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Briefe

GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG
aus DER SPIEGEL 44/1956

GESCHWINDIGKEITSBESCHRÄNKUNG

Erschreckend, zu sehen, daß und wie das Geschwindigkeitsproblem bei uns zu einem Politikum werden konnte. Bleibt noch die Frage nach dem »Weshalb«, die wohl am zutreffendsten damit beantwortet wird, daß die große Majorität der Wähler (genau wie die der durch Zebra-Aktionen hofierten Leser großer und größter westdeutscher Tageszeitungen) bis auf weiteres aus Fußgängern bestehen wird. Kollidiert auf der Fahrbahn ein Mitglied dieser Gruppe mit einem Angehörigen der Kfz-bewehrten Minderheit, zieht es in der Regel den kürzeren. Kommen solche Fälle vor den Verkehrsstrafrichter, wird angesichts der bedauernswerten erlittenen Verletzungen des Majoritätsmitgliedes dessen - sehr oft überwiegendes - Mitverschulden gar nicht erst geprüft, sondern der beteiligte Kraftfahrer muß als der Stärkere und deshalb Gefährlichere aus seinem - sehr oft nur ganz geringen - Verschuldensanteil die strafrechtlichen Folgen allein tragen. Nur so kommt es zu den statistischen Unterlagen.

Solche Ergebnisse der mens populi gegenüber propagandistisch noch mehr zu überspitzen, scheint der ehrenwerte Kraftfahrtraumatiker Rümmele der rechte Mann am rechten Platz zu sein.

Hamburg 39 R. MERTEN

Rechtsanwalt

Nach Wageneinheiten gerechnet, konnte die Bundesrepublik im Weltexport die zweite Stelle einnehmen und rangiert nunmehr als zweiterfolgreichstes Exportland in der Welt zwischen Großbritannien und den USA.

Sind sich die passionierten Eisenbahner, wie Herr Seebohm und Herr Rümmele, die bei jeder passenden und vor allem auch unpassenden Gelegenheit das Auto zugunsten der Eisenbahn am Po festhalten wollen, darüber klar, daß die Voraussetzung für einen Exporterfolg ein gut funktionierender Binnenmarkt ist? Was für Typen werden wohl produziert werden, wenn die Geschwindigkeit auf 80 Stundenkilometer in der Bundesrepublik begrenzt ist?

Braunschweig ARMIN VON STAHL

Zu Ihrer sehr lesenswerten Darlegung über die Frage allgemeiner Geschwindigkeitsbegrenzung in der Story über meinen Bundestagskollegen, den Verkehrsausschuß-Vorsitzenden Rümmele, folgenden Hinweis: Ausweitung, Modernisierung und Leistungsfähigkeit unserer Straßennetze müssen an der Spitze stehen, wenn dem Verkehrstod in Deutschland Einhalt geboten werden soll. Das alljährliche Herumbasteln an der Straßenverkehrsordnung hat - bisher jedenfalls - keinerlei zu Buch schlagenden Erfolg gehabt. Trotzdem aber sollte man das Problem der Geschwindigkeiten nicht vollständig negligieren. Wenn zum Beispiel in derselben Nummer des SPIEGEL, 8 Seiten nach der Rümmele-Geschichte, sich eine ganzseitige Anzeige findet, in der, eine unserer renommiertesten Personenwagenfirmen mit Spitzengeschwindigkeiten von 170, 190 und sogar 220 Stundenkilometern renommiert, dann ist das ein bedenkliches Zeichen. Hier wird doch tatsächlich an die Großmannssucht und Kraftmeierei gewisser Herrenfahrer appelliert sowie an das fehlgeleitete Prestige-Bedürfnis gewisser Manager. Unsere Automobilfirmen sollten statt dessen mit der Kürze ihrer Bremswege werben! Wer im normalen Verkehr auf unseren heutigen Autobahnen mehr fährt als 150 Stundenkilometer, handelt in der Regel grob fahrlässig.

Hamburg HELMUT SCHMIDT

MdB

Jeder an zügiges Fahren gewöhnte Kraftfahrer wird bestätigen, daß die Möglichkeit einer Unfallverursachung für ihn dann am größten ist, wenn sich durch freiwilliges oder erzwungenes Langsamfahren die Aufmerksamkeit vom Verkehr auf außerhalb des Verkehrs liegende Dinge abzweigt.

