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Geschlagen, vertrieben, verraten

SPIEGEL-Redakteur Siegfried Kogelfranz über das Schicksal der Palästinenser (III)
aus DER SPIEGEL 40/1982

Der Erste Weltkrieg kostete die Türkei alle ihre arabischen Besitzungen. Sie fielen nicht, wie vorgesehen, den Arabern zu, die dafür gegen die Türken gekämpft hatten. In den Nahen Osten zogen, als Kolonialherren, die westeuropäischen Siegermächte ein.

Im Herbst 1919 übergaben die Briten Damaskus, das die Araber ein Jahr zuvor für sie erobert hatten, den Franzosen - so wie es in dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen vereinbart worden war. Die Araber wehrten sich gegen die neuen Herren, wurden aber schnell geschlagen, für Syrien und Libanon begann die Zeit der französischen Verwaltung.

Die Briten bedienten sich selbst mit Palästina, Transjordanien - einem Kunststaat, den sie schnell geschaffen hatten, um den durch die Beuteaufteilung thronlosen Araberfürsten Abdallah standesgemäß zu versorgen - sowie dem ölreichen Irak.

Palästina, das der Londoner Außenminister Balfour den Juden als Siedlungsgebiet versprochen hatte, obgleich es noch immer zu neun Zehnteln von Arabern bewohnt war, geriet vom ersten Tag an zum Problemfall unter den britischen Besitzungen im Orient.

Balfour meinte zwar, die Briten hätten den Arabern so viel gegeben (in Wahrheit nur die Hedschas-Wüste, an der sonst niemand ernsthaft interessiert war), daß sie »diese kleine Nische, denn mehr ist es geographisch ja nicht« (gemeint war ganz Palästina), wohl »entbehren könnten«.

Und Winston Churchill, damals Kolonialminister, wies bei einem Besuch in Jerusalem die palästinensische Forderung nach Widerruf des Balfour-Abkommens brüsk ab: »Das liegt weder in meiner Macht noch ist dies mein Wunsch.«

Aber auch die Palästinenser wollten nicht auf ihr Land verzichten. »Die Welt soll wissen, daß Palästina unser Land ist«, hieß es in einem 1919 in Jaffa verbreiteten Aufruf der Araber Palästinas. »Niemand wird es erobern, selbst wenn die Wasser des Jordans und des Jarmuks zu Blut verwandelt werden sollten. Wir werden unsere Heimat bis zum Letzten verteidigen.«

Bereits 1920 kam es zu einem ersten Aufstand der Araber Palästinas. Dabei fanden im Norden des Landes 8 Juden den Tod, 47 wurden verletzt. Die isolierten jüdischen Siedlungen Bnei Jehuda, Metulla, Kfar Giladi und Hamara mußten aufgegeben werden.

In Jerusalem ereignete sich, nahe dem Jaffa-Tor, ein blutiger Zusammenstoß, bei dem sechs Juden und sechs Araber getötet wurden.

Als Reaktion gründeten die Juden im Juni 1920 in Kinneret die »Haganah«, die erste jüdische Streitmacht. Einer ihrer Väter war der radikale Zionist Wladimir Jabotinsky.

Auf welcher Seite die Briten standen, zeigte sich an der Auswahl ihres ersten Hochkommissars für das Mandatsgebiet: Sir Herbert Samuel, ein Jude, Mitautor der Balfour-Erklärung, die den Zionisten eine Heimstatt in Palästina versprochen hatte.

Menachem Begin, damals schon militanter Zionist, aber noch in Polen zu Hause, erinnert sich: »Als Herbert Samuel zum ersten Hohen Kommissar ernannt wurde, galt er als unser Fürst, der erste jüdische Fürst im Lande Israel. Sein Bild hing bald in allen Läden Osteuropas.« S.171

Die Araber reagierten mit der Gründung einer »Arabischen Exekutive«, geleitet von Mussa Kassim el-Husseini, die einen unabhängigen palästinensischen Nationalstaat forderte. Diesen verlangten sie auch von der »King-Crane-Kommission«, die den Volkswillen in Palästina erkunden sollte: US-Präsident Thomas Woodrow Wilson, ebenso glühender wie in der Praxis erfolgloser Anhänger des Selbstbestimmungsrechts, hatte zwei Landsleute, den College-Präsidenten Henry C. King und den Geschäftsmann Charles Crane, zur Erkundung der Lage in den Nahen Osten entsandt.

Die beiden fanden keinen Araber, der die Balfour-Deklaration akzeptieren mochte. Sie kamen zu der Schlußfolgerung, »ein so gesinntes Volk einer unbegrenzten jüdischen Einwanderung und einem ständigen finanziellen und sozialen Druck zu unterwerfen, sein Land preiszugeben, wäre eine schwerwiegende Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes, wenngleich diese Verletzung sich in scheinbar gesetzlicher Form abspielen würde«.

Die Kommission empfahl »eine ernsthafte Überprüfung des zionistischen Programms der unbeschränkten Einwanderung von Juden nach Palästina, das schließlich darauf abzielt, Palästina zu einem rein jüdischen Staat zu machen«.

Der Bericht wurde nie offiziell veröffentlicht und verschwand in den Archiven. Briten und Franzosen hatten jede Zusammenarbeit mit der Kommission verweigert. Die Ergebnisse bezeichneten sie als »gefälscht«. Der kranke Präsident Wilson konnte seine Prinzipien nicht durchsetzen.

Die Zionisten nutzten die für sie günstige Stunde. Ihr zwölfter Kongreß in Karlsbad im Jahre 1921 beschloß, das Palästina-Projekt mit allen Mitteln voranzutreiben. Zur vordringlichsten Aufgabe wurde »der wirtschaftliche Aufbau Erez Israels« erklärt. Eine Warnung des deutschen Zionisten und Philosophen Martin Buber, daß es »besser wäre, die palästinensischen Araber zu Verbündeten zu gewinnen als sie zu Gegnern zu machen«, schlugen die Delegierten in den Wind.

Der Kongreß gründete ein Kolonisationsamt, das die Besiedlung, Übernahme von Infrastruktur, Handel und Industrie wirksam koordinieren sollte. Eine Immigrationszentrale sollte für verstärkte Einwanderung werben, denn die Juden kamen nicht in den Massen, die für die zionistische Planung erwünscht und erforderlich waren.

Die dritte »Alija« (Einwanderungswelle) von 1919 bis 1923 brachte 35 000 Juden nach Palästina - aber eine vielfache Zahl wanderte an Palästina vorbei nach Übersee aus. Eine von den Zionisten selbst veröffentlichte Tabelle zeigt, daß nur eine verschwindende Minderheit, kaum fünf Prozent, der in Europa verfolgten Juden ihr Gelobtes Land in S.172 Palästina suchte. Danach emigrierten zwischen 1880, dem Beginn der organisierten Einwanderung in Palästina, und 1929 über 3,5 Millionen Juden aus ihren Heimatländern vor allem in Osteuropa. Davon gingen

* 2,9 Millionen in die USA,

* 210 000 nach Großbritannien,

* 125 000 nach Kanada und

* 120 000 nach Palästina. Aber nach Deutschland und Frankreich zogen in jenen Jahren noch fast ebenso viele Juden wie nach Palästina.

