BILDUNG / TECHNIKER Geschäft mit dem Nachwuchs
Wie aus dem Mangel der bundesdeutschen Industrie an Technikern und der Tatsache, daß jedermann Lehrinstitute eröffnen darf, mühelos Kapital geschlagen werden kann, und zwar rund eine halbe Million Mark pro Jahr, ist einem vertraulichen Bericht zu entnehmen, der zur Zeit in der Abteilung U IV - Berufs- und Fachschulen - des baden-württembergischen Kultusministeriums geprüft wird.
Verfasser der vierseitigen, fast kommentarlos referierenden, aber dennoch eindringlichen Darstellung ist der Oberregierungsrat Hagmayer vom Oberschulamt in Freiburg. Er hatte im Februar zusammen mit dem Leiter der Lörracher Gewerbeschule, dem Oberstudiendirektor Stricker, das »Technische Lehrinstitut« ("Akademie für angewandte Technik") zu Weil am Rhein, nahe Lörrach, inspiziert.
Die Inspektion' war freilich als harmloser Besuch deklariert, denn das Lehrinstitut untersteht weder dem Kultusministerium noch einer anderen Behörde: Es ist die private Gründung und Verdienstquelle des Elektromeisters Werner Höferlin, 27, den der Bedarf an Technikern zu einem der reichsten Bewohner des Städtchens Weil gemacht hat.
Der ehemalige Gewerbeschüler Höferlin, vor vier Jahren zum Elektromeister avanciert, schleust in einem Semester - das sechs Monate dauert - rund 600 angehende Techniker durch sein Institut und ist seit einiger Zeit genötigt, Aufnahmegesuche wegen Überfüllung abzulehnen.
Höferlin, der sein Alter auf 29 Jahre beziffert, wiewohl sein Geburtstag in den Akten des Kultusministeriums mit »7.12. 1931« vermerkt ist, besuchte vor einigen Jahren ein privates technisches Lehrinstitut in Stockach (Baden), dessen Betrieb ihm so imponierte, daß er eine Imitation in Weil gründete, die freilich inzwischen das Vorbild weit überflügelt hat. Da Höferlin keinen Wert auf staatliche Zuschüsse legt, bedurfte er zur Gründung seines Instituts auch keiner staatlichen Genehmigung; er mußte sein Vorhaben lediglich der Schulaufsichtsbehörde melden.
Der starke Zulauf zum Institut des Werner Höferlin fand das Interesse des Oberstudiendirektors Stricker, der - als Höferlin die Lörracher Gewerbeschule besuchte - von der erzieherischen und ökonomischen Begabung seines Zöglings nichts gemerkt hatte. Weil in Stricker zudem Zweifel an der Qualifikation des Lehrpersonals in Höferlins Institut aufgestiegen waren, veranlaßte er das Oberschulamt zu einer Inspektion.
Stricker hatte nämlich ermittelt, daß die Ausbildung der Höferlin - Lehrkräfte zum Teil unzulänglich, ihre Zahl zu gering, die Ausbildung der angehenden Techniker ungenügend und die Unterbringung miserabel seien. Zudem dünkte ihn der Besuch des Instituts unmäßig teuer.
In der Tat bestätigt der Inspektionsbericht des Oberregierungsrats Hagmayer, daß in Höferlins Lehrinstitut Techniker gewissermaßen wie billige Konsumware am Fließband produziert werden.
Hagmayers Bericht führt zuerst die Lehrkräfte auf, die es jeweils 600 Schülern der Höferlin-Anstalt ermöglichen, nach sechs Monaten Weil mit einem Diplom in der Tasche zu verlassen, das seinen Besitzer als geprüften Techniker ausweist. Vor allem stieß sich Berichterstatter Hagmayer daran, daß fast 600 Schüler von nur zwölf statt von wenigstens 28 bis 30 Lehrkräften unterrichtet werden, und ihm fiel auch unangenehm auf, daß nur wenige Akademiker dem Lehrkörper angehören.
Die vier »Dozenten« Höferlins sind
- ein Ingenieurschuldozent a.D. namens
Jeschke, der aus der Sowjetzone kam,
- der Diplomingenieur Trendelenburg, der sich im Telephonbuch als Fachmann für Ortsplanung und Architektur bezeichnet,
- ein Ingenieur Müller und
- ein Ingenieur Stots, dessen fachliche
und pädagogische Qualifikation von einem Semester »Studium« am Institut zu Weil abgeleitet wird.
