurde die neuerliche Debatte durch die Ernennung des Trotzkisten Andy Bevan zum Jugendobmann der Partei, der erste Trotzkist, der offizielles Labour-Mandat trägt.
Bevan ist als Mitherausgeber der Wochenzeitschrift »Militant« (zwölf Seiten, 4500 Exemplare) Wortführer eines trotzkistischen Grüppchens in der Partei, die den politischen Streik als die natürliche Waffe der Arbeiterklasse zur Überwindung der »kapitalistischen Gesellschaftsordnung« fordert.
Genau dafür sehen Bevan und seine Gefolgsleute jetzt eine Chance, weil sich der »britische Kapitalismus in einer Krise« befinde, von der er sich »nur auf Kosten der Arbeiterklasse erholen kann«.
Bevan hat sich außerdem im Fernsehen für den bedingungslosen Abzug der britischen Truppen aus Nordirland (und damit für die Preisgabe der noch zu Großbritannien gehörenden Provinz) ausgesprochen und tritt für die möglichst entschädigungslose Verstaatlichung sämtlicher Großbetriebe im Vereinigten Königreich ein.
Kein Wunder, daß sich Premier Jim Callaghan in einem Brief an den Parteivorstand dafür aussprach, die Ernennung Bevans rückgängig zu machen -- ohne Erfolg: Mit 15 zu 12 Stimmen setzte sich die Führungsmannschaft der Partei gegen den Premier durch.
Bevan beantwortete den Angriff gegen ihn, indem er als Mitglied des Londoner Labour-Ortsverbands Newham Nordost die Wiederaufstellung des noch amtierenden rechten Abgeordneten Reg Prentice als Labour-Kandidat für die nächsten Unterhauswahlen zu verhindern half. Er gilt auch als einer der Drahtzieher hinter einer Kampagne, die mit Unterwanderungstaktiken den Abschuß von zwölf weiteren rechten« Abgeordneten durch die Parteibasis betreibt.
Nicht nur Premier Callaghan wehrt sich gegen Bevan, sondern sogar die Gewerkschaft Nulo (National Union of Labour Organizers), der alle hauptamtlichen Geschäftsführer der Partei angehören. Anders als Callaghan hat Nulo den Kampf gegen den »trotzkistischen Eindringling«, so Nulo-Generalsekretär Arthur Clare, noch nicht aufgegeben. Der Exekutiv-Ausschuß der Gewerkschaft beschloß einstimmig, mit Bevan nicht zusammenzuarbeiten.
Und Reg Underhill, der Geschäftsführer der Partei, hat dem Parteivorstand einen vertraulichen Untersuchungsbericht über parteifeindliche Umtriebe innerhalb der Labour-Partei vorgelegt, in dem er zu dem Schluß kam, daß »es eine um die Zeitung »Militant, gruppierte Organisation gibt, die eigene Mitgliedschaften und eigene Organisatoren besitzt« -- beides satzungswidrig nach dem Parteistatut.
Doch der Parteivorstand scheute die Auseinandersetzung mit den Rebellen -- verständlich: Denn drei Mitglieder des Vorstands, der so entschied (Nick Bradley, Joan Maynard und Eric Heffer), sind »official sponsors«, wenig weniger als Mitherausgeber von »Militant«.
So fügt sich denn die Sage von den »Trotzki-Konspiratoren« ("The Observer"), »den Roten unterm Bett« ("Financial Times") zusammen. Ein willkommenes Spektakel für die konservative Opposition, die mit Geschick und Trick vorzeitige Wahlen erzwingen möchte: Der konservative Abgeordnete lan Sproat (seither »deep Sproat« in der Presse) beschuldigte zehn Labour-Parlamentarier, »Kommunisten, Trotzkisten und Geheimagenten für fremde Glaubensbekenntnisse« zu sein.
Dies freilich ist in England ein ernster Vorwurf selbst für jene Strategen in der Labour-Partei, die zwar für mehr Marxismus in ihrer Partei eintreten, aber wissen, daß sie bei den Wählern nicht in den Geruch kommen dürfen, in Rubel bezahlt zu werden.
Da jammerte die »Times": »Wenn wir doch nur die SPD hätten.«