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PRESSE / "SAARBRÜCKER ZEITUNG" Gestatten Sie

aus DER SPIEGEL 46/1969

Über vier Jahre lang rangelten die Parteien an der Saar um eine mehr als 200 Jahre alte Institution des Landes. Am Mittwoch letzter Woche wurden sie sich einig -- in ihrem Überdruß.

Ministerpräsident Franz Josef Röder (CDU): »Genug des grausamen Spiels.« SPD-Landesvorsitzender Kurt Conrad: »Der Jammer hört nicht auf.« Landtagsvizepräsident Karl Wust (FDP): »Mir steht das hier oben.«

Streit und Überdruß galten der im 209. Jahrgang erscheinenden »Saarbrücker Zeitung«, Deutschlands ältester Tageszeitung mit einer eigenständigen Redaktion -- und der einzigen in der Bundesrepublik im Besitz einer Landesregierung.

Die merkwürdige Eigentumskonstruktion -- Spätfolge einer verschleierten Konfiskation des Blatts durch Hitlers NSDAP und fortwährender Anlaß zu Konflikt und Kritik -- hat der Saar-Landtag nunmehr beseitigt: Mit 27 gegen 19 Stimmen beschloß die CDU/FDP-Mehrheit des Parlaments, die Staats-Zeitung zu zerstückeln, zu verkaufen und zu verschenken.

Preis wie Modalitäten der Reprivatisierung werden von der Saar-Regierung noch ausgetüftelt. Für die Auswahl-Prozedur gab der frühere Wirtschaftsminister Dr. Norbert Brinkmann (CDU) letzte Woche vor dem Landtag ein Rezept: »Die Regierung kann nämlich, gestatten Sie mir den Ausdruck, die einzelnen Interessenten die Hosen runtermachen lassen, damit sie zeigen, wie potent sie sind.«

An Interessenten ist kein Mangel, seit die »Saarbrücker Zeitung« zum Verkauf ausgeboten wird. Denn das Blatt -- 1956 nach der Saar-Abstimmung vom französischen Außenministerium an die Saar-Regierung verkauft -- hatte den von drei Saar-Banken vorgestreckten Verkaufspreis von über einer Million Mark binnen sieben Jahren erwirtschaftet.

Seither wachsen die Überschüsse des Verlags, der von den an der Saar täglich vertriebenen 200 000 Stück Regionalzeitungen allein 165 000 Exemplare druckt, von Jahr zu Jahr. 1968 betrug der Betriebsgewinn 6,8 Millionen Mark; nach Abzug der Steuern: 3,2 Millionen.

Die Saar-SPD, die die Zeitung in eine von den drei großen Parteien getragene Stiftung umwandeln wollte, rechnete zuerst mit einem Taxwert von rund 15 Millionen Mark. SPD-Chef Conrad: »CDU und FDP haben damals erklärt, sie könnten ihren Anteil von je rund fünf Millionen Mark nicht aufbringen.«

Private Interessenten waren potenter als die Parteien. Der Verlag der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung« ("WAZ") offerierte eine 20prozentige Belegschaftsbeteiligung« die Errichtung eines Automobil-Zuliefererwerks im wirtschaftlich schwachen Saarland sowie zuletzt 35 Millionen Mark.

Der Offenburger Zeitschriftenverleger Dr. Franz Burda ("Bunte Illustrierte") versprach den Bau einer Tiefdruckanlage in Saarbrücken, die Verlegung eines in Reims geplanten Druckereibetriebs ins Saarland sowie die Vermittlung von Investitionen seines Freundes Max Grundig.

Der Betriebsrat der »Saarbrücker Zeitung« freilich bremste im Namen der über 700 Verlagsangestellten den Verkauf ("Warum muß überhaupt reprivatisiert werden?") und wollte allenfalls »eine Stiftung oder ein ähnliches Gebilde« akzeptieren.

Eine in Völklingen gegründete »Lesergemeinschaft der »Saarbrücker Zeitung"« hingegen forderte in Flugblättern unter dem Goethe-Motto »Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen« derart lautstark »Kleinaktien für den Leser«, daß sich beim Vorsitzenden Heinz Helfgen alsbald »vier Verfassungsschutzleute« einfanden -- »unter dem Vorwand: Wir interessieren uns als Saarbrücker Kegelklub für Ihren Flugblatt-Vorschlag« (Helfgen).

Doch die Abonnenten kamen sowenig zum Zug wie der Bischof von Trier, dessen »Paulinus«-Verlag sich ebenso beworben hatte wie die »Rhein-Zeitung« in Koblenz, die »Allgemeine Zeitung« in Mainz und die »Rheinpfalz« in Ludwigshafen. Auch »WAZ« und Burda wurden mit den Saarländern nicht handelseins.

Die CDU-Landtagsfraktion gab in einer Vorentscheidung den Zuschlag an den Stuttgarter Verleger Georg von Holtzbrinck -- Herr über Deutschlands zweitgrößtes Buchhandel-Imperium, Mitbesitzer von »Christ und Welt« und »Handelsblatt« und seit kurzem mit einem halben Dutzend Buchverlagen in einem Unternehmensverband vereint.

Holtzbrinck rechnete mit einem Gesamtpreis von 25 Millionen in bar, bot die Errichtung einer Druckerei und Buchbinderei in Saarbrücken mit 500 Arbeitsplätzen und akzeptierte das saarländische Modell: 26 Prozent des Stammkapitals gehen gratis an eine »gemeinnützige Institution«, 15 Prozent um ein Fünftel verbilligt an die Belegschaft, zehn Prozent an die drei Treuhänder-Banken und 49 Prozent an den Käufer und neuen Verleger.

Der Parteien-Streit an der Saar ist damit freilich nicht zu Ende: Unter Hinweis auf das 35-Millionen-Angebot der »WAZ« und unter Berufung auf die »Reichshaushaltsordnung Saar«, nach der Landeseigentum »nur gegen einen dem vollen Wert entsprechenden Preis veräußert« werden darf, will die SPD die Transaktion notfalls mit einer Verfassungsklage aufhalten.

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