Köln-Sülz WERNER SCHUNK

Dipl.-Kaufmann

Wenn der Herr ADAC-Vizepräsident Bretz feststellt, daß auch beim Schwimmen oder durch Alkoholgenuß viele Menschen umkommen, ohne daß deshalb irgendwelche Verbote ausgesprochen werden, so ist dies kein Argument, das auch nur in irgendeiner Form überzeugen könnte - im Gegenteil. Beim Schwimmen wie bei zu starkem Alkoholgenuß erleidet in der Regel nur der Schaden, der durch irgendwelche Umstände sein Leben oder seine Gesundheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt hat. Im Straßenverkehr ist es aber doch ganz anders. Da gefährdet der rücksichtslose Fahrer nicht nur sich, sondern in sehr starkem Maße auch andere und setzt deren Leben aufs Spiel. Und deshalb muß reglementiert werden! Notfalls eben auch in Form einer Geschwindigkeitsbegrenzung.

Stuttgart WILLI MUGGENTHALER

. . . Wenn ein gütiges und gerechtes Geschick es fertigbrächte, daß nur all jene sich die Hälse brechen, die den Rausch der Geschwindigkeit auskosten wollen wie der Alkoholiker den seinen, so wäre ein Gesetz genauso unwichtig wie für Schwimmer und Alkoholiker.

Ulm (Donau) RUDOLF GRÄBER

Herr Rümmele hat sich selbst ziemlich treffend charakterisiert: Weil der »Ackergaul« nicht schneller kann (und auch gar nicht will), versucht er die »tänzelnden Reitpferdchen« daran zu hindern, schneller zu laufen als er. Gut, daß nicht alle Politiker eine derartige Mentalität haben.

Schwöbber (Hameln) PETER GORNY

Durch die gegenwärtige Besteuerung des Hubraums werden die in jeder Hinsicht unwirtschaftlichen Kleinwagen quasi staatlich subventioniert. Völlig verbrauchte Kleinwagen finden häufiger Interessenten, die mit ihnen den Verkehr »belästigen« (schon allein mit ihrem Lärm), als oft gut erhaltene Pkws mit hohem Hubraum.

Westerstede DIETRICH SANDER

Durch die Kfz-Steuergesetzgebung herausgefordert wurde der Run zum kleinvolumigen Motor, also zum temperamentlosen Fahrzeug, dessen minimales Beschleunigungsvermögen vielfach zur Unfallursache wird - weil man es nämlich aus der gefährlichen Situation (zum Beispiel Überraschungen beim Überholen) nicht genügend schnell herausbeschleunigen kann. Katastrophal in dieser Hinsicht die Rollermobile, die alles andere als eine Volksfreude sind - sie sind unverhältnismäßig teuer in Anschaffung und Betrieb und so lahme Enten, daß ich sie als die gefährlichsten Vehikel auf unseren Straßen ansehe. Weiter ergab sich ganz automatisch, um wenigstens noch halbwegs tragbare Beschleunigungswerte bei schwachen Motoren zu erhalten, der konstruktive Trend zum Liliputrad (13 Umdrehungen pro Sekunde), bei dem die Bremsen verkümmern mußten und somit eine erneute Unfallgefahr heraufbeschworen wurde. Wäre man endlich so klarblickend, die Hubraumsteuer abzuschaffen und durch entsprechenden Steuerausgleich der Mineralsteuer den Kraftfahrer zu schröpfen, so ergäbe sich nicht nur eine gerechtere Belastung des einzelnen - nämlich entsprechend seiner echten Fahrleistung -, sondern die Industrie könnte auch wesentlich verkehrsgeeignetere Fahrzeuge bauen. Nicht umsonst liegen ja die relativen Unfallziffern in den USA so niedrig: Die dortigen Wagen haben ein ausreichendes Beschleunigungsvermögen (durch ihre großvolumigen Motoren) und auch standfeste Bremsen (wegen der größeren Räder).

Stuttgart W. A. W. MANTZEL

Oberingenieur

Seit langem hat sich doch in interessierten Kreisen rundgesprochen, daß die Feststellungen des Instituts für Verkehrspsychologie in Karlsruhe, nach denen ein geringer Prozentsatz von »Unfällern« die Mehrzahl der Unfälle verursacht, durchaus eines der Kernprobleme richtig ansprechen. Hier sollte der Herr Rümmele den Hebel ansetzen!

