INDIEN / DDR-DIPLOMATIE Geschenk erbeten
Der stellvertretende DDR-Ministerratsvorsitzende Max Sefrin pilgerte an den Einäscherungsstein Gandhis vor den Toren von Neu-Delhi, um den Mahatma zu seinem 100. Geburtstag zu ehren.
Dann erbat er von Indiens Regierungschef in Indira Gandhi ein Geschenk für sein Geburtstagskind -- die DDR, 20.
Sefrins Gesuch fand halbes Gehör. Indien wertete das Zwei-Mann-Büro seiner Handelsgesellschaft »State Trading Corporation« in der Ost-Berliner Clara-Zetkin-Straße 97 noch vor dem DDR-Geburtstag zur Handeismission auf. Missionschef »Ranga« R. Ranganathan erspart Indien-Reisenden der DDR künftig umständliche Visa-Anträge in Moskau oder Prag.
Auch Gratulanten reisten zum Geburtstag der Arbeiter-und-Bauern-Republik am 7. Oktober nach Ost-Berlin, an ihrer Spitze die Vizepräsidentin des indischen Oberhauses. Nach einem Besuch an der Ostseite der Mauer in Berlin befand Violet Alva, 61: »Die DDR muß anerkannt werden.«
700 indische Parlamentarier und mehr als 1000 prominente Inder in der Heimat unterstützten derweil Frau Alvas Forderung durch ihre Unterschrift. Erziehungsminister Rao pries auf der »Nationalen Konferenz der Freundschaftsgesellschaft Indien -- DDR« in Neu-Delhi das »Wirtschaftswunder DDR«. Auch Indiens oberster Familienplaner K. K. Shah entschied, sein Land könne die völkerrechtliche Tatsache DDR nicht mehr ignorieren. Im April konnte Indira Gandhi nur knapp eine Unterhausabstimmung über die DDR-Anerkennung verhindern.
Bis zum Winter wollen die Anerkennungsstrategen der DDR-Handelsmission in der Kautilya Marg -- am Rande des Botschafts-Viertels von Neu-Delhi -- den vollen Diplomaten-Status erschmeicheln, erkaufen oder erpressen.
Nach dem Erfolg in fünf Araber-Staaten und im Prinzenreich Kambodscha will DDR-Außenminister Winzer mit der versprochenen »baldigen« diplomatischen Anerkennung durch Indien endlich auch in Südasien einen entscheidenden Erfolg erzielen.
Ost-Berlins Chef-Stratege Herbert Fischer, 55, erlangte am Vorabend des 20. DDR-Geburtstags eine Ehre, die vor ihm nur Botschaftern zuteil geworden war: All-India-Radio (AIR) schenkte dem Leiter der DDR-Randeismission Sende-Minuten.
»In der ersten Oktober-Woche feierten Indien und die ganze Welt das Geburtsjahrhundert Mahatma Gandhis«, schmeichelte der Lehrer und Altkommunist aus Thüringen. »Fast auf den gleichen Tag fällt der 20. Gründungstag der DDR, die jede rassistische und imperialistische Arroganz ausgemerzt hat. Dies ist eine Leistung im Geiste Gandhis.«
Gandhi gegen Rassismus, westdeutsche Hallstein-Arroganz gegen den »Friedensstaat DDR« -- in Ausstellungen der DDR-Handelsvertretungen in Delhi, Bombay, Kalkutta und Madras verkaufen Fischers Handels-Strategen geschickt das Gütezeichen »GDR« (German Democratic Republic).
Subtil punktet Fischer seine Gegner von der bundesdeutschen Botschaft aus. Das westdeutsche Taschenbuch »Introducing Germany« für 10,40 Mark konterte der Dresdener »Verlag Zeit im Bild« mit einer gleichartigen Broschüre »Introducing the GDR«. Nur: Das DDR-Werk kostet einen indischen Tageslohn weniger -- 6,90 Mark -und lädt obendrein zur Kritik ein. Auf einer beigefügten Postkarte fragt der Verlag *Ausstellung im September 1969 in Neu-Delhi.
den Leser: »Welches Kapitel war unverständlich geschrieben?«
Während Hermann Ziok, Presseattaché von Indiens zweitgrößtem Geberland in der Marmor-Botschaft der Bundesrepublik über Geldmangel klagt, schöpft DDR-Fischer aus vollen Propaganda-Kassen. 26 indische Tages- und Wochenzeitungen beziehen diskrete Entwicklungshilfe aus Ost-Berlin. So brachte etwa
* das Wochenblatt »Link« 20 Seiten DDR-Geburtstags-Supplement« doch nur eine Spalte Wahlkampf in der Bundesrepublik,
* der »Patriot« ein Interview mit DDR-Außenminister Winzer und
* der »National Herald« den Kommentar: »Daß die Bundesrepublik das ganze deutsche Volk vertritt, wird nicht mal mehr in Bonn vertreten.«
In rechtsstehenden Blättern kaufte Fischer ganzseitige Anzeigen -- so in der »Times of India« und im »Indian Express«. Und anstatt -- wie die Bonner Botschaft -- Chefredakteure zu steifen Cocktailpartys und belanglosem Snobklatsch zu bitten, konzentriert sich Fischer auf das Fußvolk der meinungsbildenden Presse.