Die Schar der drei »Gastdozenten« wird von dem Oberreichsbahnrat a.D. Dr.-Ing. Hinsken angeführt, der - jetzt 48 Jahre alt - seit 1950 wegen »dauernder Dienstunfähigkeit« sein Ruhegehalt von der Bundesbahn bezieht und seine Verhältnisse durch Lehrtätigkeit erheblich verbessern kann. Die beiden anderen Gastdozenten sind der Statiker von Wichdorf sowie der 71jährige Oberstudiendirektor i.R. Dr. Keller, der früher die Lörracher Gewerbeschule leitete.
Mag auch den Dozenten und Gastdozenten - Stots vielleicht ausgenommen - die Fähigkeit, technisches Wissen zu vermitteln, nicht zu bestreiten sein, so konnte der Oberregierungsrat Hagmayer doch bei der Durchleuchtung der fünf »Assistenten« ein gewisses Erstaunen nicht verbergen.
Alle fünf haben das Institut absolviert, an dem sie jetzt geachtete Lehrer sind. »Leiter der Übungen in Mechanik und Mathematik« ist der Maschinenschlosser Bannick, 23, »Lehrer für konstruktives Zeichnen« der technische Zeichner Rommel, 25, »Leiter der Übungen in Elektrotechnik« der Elektriker Künzig, 21, »Leiter der Übungen in Mechanik« der Maschinenschlosser Wagner, 23, und »Leiter der Übungen in Mathematik« der Assistent Priedigkeit, 23.
Die Unterrichtsräume des Weiler Lehrinstituts nennt der Bericht des Oberschulamtes »überfüllt und unhygienisch«, was nicht weiter verwunderlich ist: Der Behelfsbau, in dem sich Höferlin etabliert hat, enthält drei Lehrsäle für 160, zwei für je 70 Schüler. 280 angehende Techniker werden im Gemeindesaal der Pax-Christi -Kirche im benachbarten Friedlingen unterrichtet, 120 weitere im Saal des Gasthauses »Ochsen« zu Alt-Weil.
In drei Institutsräumen, im Wirtshaus - und im Betsaal werden im Februar und August jeden Jahres 500 bis 600 Schüler geprüft. Mißbilligend stellt der Hagmeyer -Bericht fest, daß zum Beispiel die beiden Klassen für Elektrotechnik - 160 und 120 Schüler - »meist gemeinsam unterrichtet« würden und daß bei der Februar-Abschlußprüfung dieses Jahres 160 Prüflinge in einem Saal ihre Diplom-Arbeiten geschrieben hätten.
Die Mittel- und Volksschüler des Instituts (Höferlin: »Es sind auch ein paar Abiturienten dabei") können sich wahlweise in Elektrotechnik (Starkstrom, Hochfrequenz, Elektronik), Maschinenbau, Betriebstechnik oder im Baufach (Hochbau und Innenausbau) ausbilden lassen - Fächer, die an staatlichen Schulen beachtliche Anforderungen an die Schüler stellen. Bei Höferlin wird man jedoch nach sechs Monaten Diplomtechniker.
Welche Mängel die Ausbildung von Diplomtechnikern im Zeitraffer-Tempo auch immer haben mag - der Bedarf der Industrie an halbwegs geeignetem Personal für die Bedienung hochtechnisierter Produktionsanlagen und ähnliche Aufgaben ist so groß, daß Höferlins Absolventen keine Sorge zu haben brauchen, etwa später im Beruf nicht zu reüssieren.
Direktor Höferlin, der Wert darauf legt, mit diesem Titel angeredet zu werden, kann in der Tat darauf verweisen, daß er die gesamte südbadische und die grenznahe schweizerische Industrie mit Technikern versorgt hat: »Allein die Firma Brown, Boveri & Cie. in Baden (Schweiz) beschäftigt rund 30 Absolventen meines Instituts.«
Im Hauptkapitel seines Inspektionsberichts beschreibt Oberregierungsrat Hagmeyer, wie sich die - von der örtlichen Industrie- und Handelskammer als rühmenswert anerkannte - Techniker-Produktion für Höferlin selbst auswirkt.