Dort zählten die Juden zu Beginn des britischen Mandats, von dem sie sich die Erfüllung ihres Traumes vom eigenen Staat erhofften, auch erst knapp über 80 000 Köpfe. Im Heiligen Land standen ihnen etwa gleich viele Christen und etwa achtmal so viele moslemische Araber gegenüber.

Dennoch wollten die Zionisten schon damals Palästina in Erez Israel umbenennen, den Davidstern als Flagge einführen und eine Regierung bilden. Das war freilich selbst den Briten zuviel und zu schnell. Immerhin wurde Hebräisch neben Englisch und Arabisch zur dritten Amtssprache im Lande.

Die Konfrontation war unausweichlich. Schon 1919 hatte der Brite Lord Curzon gewarnt: »Eine jüdische Regierung wird einen arabischen Aufstand zur Folge haben, und die 90 Prozent der Bevölkerung, die keine Hebräer sind, werden mit den Juden kurzen Prozeß machen.«

Doch die britischen Mandatsherren sahen die Situation gelassen. »Die Araber insgesamt sind sehr schwach, und die Araber Palästinas scheinen kaum zu existieren«, heißt es in einem Bericht der Mandatsverwaltung - ein Irrtum, wie sich bald herausstellte.

Nach der »Arabischen Exekutive« wurde 1921 ein »Oberster Islamischer Rat« gegründet. Seine Führung übernahm ein Mann, der zeit seines langen Lebens fanatisch für die Sache eines arabischen Palästina kämpfte, dieser aber durch die Wahl seiner Mittel und seiner Freunde wahrscheinlich mehr schadete, als die Juden selbst es anfangs vermochten: Hadsch Mohammed Amin el-Husseini, der Mufti von Jerusalem.

Amin el-Husseini entstammt einer der einflußreichsten arabischen Familien in Palästina, die ihre Ahnenreihe bis zum Propheten zurückführt und traditionell die Position des Mufti besetzte (auch PLO-Führer Jassir Arafat ist mit den Husseinis verwandt).

Amin el-Husseini, 1895 in Jerusalem geboren, studierte an der Al-Azhar-Universität in Kairo. Im Ersten Weltkrieg diente er den Türken als Artillerie-Offizier. Danach trat er in die Mandatsverwaltung der Briten ein.

Doch schon 1920 beteiligte er sich an der ersten Araber-Revolte in Jerusalem. Dafür wurde er, wie auch auf der anderen Seite der Zionist Jabotinsky, von den Briten zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt - in Abwesenheit, denn Amin el-Husseini war, wie später noch so oft, spurlos verschwunden.

Ende 1921, nach neuen Unruhen, bei denen die Araber Bet Olim, das jüdische Einwanderungszentrum in Jaffa, angegriffen hatten - insgesamt forderte dieser Aufruhr 47 Tote bei den Juden, 48 bei den Arabern -, amnestierten die Engländer Husseini wie Jabotinsky. In der Hoffnung, Husseini für sich einzunehmen, machten sie ihn sogar, als Nachfolger seines verstorbenen Halbbruders, zum Mufti und setzten damit jenen Mann auf die einflußreichste islamische Position in Palästina, den Winston Churchill später einmal »den gefährlichsten Todfeind des Britischen Empire« nannte.

Der Mufti, einflußreichster Moslem im Land, kassierte jährlich etwa 60 000 Pfund S.174 Sterling, die er benutzte, um Palästina mit einem Netz seiner Gefolgsleute zu überziehen.

Er besetzte Moscheen, Schulen, Gerichte, Bürgermeisterposten mit handverlesenen Parteigängern. Die Mufti-Mafia war eine geschlossene Bruderschaft. Wer sich ihr widersetzte, wurde beseitigt. Der Mufti-Herrschaft fielen bei den folgenden Auseinandersetzungen mehr Araber zum Opfer als Juden, darunter der Bürgermeister von Hebron.

Die Zionisten setzten währenddessen zielbewußt ihre Kolonisierung fort. Sie gründeten die »Jewish Agency«, die weltweit Unterstützung für das Palästina-Projekt organisierte.

Zwischen 1920 und 1925 wendete der Jüdische Nationalfonds fast eine Million ägyptische Pfund auf, um weite Teile der Jesreel-Ebene südlich von Nazaret aufzukaufen. In zehn neugegründeten jüdischen Dörfern - eines erhielt zum Dank an den britischen »Heimstatt«-Förderer den Namen »Balfouria« - siedelten sich dort 2600 jüdische Neueinwanderer an. Sie bebauten die Felder und forsteten die Hügel auf - zum Wohlgefallen des britischen »ochkommissars Samuel, der darüber nach London berichtete: Als ic« » das Tal zuerst 1920 sah, war es eine Einöde. Vier oder fünf » » kleine Araberdörfer waren auf den Hügeln zu sehen. Sonst war » » das Land unbewohnt. Es gab kein Haus, keinen Baum. Nachdem » » nun der Jüdische Nationalfonds 51 Quadratmeilen im Tal » » erworben hat, wurden 20 Schulen eröffnet und ein Spital ... » » Alle Sümpfe im kolonisierten Gebiet wurden trockengelegt, im » » Frühling erstrecken sich meilenweit Gemüse- und » » Getreidefelder. Was vor fünf Jahren fast Wildnis war, » » verwandelte sich vor unseren Augen in blühendes Kulturland. »

Die Hintergründe des als beispielhaft gerühmten Kolonisierungs-Projekts im Jesreel-Tal erwähnte Sir Herbert nicht, auch nicht, daß arabische Pächter, deren Vorfahren das Land seit tausend und S.175 mehr Jahren beackert hatten, vertrieben wurden:

1872 hatte der arabische Bankier Sursuk aus Beirut das Gebiet vom türkischen Staat mit der Verpflichtung gekauft, von den dortigen Bauern die Steuern einzutreiben. Er hatte für das ganze Gebiet 6000 Pfund Sterling gezahlt, noch mal 12 000 Pfund für die Bestechung türkischer Beamter, die bei der Vermessung großzügig waren. Die Sursuk-Sippe ließ das Land von Pächtern bearbeiten, die in 21 Dörfern siedelten. Sie mußten ein Zehntel der Ernte für den Staat, noch mal ein Fünftel an den neuen Besitzer abliefern.

1921 verkauften die Sursuks 6263 Hektar des Besitzes mit einem Profit von mehreren tausend Prozent für 282 388 Pfund an die Zionisten. Eine Bedingung des Geschäfts war, daß die 8000 Pächter das Land sofort verlassen müßten. Ihre Abfindung betrug dreieinhalb Pfund pro Kopf.

Die Fellachen setzten sich zur Wehr. Sie verbarrikadierten ihre Häuser und warfen sich vor die Traktoren, mit denen die jüdischen Arbeitsbrigaden anrückten. Die Zionisten riefen die Briten zu Hilfe. Die kamen hoch zu Roß und mit gepanzerten Fahrzeugen und vertrieben die Araber aus ihren Lehmhütten und von ihren Feldern, wobei es Tote und Verletzte gab.

