Gesetzentwurf zur Munitionsbeschaffung Notfalls mit Zwang

Die EU-Kommission will den Munitionsnachschub für die Ukraine sicherstellen und plant ein brisantes Gesetz: Unternehmen sollen zur Abgabe von Munition an EU-Staaten verpflichtet werden können.
Von Markus Becker, Brüssel
Panzerhaubitze 2000 (hier bei Übung): Hoher Munitionsbedarf

Panzerhaubitze 2000 (hier bei Übung): Hoher Munitionsbedarf

Foto: Sven Eckelkamp / IMAGO

Die EU-Kommission will Rüstungsunternehmen in der EU künftig per Gesetz verpflichten können, Munition an Mitgliedsländer statt an Staaten außerhalb der EU zu liefern. Das ist nach SPIEGEL-Informationen Teil eines Gesetzesvorschlags, den die Kommission am Mittwoch beschließen will. Damit will die EU-Behörde sicherstellen, die Ukraine schnellstmöglich mit dringend benötigter Munition versorgen zu können.

Klagen aussichtslos

Dem Vorschlag zufolge soll der Mechanismus greifen, wenn es zu »Engpässen bei kritischen Verteidigungsgütern, die die Sicherheit der EU beeinträchtigen können« kommt. Die Kommission soll Unternehmen dann dazu verpflichten können, Bestellungen aus EU-Ländern vorrangig zu bedienen – und Lieferungen an Nicht-EU-Länder zu verschieben oder zu streichen.

Zum Auslösen des Mechanismus soll es genügen, wenn ein EU-Staat, der Munition für die Ukraine beschaffen will, ein Eingreifen der Kommission fordert – oder wenn dies mindestens drei Mitgliedsländer tun, die eine gemeinsame Munitionsbeschaffung planen. Klagen aus betroffenen Drittländern, die womöglich leer ausgehen würden, bräuchten die Hersteller nicht zu befürchten, wie es aus Kommissionskreisen heißt: Das Einschreiten Brüssels sei rechtlich als höhere Gewalt anzusehen.

Zustimmung durch EU-Parlament nötig

Zudem will die Kommission nicht allein, sondern in Abstimmung mit den Ländern vorgehen, in denen die betroffenen Rüstungsunternehmen sitzen. Alles andere sei kaum durchsetzbar, da die Verteidigungszusammenarbeit mit Drittstaaten zum Kern staatlicher Souveränität gehöre. Zudem ist die Zustimmung der EU-Länder und auch des Europaparlaments notwendig, damit das Gesetz überhaupt in Kraft treten kann.

Hintergrund des Gesetzesvorschlags, für den EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton verantwortlich ist, sind die Beschlüsse der EU-Staats- und Regierungschef von Ende März. Demnach will die EU der Ukraine binnen zwölf Monaten eine Million Schuss Artilleriemunition liefern. Zudem sollen die EU-Staaten künftig gemeinsam Munition beschaffen und ihre Herstellungskapazitäten drastisch erhöhen.

EU-Binnenmarktkommissar Breton

EU-Binnenmarktkommissar Breton

Foto: Lukasz Kobus/European Commission/dpa

Die Umsetzung verläuft bisher allerdings schleppend: Von der angestrebten Zahl sei man noch »weit entfernt«, wie ein ranghoher Diplomat einräumt. Auch über die Details der gemeinsamen Beschaffung gibt es bisher keine Einigung. Grund ist vor allem der Widerstand Frankreichs gegen einen Einkauf von Munition in Drittstaaten.

An der Fähigkeit, der Ukraine Munition in ausreichender Menge bereitzustellen, mangelt es nach Ansicht der Kommission dagegen schon jetzt nicht. Breton habe sich mittlerweile in 25 der 27 EU-Länder ein Bild der Herstellungskapazitäten verschafft. Genaue Zahlen seien geheim, wie ein Kommissionsbeamter betont. Allerdings brauche man sich im Vergleich mit internationalen Partnern nicht schämen – man liege sogar vorn.

Auch die Lieferung von einer Million Artilleriegranaten pro Jahr halten Bretons Leute für erreichbar. Dass dies bisher nicht gelingt, liege unter anderem daran, dass große Teile der europäischen Munitionsproduktion an Länder außerhalb der EU gingen.

Der Mechanismus zur Priorisierung von Lieferungen an EU-Staaten könnte hier Abhilfe schaffen. Einen ähnlichen Passus enthält auch der kürzlich beschlossene sogenannte Chips Act, mit dem die EU die Herstellung von Halbleitern ankurbeln und damit ihre eigene Unabhängigkeit etwa von chinesischer Technologie stärken will.

Das Gesetz zur Munitionsbeschaffung trägt den sperrigen Namen »EU Act to Support Ammunition Production«, für dessen Wahl allerdings die Abkürzung »ASAP« mitentscheidend gewesen sein dürfte – im Englischen steht er für »schnellstmöglich« (»as soon as possible«).

Mit Boni zum Ziel

Der Entwurf soll nach Angaben aus der Kommission auch klarstellen, dass EU-Staaten Strukturfördermittel und Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für den Aufbau von Rüstungskapazitäten verwenden dürfen. Zudem wolle man vorschlagen, 500 Millionen Euro aus dem EU-Budget in die Munitionsherstellung zu leiten – 260 Millionen aus dem Europäischen Verteidigungsfonds EDF und 240 Millionen aus dem »Instrument zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung« (EDIRPA).

Die EU-Länder sollen aus diesem Topf 40 Prozent Rückzahlung für ihre Ausgaben bekommen. Schaffen sie neue Partnerschaften zur Munitionsherstellung, sollen sie einen Bonus von zehn Prozent bekommen. Weitere zehn Prozent soll es geben, wenn das entsprechende EU-Land Lieferungen an die Ukraine priorisiert.

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