Hagmayer schätzt überschlägig, daß sich Höferlins Ausgaben je Semester auf rund 100 000 Mark, die Einnahmen auf rund 380 000 Mark belaufen, was einen »wirtschaftlichen Erfolg im Semester« von mehr als einer Viertelmillion Mark ergebe. In Wirklichkeit dürfte Höferlins wirtschaftlicher Erfolg noch größer sein, denn Hagmayer hat in seiner Rechnung einerseits Höferlins Ausgaben großzügig nach oben aufgerundet, andererseits nur die Einnahmen aus der Techniker-Ausbildung angeführt; die angehenden Techniker - rund 600 je Semester - haben für ihre Ausbildung 570 Mark und für die Diplomprüfung 60 Mark zu zahlen.
Höferlin betreibt aber außer der Techniker-Ausbildung auch noch Acht-Wochen-Kurse, deren Teilnehmer hinterher »Werkmeister« sein sollen. Dieser Titel ist ebensowenig wie der Titel »Ingenieur« geschützt; jedermann hat das Recht, sich »Werkmeister« zu nennen. Wer sich dieses Recht zusätzlich von Werner Höferlin bestätigen lassen will, muß dafür 250 Mark Lehr- und 60 Mark Prüfungsgebühren zahlen. Auch kann man bei dem tüchtigen Elektromeister einen Hochfrequenz -Lehrgang absolvieren, der sechs Wochen währt und 250 Mark kostet.
Direktor Höferlins neueste Ertragsquelle: Er offeriert seinen ehemaligen Techniker-Absolventen den Titel »Ingenieur«, der nach einem nur sechswöchigen Seminar nebst Prüfung »unter Vorsitz eines Hochschulprofessors« für insgesamt 350 Mark Gebühren zu haben sei. Schreibt Höferlin den »Ehemaligen": »Im Zuge des weiteren Ausbaues unserer Lehranstalt wurde diese im Frühjahr des vergangenen Jahres (1958) in eine Akademie für angewandte Technik umgewandelt... Voraussetzung für die Zulassung zu einem Ingenieurseminar ist eine bestandene Technikerprüfung« - wobei Höferlin an sein Institut denkt - »und eine anschließende zweijährige Berufspraxis.«
Das Unterrichtsmaterial, an dem die angehenden Techniker, Werkmeister, Hochfrequenz-Spezialisten und Ingenieure ausgebildet werden, wird im Hagmayer -Bericht äußerst skeptisch beurteilt: Der Wert der wenigen Lehrgeräte für Elektrotechnik ist mit 2500 Mark veranschlagt, im übrigen fanden die beiden Besucher nur noch »Zeichenvorlagen« (für das Fach Maschinenbau) und »Firmengeschenke« vor.
Höferlin selbst versichert jedoch, sein Institut verfüge über »Laborgeräte« für 40 000 Mark. Auch in anderen Punkten gehen die Ansichten Höferlins und die der Inspekteure auseinander. Während der jugendliche Direktor gern von der Begeisterung, der Treue und dem beruflichen Aufstieg seiner Schüler erzählt, behauptet der Oberstudiendirektor Stricker: »Ich kann mich der Beschwerden von Studierenden des Instituts wegen der Ausbildung und so weiter kaum erwehren.« Auch bemühten sich zwei der Höferlin-Dozenten intensiv, vom Weiler Institut an die Lörracher Gewerbeschule überzuwechseln, was mangels Vorbildung und wegen des Alters mißlang.
Offenbar wollten die Dozenten nicht länger unter einem 27jährigen Direktor dienen,
dem die Kunst der freien Rede versagt geblieben ist und der bei der Prämiierung der »vier Besten« im Februar 1959 auf das unwillige Räuspern seiner Schüler hin erklärte: »Angesichts der großen Zahl der Prüflinge ist es nicht möglich gewesen, die Ergebnisse genau auszuwerten. Es war nicht genau festzustellen, ob die Ausgezeichneten auch wirklich die Besten sind.«
Höhnisch vermerkt Gewerbeschul-Direktor Stricker, das sei freilich nicht möglich gewesen, denn die Prüfungen einiger Hundert Jung-Techniker hätten montags begonnen, und am Ende derselben Woche seien bereits die Abschlußzeugnisse und Diplome ausgeteilt worden. Stricker: »Wo bleibt die Zeit der Auswertung?«
So kritisch Stricker Höferlins Lehrbetrieb beurteilt, so wohlgesonnen ist dagegen die Stadtverwaltung von Weil dem unternehmungslustigen Steuerzahler Höferlin. Es kommt Höferlin auch zustatten, daß sein Dozent Keller, Oberstudiendirektor im Ruhestand, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Stadtrat zu Weil ist. Nicht minder günstig wirkt sich aus, daß der Inhaber des führenden Bürofachgeschäfts von Weil, Resin - dem Höferlin jährlich 1200 potentielle Käufer zuführt -, der Stadtratsfraktion der Unabhängigen vorsitzt und außerdem der FDP-Fraktion des Kreistags von Lörrach angehört.
