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ZWEITES PROGRAMM Gespenst im Studio

aus DER SPIEGEL 47/1964

Das Mainzer Lokalblatt »Allgemeine Zeitung« machte hinter dem Bildschirm einen »bösen Buh-Mann« aus, der »an gewissen Ästen und Stuhlbeinen sägt«.

»Kommerzialisierung heißt das Gespenst«, erläuterte das Blatt, das »durch die Studios und Büros des (von den Bundesländern gegründeten) Zweiten Deutschen Fernsehens geistert. Alle sprechen darüber, doch keiner hat's bisher gesehen.«

Selbst der Mainzer Intendant Professor Karl Holzamer bekam seinen Hausgeist noch nicht zu Gesicht. Er bemüht sich vergeblich darum, seit Mitte Oktober durchsickerte, daß Abgesandte des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) von Parteibüro zu Parteibüro und Länderstaatskanzlei zu Länderstaatskanzlei reisen, um die Verschmelzung des hoch verschuldeten Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) mit der »Gesamtheit der Tagespresse« vorzubereiten (SPIEGEL 42/1964). Ende Oktober suchte Holzamer den mysteriösen Buhmann mit der Aufforderung hervorzulocken, »daß die deutsche Öffentlichkeit von den bisher geheimgehaltenen Plänen einzelner Verleger unverzüglich im vollen Umfang unterrichtet wird«. Aber sein Ruf blieb ohne Echo.

Insgeheim sind jedoch die Verleger-Pläne zur Kommerzialisierung des Mainzer Fernsehens weiter gediehen: Noch in dieser Woche wollen die Verleger den Bonner Christdemokraten ein präzises Programm mit 13 Paragraphen zur Begutachtung vorlegen.

Die Pläne sind detailliert: Selbst das Markenzeichen, das künftig über den zweiten Kanal von den Mattscheiben flimmern soll, wird präsentiert: »Zweites Deutsches Fernsehen - Pressefernsehen«. Kernpunkte der Verleger-Konzeption:

- Das ZDF soll mit einer noch zu gründenden »Deutschen Fernseh-Aktiengesellschaft« (Anteil je Verleger: höchstens zwei Prozent) einen Vertrag abschließen, in dem sich Mainz verpflichten würde, die gesamte Programmgestaltung samt Werbung an die Verleger-AG abzutreten.

- Der ZDF-Intendant sowie der Fernseh- und der Verwaltungsrat sollen künftig nur noch Aufsichtsfunktionen ausüben, während die Verantwortung für das Programm - heute Sache des Intendanten - der AG übertragen würde.

Ein beschränktes Mitspracherecht wollen die Verleger den bisherigen Mainzer Aufsichtsgremien jedoch bei der Programmplanung belassen. Nach Billigung durch den Aufsichtsrat der AG sollen die Pläne jeweils dem Intendanten vorgelegt werden. Hat er Bedenken, kann er beim Aufsichtsrat Einspruch erheben.

Käme dabei keine Einigung zustande, so könnte eine »Schiedsstelle« angerufen werden, der je fünf Mitglieder der Anstalt (Intendanz, Fernsehrat und Verwaltungsrat) und der Verleger-Gesellschaft sowie ein Vertreter des jeweiligen Vorsitzenden der Ministerpräsidenten-Konferenz angehören würden.

Mit der Verantwortung wäre Intendant Holzamer zugleich die Last von 120 Millionen Mark Schulden los: Die Verleger wollen sie im Paket übernehmen und mit ihren Reingewinnen abtragen.

Auf die Feststellung der Mainzer »Allgemeinen«, Holzamers böser Hausgeist säge »an Stuhlbeinen«, geht der Paragraph 9 des Verleger-Konzepts ein: Es sei nicht daran gedacht, mit den Schulden auch das gesamte Mainzer Personal zu übernehmen.

Auf Mainzer Stuhlbeinen sitzen 2300 Leute.

ZDF-Intendant Holzamer

Ein Buhmann sägt am Stuhlbein

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