ÖSTERREICH / KORRUPTION Geschenke für MRS
Es könnte einem die Schamröte ins Gesicht treiben«, erboste sich Österreichs Bauminister Dr. Fritz Bock, »wenn man lesen muß, was über ein so großes Werk wie die österreichischen Autobahnen geschrieben wird.«
Das war im August 1962, nachdem der SPIEGEL berichtet hatte, daß an Österreichs Schnellstraßen-Stückwerk schon damals etwa eine Milliarde. Schilling (154 Millionen Mark) unnütz vergeudet worden war. Bock damals: »Der Rechnungshof kann jederzeit die Abteilung Autobahn meines Ministeriums überprüfen.«
Er tat es. Jetzt, mehr als vier Jahre nach dem Bock-Wort, platzte in Sachen Autobahn der größte österreichische Korruptions-Skandal seit Kriegsende.
Zwei Dutzend Direktoren der größten Baufirmen des kleinen Landes sitzen seit Mitte Oktober in Untersuchungshaft. Ende Oktober folgte ihnen auch Bocks langjähriger höchster Beamter, Diplomingenieur Alois Seidl, Träger des Goldenen Ehrenzeichens der Republik.
Bauherren und Beamte hatten dafür gesorgt, daß Österreichs Autobahnen die teuersten Europas wurden: Bei vergleichbaren (durchschnittlichen) Terrainverhältnissen kostete ein Autobahnkilometer in Italien 1,5 Millionen, in Holland zwei, in der Schweiz 2,8, in der Bundesrepublik 3,5, in Österreich aber fünf Millionen Mark. Keine andere europäische Autobahn erwies sich, kaum gebaut, so reparaturanfällig wie die teuerste, die österreichische:
- Bei Salzburg stürzte unmittelbar nach der Fertigstellung eine neue Autobahnbrücke ein.
- Im Strengberg-Abschnitt bei Linz verwandelte sich die neue Autobahn nach sieben Wochen Benutzung auf zwölf Kilometer Länge in eine Kraterlandschaft von Frostaufbrüchen.
- Die Westeinfahrt nach Wien rutschte
ab.
- Auf den - nach elfjähriger Bauzeit noch immer nicht fertiggestellten - 300 Autobahnkilometern zwischen Salzburg und Wien stellte man 16 überraschende Fahrbahnsenkungen fest.
Grund: Trotz der enormen Kosten wurden zu dünner Beton, ein unsicherer Unterbau und mangelhaftes Material verwendet.
Dafür flossen viele Millionen Schilling aus den Kassen der Baufirmen in die Taschen jener Beamten, die Bauaufträge zu vergeben oder die Bauausführung zu kontrollieren hatten. Als die Wirtschaftspolizei in einer Blitzaktion die Manager fast aller großen Tiefbaufirmen Österreichs verhaftete, rechtfertigten die Straßenbauer ihr Verhalten als »branchenüblich": Ohne Geschenke gebe es im österreichischen Straßenbau keine Aufträge.
Als branchenübliche Geschenke galten Eßkörbe, Juwelen, Pelzmäntel, Fernsehgeräte, Orientteppiche, Zimmereinrichtungen, Jagdeinladungen und kostspielige Urlaubsreisen, wobei, so der Wiener »Expreß«, »die hochherzigen Spender in Einzelfällen auch den Intimbedarf des Empfängers mitfinanzierten und Gesellschaftsdamen stellten«.
Ranghöhere Beamte erhielten mehr: regelmäßig schwarze Monatsgehälter bis zu 2000 Mark, Bungalows und feudale Villen - schlüsselfertig übergeben.
Der ranghöchste Beamte des Bautenministeriums, Sektionschef Seidl, versuchte sich nach dem Überraschungsschlag der Wirtschaftspolizei durch einen Sprung nach vorn zu retten: Er beantragte ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst, »um eindeutig klarzustellen, daß ich reine Hände habe«.
Noch ehe das Disziplinarverfahren ins - Rollen kam, wurde er Verhaftet. Denn Seidl soll
- seine Sommerurlaube regelmäßig in
der Villa des Kärntner Straßenbauers Karl Soravia am Millstätter See verbracht haben (wofür der Gastgeber Aufträge erhielt und mangelhaften Belag auf der Brautalstraße nicht zu reparieren brauchte);
- auf Winterurlaub stets samt Ehefrau zum Straßenbauer Hellmuth Swietelsky nach Zell am See gefahren sein (wofür der Gastgeber die - später aufgebrochene - Strengberg -Autobahn bauen durfte, obwohl sein Kostenvoranschlag um vier Millionen Schilling über dem der Konkurrenz lag);
- Bestechungssummen kassiert haben, die in den Firmenbuchhaltungen unter MRS rotiert waren, was für das Finanzamt »Mittlere Reisespesen«, für Eingeweihte jedoch »Ministerialrat (so der alte Titel) Seidl« hieß.
Seidls Verhaftung löste eine Welle von Selbstanzeigen untergebener Beamter aus. Insgesamt sind etwa 150 Bedienstete des Bautenministeriums in den Skandal verwickelt.
Ihr einstiger Dienstherr, Minister Bock, ist seit fünf Monaten Österreichs Vizekanzler. Bock: »Man muß doch seinen Beamten vertrauen können. Ich habe ihnen immer vertraut.«
Beamter Seidl (r.), Partner Swietelsky
Ausgerutscht
Autobahnbrücke bei Salzburg
Abgerutscht