ENTWICKLUNGSHILFE Geschäft mit dem Wetter
Vor den Menschen sterben die Kühe. Nach drei Jahren Trockenzeit gibt es in Kajiado, im Süden Kenias, nichts mehr für die großen Rinderherden der Massai-Nomaden zu fressen. Regierungslastwagen sammeln die Kadaver ein, damit das spärliche Grundwasser in den wenigen unversiegten Brunnen nicht verseucht wird.
Seit Monaten schlagen Hilfsorganisationen Alarm: Wegen der gnadenlosen Dürre in Ostafrika - der schlimmsten in den vergangenen zehn Jahren - sollen über sechs Millionen Kenianer, Äthiopier und Somalier vom Hungertod bedroht sein. Die nächste humanitäre Katastrophe stehe der Weltgemeinschaft bevor, abwendbar nur durch schnelle Finanzhilfen. »Wir wollen nicht, dass Kenia ein zweites Niger wird, wo 2005 die Spenden erst richtig flossen, als die Menschen zu sterben begannen«, sagt Peter Smerdon, Sprecher des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP).
Die Spender sind allerdings müde geworden, die Hilfsorganisationen, die nach jeder Katastrophe routiniert Millionen einsammeln, können nur noch unzureichend Geld auftreiben - womöglich, weil allein Horrorbilder für jene Anteilnahme sorgen, die sich auch monetär niederschlägt.
Das könnte sich nun aber ändern. Geht es nach den Experten des Welternährungsprogramms und der Weltbank, sollen Spenden bei Naturkatastrophen künftig nicht mehr von der Tagesform mitfühlender Privatspender oder großzügiger Entwicklungshilfeminister abhängen, sondern von Verträgen mit internationalen Finanzkonzernen: Teilkasko für die Dritte Welt.
Das Risiko, an Unterernährung zu sterben, weil monatelang kein Regen fällt, soll in den kommenden Jahren über die Kapitalmärkte abgesichert werden, so sieht es der marktwirtschaftlich orientierte Plan vor: Prophylaxe anstatt Erster Hilfe, komplexe Finanzinstrumente statt Almosen aus Mitleid.
Was das bedeutet, lässt sich am Beispiel Äthiopien absehen. Anfang März gab das WFP bekannt, dass mit der französischen Rückversicherung Axa Re der »weltweit erste Versicherungsvertrag für humanitäre Notfälle« abgeschlossen worden sei. Für die stolze Prämie von 772 000 Euro, welche die Uno-Organisation aus Spenden aufbringt, garantiert Axa Re eine Deckungssumme von bis zu 5,8 Millionen Euro. Das ist der Maximalbetrag, der die erwarteten Ernteausfälle der äthiopischen Bauern teilweise ausgleichen soll. Er fließt nur bei umfassender Dürre.
Zwischen März und Oktober messen 26 Wetterstationen die Niederschläge in Äthiopien. Daraus berechnen die Versicherungsmathematiker mit Hilfe einer Formel einen Index: Je weiter dieser Wert unter dem vertraglichen Limit liegt, desto größer ist die Auszahlung. Sollte es jedoch reichlich regnen, muss die Axa Re für nichts aufkommen und macht Profit.
Das sind gute Aussichten für die Hochfinanz, und deshalb will im Geschäft mit den Hungerpolicen jeder dabei sein. »Die Übertragung des Dürrerisikos auf internationale Finanziers ist aus Sicht der Versicherungsgesellschaften sinnvoll, weil sie damit ihr Portfolio erweitern können«, sagt Robert Shiller, Professor für Finanzwirtschaft in Yale. Die beiden Weltmarktführer, Münchener Rück und Swiss Re, hatten im Fall Äthiopien allerdings das Nachsehen.
»Eine mutige Innovation für einen hoffnungslosen Fall«, umschreibt ein hoher Beamter eines europäischen Landes nicht ohne Ironie den Äthiopien-Vertrag mit Axa Re. Tatsächlich hängt das bitterarme Land schon seit Jahrzehnten am Tropf der Hilfsorganisationen. Wirkliche Erfolge blieben bislang aus.