Trotzdem ist der Oberstudiendirektor Stricker entschlossen, den Kampf gegen das seiner Ansicht nach unreelle und fachlich unqualifizierte Höferlin-Unternehmen fortzusetzen. Er erwirkte beim Kultusministerium die Genehmigung, an seiner mit qualifizierten Lehrkräften und Lehrmaterial reich versehenen Lörracher Gewerbeschule Techniker-Lehrgänge einzurichten.
Die staatlichen Lehrgänge dauern doppelt so lange wie ein Semester bei Höferlin, nämlich ein Jahr, und die Schülerzahl beträgt nur maximal 25 je Klasse. Strikker: »In Weil wird doziert, bei uns gelernt. Der Wissensstoff ist so umfangreich, daß der Unterricht ohne Rücksicht auf die Rentabilität der Lehrgänge individuell sein muß.«
Zum Ärger Höferlins berichtete unlängst das Lörracher »Oberbadische Volksblatt«, es sei vorgesehen, die Techniker-Lehrgänge »alsbald nach Weil zu verlegen, sobald geeignete Unterrichtsräume zur Verfügung stehen«. Meint Höferlin: »Die wollen sich den guten Namen meines Instituts zunutze machen, und wenn ein Techniker dann sagt, 'Ich komme aus Weil', weiß niemand, ob er wirklich bei mir war oder bei der staatlichen Technikerschule.«
Auch argwöhnt Höferlin, der Staat wolle sein Institut »übernehmen«, womit er recht haben könnte. Das Kultusministerium in Stuttgart will aufgrund des Hagmayer-Berichts untersuchen, ob nicht das »Technische Lehrinstitut« als »Ersatzschule« im Sinne des baden-württembergischen Privatschulgesetzes von 1956 anzuerkennen sei.
Um diese Anerkennung raufen sich zwar viele Institute und Schulen, weil sie unter Umständen mit staatlichen Dotationen verbunden ist (110 Mark je Schüler jährlich), doch ist gerade Höferlin an der »Anerkennung« gar nichts gelegen, weil er dann der Aufsicht des Kultusministeriums unterstellt wäre. Dazu Regierungsrat Poeppel von der Abteilung U IV in Stuttgart: »Wenn es eine freie Unterrichts-Einrichtung ist, können wir nichts machen. Aber wenn es eine Ersatzschule wird, dann haben wir die Hand darauf.«
Ob das Ministerium die Hand auf Höferlins Unternehmen legen kann, hängt davon ab, ob eine Anerkennung als Ersatzschule auch ohne Antrag, ja gegen den Willen des Schulbesitzers rechtlich möglich ist. Sollte das nicht zu bewerkstelligen sein, will das Kultusministerium auf andere Wege sinnen, um Höferlins Institut unter seine Fuchtel zu bekommen.
Doch Werner Höferlin will sich wehren. Zunächst beschwerte er sich bei Kultusminister Gerhard Storz schriftlich über den unberechtigten und aufdringlichen Besuch der Herren Stricker und Hagmayer; sodann verwahrte er sich gegen jegliche Absicht, seine Schöpfung dem Staat zu unterstellen. Wenn Privatschulen verstaatlicht würden, so empörte sich Höferlin, dann seien das sowjetzonale Verhältnisse - wogegen sich wiederum Minister Storz energisch verwahrte.
Aber selbst dann, wenn der Staat die Oberhand gewinnen und Höferlins Institut schlucken sollte, braucht Höferlin um seine Zukunft nicht besorgt zu sein: Er nennt in Weil ein gutgehendes Elektro -Fachgeschäft sein eigen, das er wegen seiner Tätigkeit als Instituts-Direktor durch zwei Angestellte betreiben läßt.
Diplom-Lieferant Höferlin: 600 je Semester