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ÄGYPTEN Geschenk der Vorsehung

Überschüssiges Wasser aus dem Assuan-Stausee soll Hunderttausende Hektar Wüste urbar machen und Ägyptens Ernteerträge steigern.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Die Baumeister der Pharaonen setzten ihre Zeitgenossen schon vor 4500 Jahren mit Weltwundern in Erstaunen. Nun haben sich die Ingenieure des modernen Herrschers Husni Mubarak vorgenommen, »das Meisterwerk des 20. Jahrhunderts« zu errichten, wie in Kairo die regierungsnahe Tageszeitung alahram frohlockt.

Die großen Worte gelten einem Mammutprojekt, das, falls es gelingt, tatsächlich eine geschichtliche Wende mit sich bringen könnte: Rund 900 Kilometer südlich von Kairo heben Tausende von Fellachen zwei Verbindungskanäle aus, die aus dem 500 Kilometer langen Stausee bei Assuan Nilwasser in die westliche Wüste leiten sollen.

Der Aderlaß des längsten Stroms der Erde war dringend notwendig geworden. Denn der Nil drohte nach ungewöhnlich regenreichen Jahren über die Gefahrenmarke des Staudamms zu treten. Der See schwoll zu kritischer Höhe.

Dennoch ist eine Hochflut die Ausnahme, weshalb die Ägypter seit biblischen Zeiten vor allem die Dürreperioden fürchten, die früher stets Hungersnöte auslösten. Die Assuan-Dämme wurden weniger als Schutzschilde gegen Flutkatastrophen entworfen als zur Schaffung von Rückhaltebecken, in denen sich genug Wasser ansammeln sollte, um in trockenen Jahren eine gleichbleibende Versorgung der Äcker und Haushalte sicherzustellen.

Der Staudamm erfüllte diesen Zweck, trotz ökologischer Bedenken und Klimaveränderungen. Die urbare Fläche, die knapp fünf Prozent des ägyptischen Territoriums von einer Million Quadratkilometern ausmachte, stieg um 20 Prozent. Doch die rasche Bevölkerungszunahme (jährlich 2,2 Prozent) ließ Städte und Dörfer ungezügelt wuchern - auf Kosten der Ackerkrume.

Für die über 60 Millionen Ägypter reicht die landwirtschaftlich nutzbare Fläche schon lange nicht mehr aus. Zwei Drittel der Nahrungsmittel muß das rohstoffarme Land importieren. Mehr Wasser ist gleichbedeutend mit mehr Ackerland und reicherer Ernte - und das Naß kann nur aus dem großen Strom kommen. Die Feststellung des griechischen Historikers Herodot, daß »Ägypten ein Geschenk des Nils« sei, gilt heute noch so wie vor zweieinhalb Jahrtausenden.

Überschüssige Wassermengen, die sonst ungenutzt ins Mittelmeer geflossen wären, werden nun in die von Geologen ausgesuchte Toschka-Senke 50 Kilometer nordwestlich von Abu Simbel umgeleitet. Sie könnten den »Weg in eine bessere Zukunft« weisen, wie das Staatsfernsehen verheißt.

Das Fassungsvermögen des neuen Bek- kens beträgt beachtliche 230 Milliarden Kubikmeter; noch vor Jahresende dürften über 150 Milliarden Kubikmeter dorthin abfließen - dreimal soviel Wasser, wie Ägypten dem lebensspendenden Strom nach den Abmachungen mit den anderen Nilanrainern sonst jährlich entnimmt.

Das »zweite Geschenk der Vorsehung« (Radio Kairo) soll so rasch wie möglich genutzt werden. Seit Monaten haben Agrarexperten und Arbeiterkolonnen die Uferbänke in der Toschka-Senke für die Erstbewässerung vorbereitet. Planierraupen ebnen die künftigen Anbaugebiete ein, Techniker legen Kanäle an. Innerhalb weniger Monate, so hofft Landwirtschaftsminister Jussuf Wali, werden auf 50 000 Hektar Wüstenboden Weizenfelder entstehen.

Und das ist erst der Anfang. Zehn Kilometer östlich des Toschka-Durchstichs baggern Bulldozer einen zweiten Kanal aus, den »Scheich-Sajid-Kanal«, benannt nach dem Staatspräsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, der Ägyptens Zukunftsprojekt mitfinanziert.

Da entsteht auch Afrikas größte Pumpstation, die nach Fertigstellung pro Sekunde 200 Kubikmeter Nilwasser aus dem Stausee 60 Meter hochpumpen wird. Damit sollen einmal 10 000 Quadratkilometer Boden um die Oasen in der westlichen Wüste ergrünen - ein Kulturlandzuwachs von weiteren 20 Prozent.

Sachverständige behaupten, daß der Grundwasserspiegel durch die dauerhafte Flutung auf jeden Fall steigen wird - selbst dann, wenn der Nil wegen der neuen Ableitungen weniger stark strömen sollte. So könnten mehrere hunderttausend Hektar Wüstenland unter den Pflug gebracht und die trockenen Jahre, die unausweichlich wiederkehren, überstanden werden.

Aber auch die nächste Hochflut kommt bestimmt - wenn nicht Äthiopien, wie schon lange angekündigt, selbst einen Staudamm am Blauen Nil baut und die Wasserzufuhr entscheidend drosselt. Doch ob die Regierung in Addis Abeba es wagt, dieses Projekt zu verwirklichen, ist fraglich.

In der ehemaligen Kaiserhauptstadt erinnert man sich sehr wohl an die Drohung des damaligen ägyptischen Präsidenten Anwar el-Sadat: »Wer mit dem Nilwasser spielt, erklärt uns den Krieg.«

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Kartenausriß Ägypten: Geplante Anbaugebiete, Bewässerungskanäle

im Bau

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Kartenausriß Ägypten: Geplante Anbaugebiete, Bewässerungskanäle

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