So scheint den Verantwortlichen jedes neue Wundermittel recht, um vom eigenen Versagen abzulenken. »Großartig, sehr vielversprechend«, schwärmt Äthiopiens Staatsminister für Landwirtschaft, Abera Deressa, und träumt bereits davon, nicht nur den Hunger in seinem Land zu minimieren, sondern eines Tages wieder äthiopisches Getreide zu exportieren.
Dass Unterernährung und Hunger in Ostafrika allerdings nur teilweise auf Dürren, vor allem aber auf Misswirtschaft und Korruption zurückzuführen sind, ist schwer zu übersehen. »Gegen menschengemachten Hunger können wir uns nicht versichern lassen«, sagt WFP-Mitarbeiter Ulrich Hess, »gegen das Wetter schon.«
Auch er glaubt, dass künftig die Kapitalmärkte das Risiko einer Hungerkatastrophe mindern können. »Wenn wir eine so große Dürre wie 1984 bekommen«, fragt sich der Ökonom, »können die Geberländer dann überhaupt rechtzeitig reagieren?« Bei einer Versicherung dagegen wäre den Bauern ein schneller Geldsegen garantiert.
»Unvoreingenommen prüfen« will das Berliner Entwicklungshilfeministerium die Versicherungsidee. »Richtig ist, was wirksam hilft«, sagt ein Sprecher des Hauses ausweichend. Manche Probleme müssten bereits im Vorfeld geklärt werden: Es wäre doch »zumindest fragwürdig, wenn mit deutschen Steuermitteln private Gewinne in der Versicherungswirtschaft finanziert werden, die nicht den notleidenden Menschen zugutekommen«. Zudem könne der Abschluss einer Police dazu führen, dass die Vorsorge der Menschen gegen Hungersnöte nachlasse.
Die Äthiopien-Police ist eine Weltpremiere, nie zuvor wurde der Bauernstand einer ganzen Nation versichert. Doch der Gedanke einer Wetterpolice für Produzenten in der Dritten Welt entstand bereits Ende der neunziger Jahre. Mit Fördergeldern der Europäischen Union und der Schweiz begannen die Weltbankexperten über Modelle nachzudenken, mit denen sich die Absicherung des Ernterisikos auf die internationalen Kapitalmärkte verlagern lässt.
In Indien zum Beispiel verkauften Gesellschaften wie Icici Lombard in den vergangenen drei Jahren über 140 000 zum Teil subventionierte Versicherungsverträge - und zwar direkt an die Bauern, die sich damit im Voraus gegen das Ausbleiben des Monsunregens schützen. Die Rückversicherung der Wetterspekulationen übernehmen Kapitalmarktgiganten wie etwa Swiss Re.
»Diese Policen sind aus der Diskussion um Mikrodarlehen entstanden«, sagt Hans-Peter Egler vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft. Mit der Förderung lokal verankerter Minikreditbanken setzen nicht nur eidgenössische Entwicklungshelfer auf Eigenverantwortung. Als besonders zuverlässige Schuldner gelten etwa Frauen in Bangladesch, die dank der neuen Finanzierungsmöglichkeiten eigene Betriebe aufbauen konnten.
Den kapitalistischen Versicherungsansatz der Weltbank bekommen seit kurzem auch Bauern in Malawi, Nicaragua und der Ukraine zu spüren. In Peru, der Mongolei und selbst in Äthiopien sollen die Minipolicen noch dieses Jahr auf den Markt kommen.
Überall hängt die Auszahlung vom jeweiligen Wetterindex ab. Erst kürzlich hat die Europäische Union weitere 25 Millionen Euro bereitgestellt, um armen Ländern den Zugang zum internationalen Risikomarkt zu ermöglichen.
Bei der großen Dürre 1984 in Äthiopien hätten die Versicherungskonzerne übrigens zahlen müssen: Damals fielen nur 83 Prozent der ohnehin geringen durchschnittlichen Regenmenge vom Himmel - der niedrigste Wert in 30 Jahren.
BEAT BALZLI, DANIEL STEINVORTH