So wurde das Jesreel-Tal araberfrei und zu einem wichtigen Stützpunkt der Zionisten im Norden des Landes. Über die Strategie der Landkäufe schrieb Arthur Koestler: »Wäre die jüdische Einwanderung nur auf die Städte beschränkt geblieben, so hätte der Judenstaat nie das Licht der Welt erblickt. Ohne den Besitz von strategischen Schlüsselpositionen entlang des Küstengürtels und den Grenz-Außenposten, die über Galiläa, Judäa und den Negev verstreut waren, wären die Juden nie in der Lage gewesen, sich zu verteidigen.«

Der Radikale Jabotinsky formulierte es, wie immer, drastischer: »Da Erez Israel von einem Meer von Arabern umgeben ist, müssen die Juden sich mit einem eisernen Wall von Feuer und Blut umgeben.«

Chalil el-Sakakini, ein palästinensischer Schriftsteller, sah es so: »Früher kamen die Juden unter dem Vorwand, in Palästina sterben zu wollen. Später kamen sie, um hier zu leben, weil man sie angeblich anderswo nicht mehr leben ließ. Jetzt kommen sie, um das Land zu übernehmen.«

Die Araber organisierten sich zum Widerstand. Als 1925 der Heimatstatt-Erfinder Lord Balfour nach Jerusalem kam, um die Universität zu eröffnen, traten die Christen und Moslems der Stadt in den Streik.

Die Briten mußten immer mehr Truppen nach Palästina bringen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Allein in den ersten beiden Jahren der Mandatsverwaltung wurden fast 200 aufrührerische Araber erschossen. Schon ab 1927 setzten die Briten Bomber gegen die Rebellen ein.

Im Juni 1928 benannte ein Allarabischer Kongreß in Palästina das britische Mandatsregime als die Ursache der zionistischen Gefahr: »Der Zionismus ist lediglich ein Zweig der imperialistischen Politik. Unser Volk muß daher den Kampf in erster Linie gegen die Ursache, das britische Mandat, richten.«

Die Forderung der Araber nach Wahlen und einer parlamentarischen Regierung in Palästina wiesen die Briten zurück. Von den Engländern organisierte S.178 lokale Wahlen wiederum wurden von den Palästinensern boykottiert.

1929 entlud sich die Spannung in einer Explosion. Angesichts von fast 100 000 jüdischen Neueinwanderern seit Beginn der Mandatszeit, die den Bevölkerungsanteil der Juden auf fast ein Viertel erhöht hatten, forderte der Mufti sofortige Zuzugsbeschränkung für Zionisten.

Als dies abgelehnt wurde, rief der Mufti zum »Dschihad«, zum Heiligen Krieg, gegen die Juden auf. Während des Jom-Kippur-Festes überfiel ein von Mullas aufgehetzter arabischer Mob Juden, die an der Klagemauer beteten. In Hebron veranstalteten die Araber ein Pogrom und metzelten 59 Juden nieder. Allein in drei Tagen im August ermordeten die Araber 133 Juden, über 300 wurden verletzt. Auch 118 Araber starben - 112 davon von britischen Sicherheitskräften erschossen.

Die Briten verhängten das Kriegsrecht und entsandten Untersuchungskommissionen, die fortan ein »Weißbuch« nach dem anderen erstellten, während die Lage im Lande sich immer mehr zuspitzte.

Eine »Hope Simpson«-Kommission befand, Ursache der Unruhen sei die Diskriminierung der Araber durch Mandatsbehörden und Zionisten: »Resultat der Landkäufe durch die jüdischen Nationalfonds ist, daß der Araber für immer von jeder Beschäftigung auf diesem Land ausgeschlossen ist.«

Ein »Shaw-Bericht« kam zu dem Urteil, die massierte jüdische Einwanderung und der zunehmende Einfluß des Zionismus haben den Widerstand der Araber provoziert. Ein Weißbuch von 1930 schlug autonome Rechte für die arabische Bevölkerung und eine Drosselung der jüdischen Einwanderung sowie eine Beschränkung der zionistischen Landkäufe vor.

Dies löste wütenden Protest der zionistischen Organisationen aus. Zionisten-Präsident Chaim Weizmann, der 1925 noch erkannt hatte, »daß in Palästina 600 000 Araber leben, die genau dieselben Rechte auf ihre Heimat haben wie wir auf unsere«, trat nun aus Protest gegen das Weißbuch der Briten, das annähernd die gleiche Position vertrat, zurück.

Denn in Europa hatte eine Entwicklung eingesetzt, die den Zionismus zwang, seine Pläne in Palästina so schnell wie möglich zu verwirklichen: In Deutschland drohte die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Unter der halben Million Juden im Deutschen Reich begann sich Unruhe breitzumachen. Die Auswanderung stieg sprunghaft an. Etwa ein Fünftel der Emigranten ging nach Palästina.

Als Hitler an die Macht kam, wurde die Emigration zum Exodus. Auch die Nürnberger Gesetze »zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« im Jahre 1935 trieben immer mehr Juden nach Palästina. Allein in den Jahren 1933 bis 1935 kamen 149 076 Juden offiziell ins Land und sicher weitere 50 000 illegal - als Messebesucher, Sportler oder Touristen, die einfach blieben.

Anfangs arbeiteten die Nazis und die Zionisten noch Hand in Hand. Das sogenannte »Haavra«-Abkommen ermöglichte die offzielle Ausreise von über 52 000 Juden nach Palästina. Es kam über Vermittlung des deutschen Generalkonsuls in Jerusalem zustande und sah ein Dreiecksgeschäft zwischen zionistischen Organisationen, der deutschen Regierung und auswanderungswilligen Juden vor. S.179

Darauf gaben die Zionisten ihre Boykott-Pläne gegen deutsche Waren auf und kauften für Millionen Mark Landwirtschaftsgeräte im Reich - die dort mit Geldern bezahlt wurden, die wohlhabende jüdische Emigranten in Deutschland zurücklassen mußten. Sie kamen auf ein Sperrkonto, mit dem die Käufe der Zionisten verrechnet wurden. Die wiederum garantierten den Emigranten Wohnung und Arbeit in Palästina.

Später wurde der »Haavra«-Transfer auch auf Importe des Reiches ausgeweitet, die mit »arisierten« Geldern jüdischer Emigranten bezahlt wurden, die von der Deutschen Reichsbank an die Anglo-Palästinensische Bank überwiesen wurden. In beiden Richtungen flossen im Rahmen dieses Geschäfts über 60 Millionen Reichsmark. Diese deutsche »Alija«, die zu jener Zeit etwa ein Viertel aller Einwanderer ausmachte, war für die Zionisten die profitabelste Immigranten-Welle.