So schwatzen schwitzende DDR-Werber in schwülen Milchbars oder im Indian-Coffee-House mit indischen Reportern über Sozialfürsorge, Vollbeschäftigung und Gleichberechtigung ostdeutscher Frauen. Freundliche Sachsen laden kränkelnde Journalisten-Frauen zu Kuraufenthalten ins Erzgebirge, bitten Studenten zum Spezialstudium nach Dresden, Gewerkschaftler zum »Studium der Parteienvielfalt« in den Einparteistaat.
Herbert Fischer weiß, was die Inder interessiert. Schon 1936 hatte die Komintern den deutschen Emigranten Fischer von der Spanienfront ins britische Kolonial-Indien versetzt. Drei Jahre darauf -- bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges -- bahnten ihm die Kolonialherren den Weg in indische Herzen: Sie sperrten ihn als feindlichen Ausländer ins Gefängnis.
Er erhielt Gesellschaft von Tausenden Mitstreitern Gandhis -- den zukünftigen Herren Indiens. Mit den Zellengenossen verständigte sich Fischer auf Hindi, wie die gewaltlosen Unabhängigkeitsstreiter kleidete er sich mit Khaddi (Rohbaumwolltuch).
Nach seiner Entlassung vertiefte Fischer ab 1946 seine persönlichen Kontakte zu den Einheimischen in Südindien, 1955 Warb ihn die DDR-Industrie- und Handelskammer an: als Abteilungsleiter des Ressorts Südostasien, Unterabteilung Indien. Drei Jahre später avancierte der 1,92 Meter große Indien-Spezialist Fischer zur Grauen Eminenz des -- später wegen Unfähigkeit entlassenen -- Handelsvertreters Renneisen in Delhi, 1965 wurde er DDR-Chef in Indien.
Fischer lud bisher 110 Abgeordnete der Staatenparlamente und der Volksvertretungen in Neu-Delhi in die DDR. 47 Parlamentarier stehen auf der Warteliste für weitere kostenlose PR-Flüge in die DDR. Diese Freiflüge für prominente Kongreßabgeordnete erwiesen sich als Werbe-Hit; denn die Regierung in Neu-Delhi gesteht Privatreisenden ins Ausland lediglich ein Taschengeld von acht US-Dollar zu.
Und die DDR kümmert sich um ihre Besucher. Klagte Delhi-Oberbürgermeister Hans Raj Gupta nach einem Besuch in Hamburg: »Nur ein kleiner Senator hat mich empfangen. In der DDR begrüßte mich die gesamte Führungsspitze.«
Kerala-Chefminister Namboodiripad läßt sich derzeit den Magen in Ost-Berlin operieren, Kommunisten-Freund und Nehru-Vertrauer Krischna Menon reiste zur Weltfriedenskonferenz in den »sozialistischen Staat deutscher Nation«.
Am meisten aber beeindruckt die DDR Indien durch ihre Handels-Usancen. Anders als bei dem Milliarden-Gläubiger Bundesrepublik ist die Bilanz des DDR-Handels mit Indien offiziell ausgeglichen. Und anders als die Bundesrepublik, die Zinsen und Kredite in knappen Mark und Dollars zurückfordert« akzeptiert die DDR von den Indern Rupien (die im westlichen Ausland wertlos sind).
Indiens Industrieminister Reddy besuchte in diesem Jahr erstmals die Leipziger Messe -- und vergab den bisher größten Schiffbau-Auftrag seines Landes an die VEB-Warnow-Werft in Rostock-Warnemünde. Reddy bestellte außerdem 3000 Traktoren und besprach Lizenz-Bauverträge.
Die im Handel verdienten Rupien steckt die DDR in politische PR-Feldzüge. Jüngster Schachzug: Gründung eines 23köpfigen »Initiativkomitees zur nationalen Anerkennung der DDR«.
DDR-Werber Fischer erhielt für seine bisherigen Erfolge den »Vaterländischen Verdienstorden in Bronze«. Gold will Fischer mit der endgültigen Anerkennung und dem Botschafterrang für sich selbst gewinnen. »Und das dauert nicht mehr lange«, meint ein Fischer-Untergebener in Bombay.