PARAPSYCHOLOGIE Gesteuerter Zombie
Wenn irgendwo die Wände wackeln oder Teller aus den Regalen segeln, und keiner weiß, warum; wenn vor Uri Geller sich Gabeln biegen oder im Lokusbecken einer Zahnarztpraxis der »Chopper« lamentiert - dann ist Hans Bender, 76, zur Stelle.
Seit 1950 leitet der Professor das Freiburger »Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene«, bis vor acht Jahren besetzte er einen Lehrstuhl für Parapsychologie an der Freiburger Universität, das einzige Orakel-Ordinariat in Europa, und noch immer wird er aus aller Welt um Rat gefragt, wenn es spukt. Nun aber droht der Umgang mit der Geisterwelt ihn vor den irdischen Richter zu bringen.
Hans Bender ist angeklagt, Privatgeheimnisse preisgegeben zu haben, die er hätte für sich behalten müssen. Nach Paragraph 203 des Strafgesetzbuches wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe belegt, »wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis ... offenbart«, das ihm als Arzt oder als Angehörigem eines anderen Heilberufs »anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist«. Und diesen Bruch der ärztlichen Schweigepflicht soll der Parapsychologe ausgerechnet in der Dissertation begangen haben, die ihn 1980 erst zum Dr. med. gemacht hat.
Kläger ist Heiner Scholz, 32, einst Lehrjunge in Bremen, jetzt Gärtner in Westfalen. Er war im Juni 1965 mit Bender in Kontakt gekommen, als im Haushaltswarengeschäft Surowitz in Bremen-Vahr immer wieder Tassen oder Kaffeekannen von oben kamen oder Porzellan einfach an der Lagerwand zerbarst. Forscher Bender machte damals die medialen Kräfte des Lehrlings Scholz für den Scherbenhaufen verantwortlich; der Knabe, eben vierzehn, sei zwar subjektiv unschuldig, objektiv aber die Ursache für das gespenstische Geschehen.
Bender nahm den Jungen mit nach Freiburg, um dessen Veranlagung und seine Fähigkeit als Medium zu überprüfen. Für den Professor war es ein Testfall für seine Theorien über die »Telekinese« - ein Vorgang, bei dem Gegenstände quasi ferngesteuert durch die übersinnlichen Kräfte eines Mediums in Bewegung geraten. Die Sache schien musterhaft, denn während der Abwesenheit des Lehrlings ging in Bremen tatsächlich nichts mehr zu Bruch.
Aber mindestens einer glaubte nicht daran. Zum erbitterten Widersacher Benders wurde damals Herbert Schäfer, Chef des Bremer Landeskriminalamts. Schäfer ficht seit Jahrzehnten gegen die Ausnutzung von Aberglauben, Astrologie und Okkultismus. Der Kriminalist, der seine Laufbahn als Landgendarm in Bayern begann, ist Autor etlicher Kampfschriften gegen spiritistischen Unfug, und auch für ihn war der Lehrling Scholz ein Paradebeispiel.
Schäfer nahm ebenfalls Verbindung mit dem Bender-Medium auf, und 1978 brachte die persönliche Aufklärungsarbeit den großen Erfolg: Heiner Scholz legte öffentlich ein »Geständnis« ab. In einer Fernsehsendung schilderte er detailliert und in einem nachgestellten Keller, wie er seinen Lehrherrn und dann Bender an der Nase herumgeführt habe, mit Tricks und Tonbändern und jedenfalls nur aus Jux.
Hans Bender aber ließ sich nicht beirren. »Unsere detaillierten Überlegungen«, so der Professor in der »Zeitschrift für Parapsychologie«, »konnten von den Gegnern in keinem Punkt widerlegt werden.« Einen Prozeß wegen der Rufschädigung, die ihm sein Medium angetan hatte, wollte Bender nicht anstrengen, aber von seiner Wahrheit ist er bis heute überzeugt: »Das Geständnis ist erlogen, das ist falsch«, Scholz sei ein »Pseudologe«, ein krankhafter Fabulierer. Doch Bender selbst, so kam dann heraus, hatte auch ein wenig fabuliert.
Von Unbekannt wurde gegen den Professor Strafanzeige wegen unberechtigter Titelführung erstattet, ein sogenanntes Offizialdelikt, das der Staatsanwalt in jedem Fall verfolgen muß. In Vorlesungsverzeichnissen und Nachschlagewerken war Bender stets mit einem Doppel-Doktor aufgetaucht. Nun aber erwies sich, daß der Parapsychologe zwar ordnungsgemäß zum Dr. phil. promoviert hatte, aber nicht zum Dr. med.
Bender hatte wohl in den Kriegsjahren Medizin studiert und auch das Staatsexamen bestanden. Die Doktorarbeit, die er damals nach seinem Bekunden geschrieben hat, ist jedoch nicht aufzufinden, ein Diplom ihm nie überreicht worden. Es sei trotzdem alles Rechtens verlaufen in den Jahren 1940/41, beteuert Bender: »Ich hätte mich darum kümmern sollen, das habe ich wirklich verschlampt.«
Das Verfahren wurde eingestellt, der Freiburger Ordinarius kam mit einer Geldbuße davon. Und ehrenhalber reichte er dann bei der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg doch eine Dissertation ein; sie wurde akzeptiert, und seit 1980 kann Bender sich rechtmäßig Dr. med. nennen. Vor seinen Verfolgern schützte ihn das allerdings nicht.
Denn Heiner Scholz, für Bender ein »gesteuerter Zombie von Schäfer«, dem Kriminaldirektor aus Bremen, ließ über die in Mannheim ansässige »Zentrale zur Bekämpfung der Unlauterkeit im Heilgewerbe« den Strafantrag wegen Geheimnisbruchs erstatten. Zwar hatte Bender in seiner Doktorarbeit nur den Fall eines »Heiner S.« beschrieben, aber zur Dokumentation im Anhang gehörte ein Bericht aus der »Zeit«, in dem der längst hinlänglich bekannte Klarname Heiner Scholz vorkommt.
Dem Heidelberger Staatsanwalt Rüdiger Lutz erscheint das ausreichend für eine Anklage: »Bender darf den Namen trotzdem auch so nicht nennen, das ist standeswidrig.« Richter Klaus Gallinger, Vorsitzender des zuständigen Schöffengerichts, muß nun entscheiden, ob verhandelt werden soll. Hans Bender scheint darauf zu hoffen, dann »dann muß der ganze Fall Scholz nochmals aufgerollt werden«, und der Spuk nimmt kein Ende. _(Während seines Fernseh-Geständnisses. )
Während seines Fernseh-Geständnisses.