Gegen diese Masseneinwanderung eröffneten die Araber einen Partisanenkrieg. Der Prediger und Lehrer Iss el-Din Kassim, der schon gegen die Franzosen in Syrien gekämpft hatte, sammelte etwa 2000 Bauern um sich, organisierte sie in Fünf-Mann-Trupps, die Überfälle auf britische und jüdische Institutionen verübten. Der Aufstand der »bärtigen Scheichs« brach Ende 1935 zusammen, als die Briten Kassim erschossen.

Für die Neueinwanderer blieben die Araber stets ein Fremdkörper, den sie möglichst gar nicht zur Kenntnis nahmen. Wenn die Zionisten überhaupt Kontakte zu den Arabern oder deren Organisationen unterhielten, dann nur, um sie auszuspionieren. Dazu hatten sie damals bereits einen Geheimdienst, Vorläufer ihres berühmt-berüchtigten Mossad, gegründet, dessen Agenten auch in allen wichtigen britischen Dienststellen Palästinas saßen. Die Zionisten gründeten sogar eine arabische Spalter-Organisation, die sogenannte »Islamische Nationalgesellschaft«, in der sich kollaborationswillige Moslems organisieren sollten. Doch sie fand zu wenig Anhang, und so wurde das Unternehmen bald wieder aufgegeben.

Gemeinhin hielten es die Zionisten lieber mit der Devise Jabotinskys: »Junge Juden, lernt schießen, denn jeder muß verstehen, daß die allerwichtigste Vorbedingung einer Wiedergeburt unseres Staates das Schießen ist.«

Die einzigen arabischen Worte, die Juden gewöhnlich lernten, waren, wie der 1938 aus Deutschland nach Palästina emigrierte Hans Lebrecht schildert, »Itlaa barra!« (Hau bloß ab!) und »Jalla, jalla« (Schneller, schneller!).

( Hans Lebrecht: »Die Palästinenser«. ) ( Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt; ) ( 272 Seiten; 17,80 Mark. )

Die Araber wurden überall und von allen diskriminiert. Als Pächter vertrieben, füllten sie die Slums der Städte, wo sie bei Juden keine Arbeit fanden. Die aber bekamen dank der Hilfe von den Zionisten in aller Welt und der Förderung durch die Briten die Wirtschaft immer besser in den Griff. Von Elektrizitätswerken bis zu Mühlen, von Exportfirmen bis zu Schiffahrtsgesellschaften - alles, was wichtig war im Lande, wurde still und leise zionistisch.

Erhielten die Araber einmal Arbeit bei den öffentlichen Vorhaben, etwa beim Bau der Erdölleitung aus dem irakischen Kirkuk nach Haifa, wurden sie auch am Arbeitsplatz benachteiligt.

Für die in ihrer »Histadrut«-Gewerkschaft organisierten Juden galt der Acht-Stunden-Tag mit einem Lohn von 20 S.180 Piaster. Die Araber mußten zwölf Stunden täglich roboten - für 15 Piaster.

Als 1935 die Zahl der jüdischen Neueinwanderer einen Höhepunkt erreichte - allein in jenem Jahr kamen 61 844 offizielle Einwanderer -, näherte sich die Erbitterung unter den Arabern dem Siedepunkt. Mufti Amin el-Husseini forderte ultimativ »alle Araber« auf, die Palästinenser aktiv zu unterstützen: »Helft sofort, bevor Palästina ein zweites Andalusien wird. Wenn es den Zionisten gelingen sollte, Palästina an sich zu reißen, was Allah verhüte, dann wird nicht nur Palästina verlorengehen.«

1936 kam es in den Nachbarländern Syrien, Libanon und Irak zu Streiks und Unruhen gegen die Ausbeutung durch die Kolonialherrschaft. Sie griffen auch nach Palästina über. Im Frühjahr 1936 riefen die Araberorganisationen im Mandatsgebiet zum Generalstreik und Steuerboykott auf. Gleichzeitig forderte der syrische Offizier Fausie el-Kawukdschi, der sich unter den Deutschen im Ersten Weltkrieg gegen die Briten das EK II verdient hatte, die Palästinenser auf: »Greift zu den Waffen!« Er kam mit 150 Freiwilligen über die Grenze und organisierte Überfälle auf jüdische Siedlungen und britische Polizeiposten.

Die Partisanen führten Krieg nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Bäume. Während des Aufstandes wurden fast 100 000 von jüdischen Siedlern gepflanzte Zitrus- und Olivenbäume sowie Weinstöcke umgehackt oder ausgerissen, auf den Feldern die Ernte verbrannt.

Die Briten brachten 28 000 Mann Verstärkung an Land. Bis zum Jahresende forderte die Revolte 197 Tote unter den Arabern, 80 unter den Juden, 28 unter den britischen Streitkräften. Über tausend Menschen wurden verletzt.

Im Oktober brachen die Palästinenser den Generalstreik ab, weil die Herrscher des Irak, Transjordaniens und Saudi-Arabiens, allesamt aus der Schatulle des Londoner Kolonialministeriums subventioniert, ihnen erklärt hatten, daß Großbritannien ihnen Gerechtigkeit widerfahren lasse, falls sie »Ruhe bewahren, damit nicht noch mehr Blut fließt«.

Und die Briten setzten wiederum eine Kommission ein. Diese »Peel-Kommission« war allerdings insofern bemerkenswert, als sie zum erstenmal eine Teilung des Landes vorschlug.

Danach sollten die Juden, damals 30 Prozent der Bevölkerung, die bislang erst sechs Prozent des Bodens käuflich erworben hatten, einem Staat erhalten, der einen Teil des Nordens und einen Streifen entlang der Küste bis südlich von Tel Aviv umfassen sollte. Der den Palästinensern verbleibende Teil sollte mit Transjordanien vereint werden. Die Briten wollten Jaffa und einen Streifen von dort bis nach Jerusalem und Bethlehem für sich behalten.

Die Araber ("Palästina gehört uns!") lehnten jede Aufteilung des Landes kategorisch S.181 »b. Eine panarabische Konferenz in Bludan bei Damaskus beschloß: » » Palästina ist das Herz unseres arabischen Vaterlandes, das » » Bindeglied, das die Araber Asiens und Afrikas, die des » » Nordens und die des Südens der Arabischen Halbinsel verbindet » » ... durch Palästina stehen die Araber in Verbindung mit der » » abendländischen Welt ... der Handelswelt Europas. Man soll » » nicht denken, daß die Araber die Okkupation Palästinas durch » » irgendeine fremde Macht hinnehmen werden. »

Der Palästinenser-Vertreter Auni Beg Abd el-Hadi erklärte der Peel-Kommission, jeder Araber in Palästina werde alles tun, um den Zionismus zu zerschlagen: »Zionismus und Arabertum können niemals zusammen leben!«

Die Zionisten waren gespalten. Ben-Gurion und Weizmann waren dafür, den Teilungsplan anzunehmen. Ihr Argument: Zum erstenmal sei offiziell von einem eigenen jüdischen Staat die Rede. Jabotinsky war strikt dagegen: »Eine Ecke Palästinas, ein Kanton - nie! Das wäre Meineid!«

Der Aufstand brach mit neuer Wucht los. Die Juden hatten den Generalstreik der Araber genutzt, um ihre wirtschaftliche Vorherrschaft zu festigen. Da der Hafen von Jaffa, der einzige im Süden des Landes, durch den Streik blockiert gewesen war, hatten die Zionisten Tel Aviv mit Billigung und Hilfe der Briten zum Hafen ausgebaut - zum erstenmal hatten sie nun einen Landeplatz in einem völlig von ihnen beherrschten Gebiet.

