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HESSEN-WAHL Geschenk des Himmels

CDU-Analytiker glauben einen Schuldigen für Alfred Dreggers hessische Wahlschlappe ausgemacht zu haben: den Apo-Clown Daniel Cohn-Bendit.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Siegesgewiß hatte Alfred Dregger, vor der Hessen-Wahl, in Annoncen wie auf Anschlagtafeln Mittel- und Zeigefinger zum Victory-Zeichen gespreizt: »Ein Wechsel wirkt Wunder.«

Als dann, am vorletzten Sonntagabend, ausgezählt und der Wechsel wieder einmal ausgeblieben war, erntete der abgeschlagene V-Mann Häme. Holger Börner, der Siegreiche, spottete milde: »Der hat zwei Finger hochgehalten, und die Leute haben Liste zwei gewählt« -- SPD.

Warum, im Ernst, der Union abermals Triumph versagt blieb, obwohl die CDU sich erneut als stärkste Partei im Hessenland erwies, beschäftigte letzte Woche Gewinner wie Verlierer. Den skurrilsten Erklärungsversuch hauen CDU-Analytiker im Bonner Adenauer-Haus parat. »Das hat«, eröffneten sie Reportern, »der Cohn-Bendit uns leider versaut.«

Denn die Frankfurter Anarcho-Clowns um den »roten Dany« hätten mit ihrem burlesken Gastspiel bei den hessischen Grünen die Öko-Bewegung in diesem Bundesland gespalten und diskreditiert -- so daß die Umweltparteien in Hessen (insgesamt 2,0 Prozent) anders als unlängst in Hamburg (4,5 Prozent) und in Niedersachsen (3,9 Prozent) zu schwach blieben, um dazu beitragen zu können, die Freidemokraten unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken.

Daß die Hessen-Liberalen mit 6,6 Prozent noch und wieder einmal davongekommen sind (und damit als Partner der SPD Dregger um die Ministerpräsidentschaft bringen konnten), hat freilich zuvörderst andere als grüne Gründe: Gerettet wurden die Freidemokraten durch Stütz-Stimmen von Wählern, die früher für die SPD votiert hatten.

Zwar wies FDP-Landeschef Ekkehard Gries sogleich nach der Wahl die Version zurück, seine Partei sei vor allem »aus Mitleid gewählt« worden, und er hält auch »nichts davon, wenn man von Leih-Stimmen spricht«.

Wählerstrom-Analysen des Bad Godesberger Infas-Instituts jedoch dokumentieren, daß die Liberalen kaum wieder in den Landtag geraten wären, wenn sie nicht aus dem Wähleraustausch mit der SPD per Saldo 18 600 Stimmen gewonnen hätten (siehe Schaubild)*.

Denn allein an die Grünen hatte die FDP rund 6000 Wähler verloren -- mehr als jede andere Partei. Und der Unionsrechte »Django« Dregger hatte mit seiner Strategie, diesmal »als Wall im liberalen Schafspelz« ("Frankfurter Allgemeine") aufzutreten, den Freidemokraten unter dem Strich sogar mehr als 26 000 Stimmen abgenommen -- Verluste, die nur durch Zuwachs von links halbwegs ausgeglichen werden konnten.

Um solche Unterstützung hatte die Hessen-FDP in den letzten Wochen vor der Wahl unverhohlen gebuhlt. In einer FDP-Wahlzeitung etwa stand fett auf Seite 1: »SPD: Börner hat schon genug Stimmen« -- was suggerieren sollte. dieser Meinung seien auch die Sozialdemokraten. FDP-Chef Gries kennt »Leute, die sind Mitglied der SPD und haben diesmal uns gewählt. Das sind eigentlich die Wähler, die politisch nachgedacht haben«.