Euskirchen-Kessenich DIETRICH OEDEKOVEN

Assessor

Ich selbst habe vor drei Jahren die zitierte Hamburger Untersuchung für das Kölner medizinisch-psychologische Verkehrsinstitut von Dr. Lejeune durchgeführt, die seine Minderheitentheorie auf der Basis eines breiten Materials verifizierte... Es fruchtet nicht genug, den Unfäller an Hand der Verkehrssicherheitskartei erst im wahrsten Sinne posthum zu belangen, sondern man muß ihn auf Grund seiner unfallfördernden Dispositionen, die ja erfaßbar und zum großen Teil auch schon erfaßt sind, prophylaktisch vom Verkehr ausschalten. Erst so wird er zu therapeutischen Maßnahmen zu überzeugen sein, die ja dann auch nicht zu spät kommen. Das heißt, daß die Erteilung des Führerscheins nicht von einer Fahrprüfung, sondern von einer Fahreignungsprüfung abhängig sein muß, die am Anfang des Unterrichts stehen kann.

Hirschau (Tübingen) DR. ULRICH BEER

Diplom-Psychologe

Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, Ihnen mitzuteilen, warum die Unfallquote in den USA so niedrig ist:

1. Gute Straßenverhältnisse und ausreichende Beschilderung.

2. Geschwindigkeitsbegrenzung nach unten und nach oben, das heißt Förderung eines flüssigen Verkehrs bei gleichzeitiger Eindämmung von Raserei (in Deutschland oft synonym mit Auto-Angeberei).

3. Scharfes Vorgehen (law enforcement) gegen die »Verkehrslümmel« seitens einer gut ausgerüsteten Verkehrspolizei, die höflich aber bestimmt ihres Amtes waltet und nicht nur Parksünder zur Rechenschaft zieht.

Bremen H. E. BURCHARDI

Die These, daß die Straßenverhältnisse dem gesteigerten Verkehr angepaßt werden müssen, kann von niemandem widerlegt werden. Dazu wäre aber längst Zeit und Gelegenheit gewesen, als der Herr Bundesfinanzminister Milliarden von Steuergeldern hamsterte und stillegte, während monatelang nur 40 Prozent der deutschen Baukapazität beschäftigt war... Nun müssen Wehrbauten, Wohnungen und Straßen gleichzeitig gebaut werden. Es wäre sehr wohl möglich gewesen, alles ein bißchen sinnvoll zu verteilen.

München MICHAEL SEIDL

Wie die von Ihnen veröffentlichte »Polizei -Bekanntmachung wider das schnelle Fahren aus dem Jahre 1841 beweist, haben auch schon unsere Altvorderen Schwierigkeiten mit dem Verkehr gehabt. Hier ein weiteres Beispiel: Im Jahre 1806 erließen die Verwaltungsbehörden folgende scharfe Verordnung:

Indem von dem rohen Volk der Fuhrleute auf den Heerstraßen keiner dem andern ausweichen will, entstehen so viele öfters sehr ernste Unfälle, Mißhandel und Beleidigung, daß man sich genötigt sieht zu verordnen:

1 Von der Abfahrt hält jeder die rechte Seite der Straße ein.

2. Derjenige, welcher die Linke eingeschlagen hat, ist schuldig, jeder andern, gleichviel von welcher Bespannung, auszuweichen welche auf ihrer Seite ist.

3. Langsam gehende Fuhren weichen auf Ihre Seite den ihnen nachfolgenden schnellen aus, wovon allein die Postwägen ausgenommen sind.

4. Nur bei nassen Wegen ist erlaubt, auf den Fußpfäden der nicht über 24 Schuhen breiten Straßen zu reiten.

5. Die Reitenden haben den Fußgängern auszuweichen.

6. Jeder dagegen Handelnde soll auf einlangende Klagen an dem Orte anhalten, zwei Taler Strafe. Schaden und Kosten bar bezahlen, und wenn er sich hat Beleidigungen und Mißhandel hat zu Schulden kommen lassen, verurteilt werden und polizeilich gefänglich eingeliefert weiden.

Die nicht dies vollstreckenden Obrigkeiten werden für das erste mal mit der nämlichen Strafe belegt, zum zweiten male als untauglich entsetzt.

Damit sich keiner mit Unwissenheit entschuldigen kann, soll dies allen Gemeinden und Insbesondere den Bespannten verkündet und in allen Wirts- und Gasthausern angeschlagen, auch so oft nötig, erneuert werden.

Düsseldorf JAC. BÖRGARTZ

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