Die Araber wähnten das letzte Gefecht gekommen, in dem es galt, den Verlust ihres Landes zu verhindern. Im September 1937 erschossen Untergrundkämpfer den britischen Gouverneur von Nordpalästina, Lewis Andrews. Die Mandatsregierung verhängte daraufhin S.183 den Ausnahmezustand und ein Ausgehverbot für alle Araber. Auf Waffenbesitz stand die Todesstrafe - und sie wurde auch vollstreckt. In der Kreuzfahrerfestung Akko wurden acht Araber gehenkt. Alle Araber, die politisch aufgefallen waren, wurden verhaftet.

Nur Hadsch Amin el-Husseini, unterdessen Großmufti von Jerusalem, entwischte seinen Häschern wieder. Als Bettler verkleidet, mischte er sich unter die Betenden der Omar-Moschee, floh von dort nach Haifa und ins französische Mandatsgebiet. Seine Odyssee führte ihn über Irak, Iran, Afghanistan nach Europa. Mussolini, der ihn empfing, reichte Amin el-Husseini auf dessen Bitte an den »hervorragenden deutschen Führer« (so der Mufti) weiter - an Adolf Hitler.

Ende November 1941 empfing Hitler in der Reichskanzlei den Mufti, der sich als geistlicher und weltlicher Führer aller Araber des sogenannten »Fruchtbaren Halbmondes«, also vom Libanon bis Kuweit, empfahl. Er war von dem beredten Moslem durchaus angetan. Der rotblonde Bart und die blauen Augen des Arabers dünkten Hitler »arischer als sonst irgendwer auf der Welt. Es ist möglich, daß sich da ein Arier mit dem Besten eines Römers vermischt hat«.

Amin el-Husseini forderte von Hitler Garantien für »die Erlangung der arabischen Unabhängigkeit und Einheit«. Araber und Deutsche, so der Mufti, seien von Natur aus Verbündete, »weil sie die gleichen Feinde haben: Engländer, Juden und Bolschewiken«. Die Araber seien bereit, mit einer »Arabischen Legion« an der Seite der deutschen Truppen zu kämpfen. Dafür »erwartet die gesamte arabische Welt, daß Deutschland seine Ziele gegenüber den Arabern darlege«.

Genau das aber wollte Hitler nicht. Er hatte die Araber, die ihm gemeinhin als unzuverlässig erschienen, bis dahin weitgehend Mussolini überlassen. Auch die französischen Vichy-Kollaborateure, die zu jener Zeit noch Syrien und den Libanon beherrschten, wollte er nicht vor den Kopf stoßen.

Also beschwichtigte er seinen Besucher, mit »platonischen Erklärungen« sei nichts gewonnen. Es sei das Ziel Deutschlands, den Kommunismus und das Judentum zu zerschlagen sowie die Engländer aus dem Nahen Osten zu vertreiben. Wenn Deutschland diesen »Riesenkampf« gewinne, schlage auch die Stunde der Freiheit für die Araber.

Die Wehrmacht führe einen »schweren Kampf« um die Öffnung der Zugänge zum Kaukasus. Wenn die deutschen Panzerarmeen und die Luftwaffe im Süden des Kaukasus stünden, würde der Mufti freie Hand für seine Pläne bekommen.

Zum Trost für den ungeduldigen Bittsteller wies Hitler noch darauf hin, daß »der Weg von Rostow am Don nach Irak oder Iran kürzer ist als der von Berlin nach Rostow«.

Der deutsche Generalstab machte schon konkrete Pläne mit den Kriegern des Mufti. Mit der Organisation einer »Arabischen Armee«, die aus je einer irakischen, syrischen und palästinensischen Division bestehen sollte, wurde der deutsche Oberbefehlshaber in Griechenland, General Felmy, beauftragt. In einem Militärlager nahe Kap Sunion südlich von Athen wurde bereits mit der Ausbildung arabischer Freiwilliger begonnen. Über Radio Athen wurden auch täglich Propagandasendungen in arabischer Sprache ausgestrahlt.

Der Mufti machte sich unterdessen bei der Rekrutierung von moslemischen Bosniern für die Waffen-SS nützlich. Er intrigierte gegen die Emigration von Juden aus den besetzten Gebieten nach Palästina, traf sich mit Heinrich Himmler und dem Endlösungs-Gehilfen Adolf Eichmann. Da ihm alles zu langsam voranging, versuchte er Italiener und Deutsche in der Arabienfrage gegeneinander auszuspielen - was ihm von beiden übelgenommen wurde.

Amin el-Husseini war jedoch nicht der einzige prominente Palästinenser, der während des Krieges in Berlin ausgehalten wurde. Auch der militärische Führer des Aufstandes von 1936, Fausie el-Kawukdschi, kollaborierte mit den Nazis, ließ Agenten und Terrorspezialisten von der SS ausbilden. Er heiratete eine Berlinerin, die er nach dem Krieg nach Palästina mitnahm, wo er arabische Partisanen führte, die Israels Staatsgründung verhindern sollten.

In Palästina war unterdessen der Aufstand der Araber unter blutigem Gegenterror der Briten zusammengebrochen. Da sie allein nicht mehr Ordnung schaffen konnten, hatten sich die Engländer der Hilfe der Juden gegen die Araber versichert, die Churchill damals als ein Volk ansah, »das sich von Kameldung ernährt«.

Ein Oberst Charles Wingate stellte zur Niederkämpfung der palästinensischen Partisanen sogenannte »Special Night Squads« auf, kleine antiarabische Terror-Kommandos mit britischen Kolonialoffizieren und jüdischen Mannschaften. Sie überfielen vorzugsweise nachts Arabersiedlungen, sprengten Häuser und entführten oder ermordeten »Verdächtige«. Die Elite späterer israelischer S.186 Heerführer - Dajan, Allon, Scharon - diente damals unter Wingate und in der jüdischen Streitmacht Palmach.

Als der Aufstand 1939 zusammenbrach, waren mehr als 3000 Palästinenser tot, über 2000 verletzt. Die Briten hatten 110 Araber gehenkt. Fast 6000 Palästinenser saßen im Gefängnis oder Konzentrationslager. Die Ölleitung Kirkuk - Haifa war während der Unruhen über hundertmal durch Sabotageakte unterbrochen worden.

Den Briten fiel wiederum ein Weißbuch ein, das nun nichts mehr geteilt haben wollte. Juden wie Araber sollten unter britischer Herrschaft Autonomie genießen. Die jüdische Einwanderung allerdings sollte auf insgesamt 75 000 weitere Zionisten beschränkt werden - eine Absichtserklärung, die England in der Folge teuer zu stehen kam.