Wenn nämlich, kommentiert der christdemokratische Kieler Wahlforscher Professor Werner Kaltefleiter das Hessen-Resultat, »die Existenz der FDP zur Diskussion steht, kann die Partei mit Wählergruppen rechnen, die normalerweise nicht FDP wählen, aber die grundsätzlich die Existenz der Freien Demokraten befürworten

Warum die SPD trotz starker Stimmen-Hilfe für die FDP noch 1,1 Prozent-Punkte zulegen konnte, ist für die Wahlforscher offensichtlich. Deutlich mehr als die Christdemokraten profitierten die Sozis von einer Gruppe von Wahlberechtigten, die bei Analysen

* Die methodisch nur schwer zu erfassenden Wählerströmungen versucht Infas mit einer sogenannten Nachfrage zu ergründen: vor repräsentativ ausgewählten Wahllokalen werden Wähler nach jetziger und früherer Stimmabgabe, Alter und Beruf befragt; die anonymisierten Ergebnisse werden dann mit einem »Simulalionsmodell« kombiniert, das auf Computer-Daten über Bevölkerungsstruktur und bisheriges Wahlverhalten beruht. Mit den auf diese weise ermittelten Annäherungswerten werden Wanderungsbilanzen errechnet.

häufig unbeachtet bleibt: von der Partei der Nichtwähler.

Denn mit derselben Energie, mit der Dregger diesmal seine Anhänger an die Urnen trieb, motivierte er vor der »heimlichen Bundestagswahl« (IG Metall) auch seine Gegner: Dank der Rekordwahlbeteiligung von 87,9 Prozent gewann die SPD mit dem honorigen Holger Börner aus dem Lager der 1974er Nichtwähler -- von denen sich viele damaliger SPD-Skandale wegen enthalten hatten -- rund 78 000 Stimmen; die CDU verdankt diesem Reservoir indes nur gut 58 000 Kreuzehen.

Infas geht davon aus, die Union habe nun »fast alle Reserven« ausgeschöpft; wahrscheinlich habe sie »das Ende ihrer Fahnenstange« erreicht, schreibt die »Frankfurter Neue Presse«. Denn selbst bei der dramatischen Bonner »Freiheit oder Sozialismus«-Wahl vor zwei Jahren hatte die CDU landesweit nur 18 550 Wähler mehr als heuer mobilisieren können; die SPD hingegen trennen 110 994 Stimmen von ihrem letzten Bundestagswahlergebnis

eine stille Reserve, die ein weiterhin erfolgreicher Börner nutzen könnte, Erschöpft scheinen die Chancen der Christenunion in ihren alten wie in ihren neuen Hochburgen: In stark katholischen Regionen büßte sie mit 2,1 Punkten überdurchschnittlich viel ein. Und in Frankfurt, wo sie gerade im vergangenen Jahr das traditionell rote Rathaus besetzt hatte, gingen ihr nun zwei von sieben Direktmandaten verloren.

In Lahn. der von den Sozialliberalen zusammengebrauten Retortenstadt, gewann die CDU zwar gegenüber der letzten Landtagswahl 2,4 Punkte; sie kam aber an die absolute Mehrheit, die sie dort letztes Jahr bei der Kommunalwahl eroberte, nicht mehr heran. Selbst in Lahn vermochten die Sozialdemokraten gegenüber 1974 immerhin 0,4 Prozent-Punkte zuzulegen.

Bedrohlicher noch als die Stagnation in den Städten muß der Dregger-Partei das Stimmverhalten der Erstwähler erscheinen: Hatten die Christdemokraten noch unlängst eine rechte »Tendenzwende« bei den Jüngsten beschworen. verloren sie nun ausgerechnet in dieser Wählergruppe »überproportional viel Terrain«; Börners SPD hingegen erreichte bei den 18- bis 20jährigen, so Infas, »eine gute absolute Mehrheit«.

Derlei Trends stimmten sozialdemokratische Wahlstrategen letzte Woche so optimistisch, daß sie das Ergebnis der Bayern-Wahl gar nicht abwarten zu müssen glaubten, ehe sie eine Langzeit-Prognose verkündeten: Die Hessen-Wahl, frohlockte der sozialdemokratische Pressedienst »ppp«, sei für die SPD ein »Geschenk des Himmels« gewesen, das »Zinsen bis in die achtziger Jahre bringen kann«.

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