Für die Zionisten war dies alles unannehmbar. Sie hatten 1938 einen eigenen Teilungsplan vorgelegt, in dem sie weit mehr Land verlangten, als ihnen die Peel-Kommission zugestehen wollte. Zionistische Terroristen sprengten aus Protest gegen das Weißbuch, das ihnen den eigenen Staat vorenthalten wollte, den palästinensischen Rundfunksender und erschossen einen Polizisten. In der Hauptsynagoge von Jerusalem zerfetzte der Oberrabbiner symbolisch ein Exemplar des Weißbuches.

Doch noch kam es nicht zum endgültigen Bruch, zum offenen Krieg zwischen Briten und Juden. Der Weltkrieg, Hitlers Pläne zur Judenvernichtung, sein Griff nach Nordafrika, zwangen die beiden wieder zum ungeliebten Bündnis gegen den Schöpfer des Holocaust.

Palästina wurde zur wichtigsten Etappe der britischen Streitkräfte im Nahen Osten. Und wieder, wie im Ersten Weltkrieg, nutzten die Engländer Juden wie Araber für ihre Zwecke. Zur Eroberung Syriens und des Libanon, wo noch die Vichy-Besatzer von Hitlers Gnaden saßen, setzte das britische Oberkommando sowohl die Arabische Legion des transjordanischen Herrschers Abdallah wie auch eine »Jüdische Brigade« ein, die der Neunten Armee der Engländer unterstellt wurde. Es war der Feldzug, bei dem Mosche Dajan - in britischen Diensten - ein Auge verlor.

Als Deutschlands Rommel 1942 nur noch 800 Kilometer von Tel Aviv stand, organisierte der berüchtigte Oberst Wingate Haganah-Truppen für einen Partisanenkrieg nach jugoslawischem Muster, falls die Deutschen wirklich bis Palästina gelangen sollten. Ihren weiteren Vormarsch sollte eine Art Westwall aufhalten, den die Engländer eilends auf den Golanhöhen an der Grenze zu Syrien anlegten.

Ironie der Geschichte: Die Bunker und Panzersperren auf den kahlen Golan-Bergen befestigte damals die jüdische Baufirma »Solel Bone«, die der Histadrut gehörte. 25 Jahre später erlitten die israelischen Streitkräfte ihre schwersten Verluste im Sechs-Tage-Krieg, als sie genau diese Stellungen stürmen mußten, in denen sich unterdessen die Syrer festgesetzt hatten.

Doch die Deutschen kamen weder aus dem Süden, wo Montgomery sie zurückschlug, noch vom Norden über den Kaukasus, wie Hitler es dem Mufti versprochen hatte - davor war Stalingrad.

Die Briten brauchten nun ihre jüdischen Hiwis nicht mehr und gingen daran, die Haganah zu entwaffnen - wogegen die sich zur Wehr setzte. Mosche Dajan wurde dafür in Akko eingesperrt.

Es kam, mitten im Krieg, zur gewaltsamen Konfrontation zwischen den Juden und den britischen Mandatsherren. Denn die Engländer behinderten, getreu ihrem letzten Weißbuch, die unkontrollierte jüdische Zuwanderung - und das gerade zu einer Zeit, da Hitlers Holocaust Palästina zum »letzten Rettungsanker« für die von Vernichtung bedrohten Juden Europas machte, wie der Pariser Rabbiner Kahn London beschwor.

Zionistenführer Weizmann bitter: »Gerade zu der Zeit, da zwei Millionen polnische Juden unter dem nationalsozialistischen Besatzerregime vollständig vernichtet werden, verhängt England eine vollständige Einreisesperre nach Palästina, sogar für diejenigen, denen es noch gelungen ist zu fliehen.«

Es kam zu schrecklichen Flüchtlingstragödien. 769 Juden aus Rumänien, wo die »Eisernen Garden« Jon Antonescus die jüdischen Bürger massakrierten, versuchten auf einem winzigen Kümo, das allenfalls für hundert Passagiere gut war, nach Palästina zu entkommen. Die Türken, von den Briten informiert, daß die Flüchtlinge nicht nach Palästina einreisen dürften, schleppten das Motorschiff »Struma« nach längerem Hin und Her wieder hinaus ins Schwarze Meer. Dort explodierte die »Struma«. Bis auf zwei Passagiere versanken alle im Meer - den beiden Überlebenden gestatten die Briten dann großmütig die Einreise ins Gelobte Land.

Aber die Engländer wiesen nicht nur Ankommende ab, sie begannen auch illegale Einwanderer zu deportieren. Sie wurden auf Zypern oder sogar auf der fernen Tropeninsel Mauritius interniert. S.187

Als der Dampfer »Patria« illegale Einwanderer aus Haifa nach Mauritius bringen sollte, sprengte die Haganah das Schiff noch im Hafen - 200 Menschen ertranken. Auf Mauritius waren die Lagerbedingungen so verheerend, daß Internierte von Seuchen weggerafft wurden.

Für die verzweifelten Juden, die, dem Holocaust entkommen, von ihren früheren treuesten Verbündeten derart drangsaliert wurden, gab es nur noch eins: Widerstand.

Der radikale Zionist Abraham Stern, Gründer der Stern-Gruppe oder »Lechi«, der wohl radikalsten bewaffneten Zionisten-Organisation, sah sogar »in den Deutschen nur den Feind, in den Briten aber den Erzfeind«. Er und seine Männer starteten einen rücksichtslosen Terrorfeldzug gegen die Mandatsmacht. Stern wurde 1942 von den Briten festgenommen und bei einem Fluchtversuch erschossen.

Dafür erklärte ein anderer Extremist den Briten am 1. Februar 1944 ganz offiziell den Krieg: der Chef eines zweiten radikalen Ablegers der Haganah, der »Irgun Zwai Leumi«, Menachem Begin.

Der junge Begin hatte einen abenteuerlichen Umweg in das Land seiner Vorväter hinter sich. Aus seinem Geburtsort Brest-Litowsk war er vor den Deutschen 1939 nach Lemberg, dann nach Wilna geflüchtet. Dort verhafteten ihn die Russen als britisch-zionistischen Agenten S.188 und brachten ihn zur Zwangsarbeit an die Petschora im eisigen Norden Rußlands.

Als die Deutschen auch die Sowjet-Union überfielen, wurde Begin freigelassen. Er schloß sich der polnischen Exilarmee des Generals Anders an. Über Rußlands Süden, das Kaspische Meer und den Iran gelangte er auf dem Landweg nach Palästina, wo er 1942 eintraf.

Gerade rechtzeitig, um die Briten von Anfang an hassen zu lernen. Die verwehrten verfolgten Juden die Einreise unter dem Vorwand, daß es in Palästina »schon 21 000 arbeitslose Juden gibt« oder weil »die Deutschen die Juden als Agenten schicken«.

Begin war schon in Polen glühender Anhänger des radikalen Zionisten Jabotinsky gewesen. In Palästina trat er in die Reihen der Irgun, deren Wappen ganz Palästina und Transjordaniens zeigte, darüber eine Hand mit Gewehr und die Parole »Der einzige Weg«.

Begin handelte ganz im Sinne seines »Vorbilds und Lehrers«. Er beschuldigte die Briten, ihnen komme durchaus zupaß, daß die Nazis die Juden ermordeten, »weil die ja sonst nur als Problem in Palästina auftauchen«. Somit »unterstützen sie Hitler aus selbstsüchtigen und gemeinen Gründen bei seinem Ausrottungsfeldzug«.

Begins Kriegserklärung an die Mandatsmacht hatte schon den pathetischen Tonfall, der dem Premier Begin heute noch eigen ist: »Der Waffenstillstand zwischen der jüdischen Jugend und der britischen Verwaltung im Lande Israel, die unsere Brüder Hitler überläßt, besteht nicht länger ... Die Briten verdienen die Peitsche, die wir nun über ihnen schwingen.«

Es war nicht nur eine Peitsche. Im März 1944 bereits ermordeten jüdische Terroristen sechs britische Polizisten. Im November erschossen zwei Stern-Leute in Kairo den britischen Kolonialminister Lord Moyne.

Der Anschlag erbitterte die Briten aufs äußerste - sogar den langjährigen Zionisten-Freund Winston Churchill: »Wenn unsere Träume für den Zionismus sich im Revolverrauch von Mördern auflösen sollten und wenn unsere Bemühungen um seine Zukunft eine neue, den Nazis ebenbürtige Bande von Gangstern hervorbringen sollten, dann müssen ich und meinesgleichen unseren so lange und beharrlich vertretenen Standpunkt gründlich revidieren.«

In einer einzigen Razzia verhafteten die Briten 2659 potentielle jüdische Terroristen. Begins Rache: Er ließ das Hauptquartier der britischen Streitkräfte und den Sitz der Mandatsverwaltung in Palästina, das »King David«-Hotel in Jerusalem, mit einer gewaltigen Dynamit-Ladung, die in Milchkannen in den Keller gebracht worden war, in die Luft jagen. 91 Menschen starben, davon 41 Araber, 28 Briten, 17 Juden und fünf Angehörige anderer Nationalitäten. S.189

Als die Briten Irgun-Terroristen henkten, rächte Begin dies mit dem Hängen zweier britischer Unteroffiziere in einem Orangenhain. Unter den Leichen der Ermordeten hatten seine Leute Sprengsätze vergraben.

Doch nicht nur die militanten Extremisten kämpften gegen die Briten. Auch die politischen Köpfe des Zionismus machten Front gegen die einstigen Förderer der jüdischen Heimstätte. Golda Meir höhnte: »Wir hörten immer, die Araber können so viele Schwierigkeiten bereiten, deshalb müßt ihr Juden nachgeben. So beschlossen wir schließlich, selber Schwierigkeiten zu machen.«

Die Zionisten forderten nun die sofortige Proklamation eines jüdischen Staates, da »Großbritannien durch seine Einwanderungsbeschränkungen für den Tod Hunderttausender Juden in Europa verantwortlich ist«.

Der Teilungsplan der Zionisten sah einen jüdischen Staat vor, der nahezu mit dem identisch ist, den sich die Juden später im Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 eroberten.

Edward Grigg, ein Beamter des britischen Foreign Office, prophezeite, wie Lord Nicholas Bethell in seinem Buch »Das Palästina-Dreieck« berichtet, »die Teilung würde sehr wahrscheinlich zur Entstehung eines jüdischen Nazi-Staates von bitter unbefriedigtem und daher aggressivem Charakter führen.«

Churchill beschied die Zionisten, nun müßten die Siegermächte über Palästina befinden. Von denen setzte sich aber auf der Potsdamer Konferenz nur einer für die Pläne der Juden ein - der neue Verbündete der Zionisten, US-Präsident Harry S. Truman.

Schon während des Krieges hatten die zahlenmäßig starken und einflußreichen amerikanischen Zionisten die Schutzherrschaft über das »Jüdische Nationalheim« in Palästina übernommen. In einer Resolution zum 25. Jahrestag der Balfour-Deklaration am 2. November 1942 forderte eine Mehrheit des US-Kongresses die Verwirklichung des Judenstaates.

Die US-Zionisten beriefen eine Konferenz ins New Yorker Biltmore-Hotel ein, auf der die »offizielle Anerkennung des Rechtes der Juden auf Palästina« verlangt wurde. Im »Biltmore«-Programm ist von einem »möglichen Transfer der arabischen Bevölkerung in den Irak« die Rede, denn, so Biltmore-Teilnehmer Ben-Gurion, »je weniger Araber es in den Grenzen des zukünftigen Staates geben wird, desto besser«.

Radikalen wie Begin und Jabotinsky war das Biltmore-Programm zu zahm, weil nicht ausdrücklich »Palästina beiderseits des Jordan« gefordert wurde.

Mobilisiert von Amerikas Juden, mit vier Millionen eine mächtige Wählergruppe, übernahmen die meisten amerikanischen Politiker die Forderungen der Zionisten. Präsident Truman erläuterte protestierenden arabischen Diplomaten ganz offen seine Beweggründe: »Tut mir leid, meine Herren, aber ich muß mich den Hunderttausenden stellen, die den Erfolg der Zionisten wünschen. Ich habe keine Hunderttausende von Arabern unter meiner Wählerschaft.«

Truman verlangte, 100 000 überlebende Juden, die in europäischen Lagern für »Displaced Persons« warteten, sollten sofort nach Palästina transportiert werden - eine Forderung, die er als Wahlhilfe für einen demokratischen Bürgermeisterkandidaten in New York - der Stadt mit der größten Judenbevölkerung der Welt - auch öffentlich wiederholen ließ.

Als der britische Außenminister Ernest Bevin daraufhin giftete, die Amerikaner wollten die Juden nur deshalb nach Palästina schaffen, »weil sie sie nicht in New York haben wollten«, brach in den USA eine wilde Pressepolemik gegen die Briten los. Bevin mußte bei einem Besuch in Amerika vor Attentats-Drohungen beschützt werden.

In New York feierte ein antibritisches Theaterstück Triumphe - »A Flag is Born« von Ben Hecht, in dem der Satz vorkam: »Die Engländer haben einen Zaun um das Heilige Land errichtet. Aber drei Dinge können sie nicht draußenhalten: S.190 den Wind, den Regen und die Juden«.

Die Briten wußten nicht mehr weiter. Sie ließen zunächst 20 000 Juden aus DP-Lagern einreisen. Dann formierten sie, zusammen mit den Amerikanern, wiederum eine Kommission, die das Problem studieren sollte. Deren Mitglieder suchten DP-Lager, Palästina, aber auch Kairo auf, um die Meinung aller Beteiligten zu erforschen.

Als ein Delegations-Mitglied in der ägyptischen Hauptstadt den Generalsekretär der Arabischen Liga, Abd el-Rahman Assam, fragte, warum die Araber nicht mehr Verständnis für die Juden zeigten, die »och Semiten seien wie die Araber auch, antwortete Assam: Unser » » jüdischer Bruder wanderte nach Europa aus, und er kommt nun » » als jemand anders zurück. Er kommt zurück als russischer » » Jude, als deutscher Jude, als polnischer Jude, als englischer » » Jude. Er kommt mit völlig neuen, mit westlichen Ideen zurück. » » Die Juden, unsere alten Vettern, kommen mit imperialistischen » » Ideen, mit materialistischen Ideen, mit reaktionären oder » » revolutionären Ideen zurück und versuchen, diese einmal unter » » britischem Druck, nun auch mit amerikanischem Druck, ein » » andermal mit eigenem Terror uns aufzuzwingen. Das ist nicht » » mehr unser guter alter Vetter. Deshalb heißen wir ihn auch » » nicht willkommen. Der Zionist, der neue Jude, kommt, um zu » » herrschen. Er gibt vor, eine besondere, zivilisierende » » Mission gegenüber einer rückständigen, degenerierten Rasse zu » » haben, fortschrittliche Elemente in eine rückständige Region » » zu bringen. Die Araber sagen zu dem ein ganz einfaches NEIN. » » Wir, die arabische Nation, sind weder reaktionär noch » » rückständig. Wir werden uns nicht kontrollieren und » » beherrschen lassen, weder von anderen großen noch von kleinen » » oder zerstreuten Nationen. »

Die Kommission empfahl schließlich einen gemeinsamen jüdisch-arabischen Staat in Palästina. Die Briten sollten dieses unabhängige Gemeinwesen vorbereiten - aber rasch die 100 000 wartenden S.191 Juden einreisen lassen und eine weitere Einwanderung ebensowenig beschränken wie weiteren jüdischen Landkauf.

Die Araber lehnten dies strikt ab. Sie wollten ein arabisches Palästina, allenfalls mit garantierten Rechten für die jüdische Minderheit. König Ibn Saud von Saudi-Arabien sagte voraus: »Die Bildung eines jüdischen Staates in Palästina wird ein tödlicher Schlag gegen die Araber und eine dauernde Bedrohung des Friedens in der Region sein.«

Die Briten machten auf einer Round-Table-Konferenz in London einen letzten Versuch, das Problem auf ihre Weise zu lösen: Sie schlugen, obwohl die jüdische Bevölkerung noch weit in der Minderheit war, einen Staat mit einem Zwei-zu-eins-Proporz für Juden und Araber in Palästina vor.

Der Mufti Amin el-Husseini, der nach einer abenteuerlichen Flucht über Süddeutschland, die Schweiz, Frankreich und Ägypten wieder nach Palästina gekommen war, wo er im Untergrund lebte, da die Briten ihn als Kriegsverbrecher anklagen wollten, agitierte gegen jeden Kompromiß und für bewaffneten Kampf aller Araber gegen die Juden.

Auch die Zionisten waren für Gewalt. Ihr Funktionär Bernard Joseph stellte sich die Lösung so vor: »Arabischer Widerstand gegen den Judenstaat? Ein paar Schüsse über die Köpfe hinweg oder vielleicht auch in die Menge hinein werden wohl reichen!«

Die im Weltkrieg ausgebluteten Briten verloren jede Lust an ihrer schwierigsten Besitzung, in der sie über hunderttausend Soldaten stationieren mußten, um die Ordnung notdürftig aufrechtzuerhalten, und in der sie ins Kreuzfeuer aller Beteiligten geraten waren.

Als sich auch noch die Sowjet-Union einmischte und ebenfalls eine Teilung Palästinas forderte, mit der sich »die Uno beschäftigen« sollte, gaben die Briten das Mandat, das sie sich einst vom Völkerbund bestätigen hatten lassen, an die Nachfolgeorganisation, die Vereinten Nationen, zurück.

Aus der direkten Verantwortung waren sie damit noch nicht, denn bis zu einer Uno-Entscheidung sollte Großbritannien noch weiter für die Ordnung im Land sorgen. Es wurden die bittersten Monate für die Kolonialmacht - und am Ende standen ein jüdischer Staat und eine vertriebene arabische Bevölkerung.

Im nächsten Heft

Der Teilungsplan der Uno - Krieg zwischen Arabern und Juden - Die Tragödie der »Exodus« - Mord an Uno-Vermittler Graf Bernadotte - Der Judenstaat und seine Folgen

S.174

Als ich das Tal zuerst 1920 sah, war es eine Einöde. Vier oder fünf

kleine Araberdörfer waren auf den Hügeln zu sehen. Sonst war das

Land unbewohnt. Es gab kein Haus, keinen Baum. Nachdem nun der

Jüdische Nationalfonds 51 Quadratmeilen im Tal erworben hat, wurden

20 Schulen eröffnet und ein Spital ... Alle Sümpfe im kolonisierten

Gebiet wurden trockengelegt, im Frühling erstrecken sich meilenweit

Gemüse- und Getreidefelder. Was vor fünf Jahren fast Wildnis war,

verwandelte sich vor unseren Augen in blühendes Kulturland.

*

S.181

Palästina ist das Herz unseres arabischen Vaterlandes, das

Bindeglied, das die Araber Asiens und Afrikas, die des Nordens und

die des Südens der Arabischen Halbinsel verbindet ... durch

Palästina stehen die Araber in Verbindung mit der abendländischen

Welt ... der Handelswelt Europas. Man soll nicht denken, daß die

Araber die Okkupation Palästinas durch irgendeine fremde Macht

hinnehmen werden.

*

S.190

Unser jüdischer Bruder wanderte nach Europa aus, und er kommt nun

als jemand anders zurück. Er kommt zurück als russischer Jude, als

deutscher Jude, als polnischer Jude, als englischer Jude. Er kommt

mit völlig neuen, mit westlichen Ideen zurück. Die Juden, unsere

alten Vettern, kommen mit imperialistischen Ideen, mit

materialistischen Ideen, mit reaktionären oder revolutionären Ideen

zurück und versuchen, diese einmal unter britischem Druck, nun auch

mit amerikanischem Druck, ein andermal mit eigenem Terror uns

aufzuzwingen. Das ist nicht mehr unser guter alter Vetter. Deshalb

heißen wir ihn auch nicht willkommen. Der Zionist, der neue Jude,

kommt, um zu herrschen. Er gibt vor, eine besondere, zivilisierende

Mission gegenüber einer rückständigen, degenerierten Rasse zu haben,

fortschrittliche Elemente in eine rückständige Region zu bringen.

Die Araber sagen zu dem ein ganz einfaches NEIN. Wir, die arabische

Nation, sind weder reaktionär noch rückständig. Wir werden uns nicht

kontrollieren und beherrschen lassen, weder von anderen großen noch

von kleinen oder zerstreuten Nationen.

*

S.179Hans Lebrecht: »Die Palästinenser«. Verlag Marxistische Blätter,Frankfurt; 272 Seiten; 17,80 Mark.*S.191Rabbiner, die in einem Lager auf die Auswanderung nach Palästinawarten.*

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