VATIKAN / PAUL VI. Gestutzte Flügel
Der Besuch blieb über Nacht. Athenagoras I., Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, Ehrenoberhaupt der orthodoxen Kirchen, bezog für drei Tage Quartier bei einer anderen Heiligkeit: bei Papst Paul VI.
Nie zuvor hatte ein Papst ein nichtkatholisches Kirchenoberhaupt als Ebenbürtigen empfangen.
Am Donnerstag letzter Woche aber kam Paul, 70, seinem Gast, 81, vor dem Petersdom sogar auf halbem Wege entgegen. Nebeneinander nahmen die beiden alten Männer -- die im Juli in Istanbul ihren letzten Friedenskuß getauscht hatten -- dann vor dem Hauptaltar auf den gleichen goldenen Sesseln Platz, Und für die Nächte im Vatikan reservierte der Papst dem Patriarchen gar jenen Turm, den sich Paul-Vorgänger Johannes als Privatstudio eingerichtet hatte.
Der glanzvoll inszenierte Athenagoras-Empfang sollte nach außen zugleich ein anderes einzigartiges Kirchenereignis krönen: die erste Bischofs-Synode der neueren Geschichte.
Die Synode, Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils, war von fortschrittlichen Vätern ursprünglich als Kirchenparlament gedacht. Eine der letzten absolutistischen Monarchien der Welt sollte auf diese Weise demokratisiert werden.
Aber Paul VI. will keine Mit-Regenten. Gerade auf der Synode zeigte sich, daß er, von symbolischen Gesten abgesehen, am Papst-Primat nicht rütteln läßt -- jenem absoluten Machtanspruch, der es den Nicht-Katholiken unmöglich und sogar manchen Katholiken schwer macht, mit Rom zu leben.
Anfang Oktober nahmen die knapp 200 Eminenzen und Exzellenzen der Synode im fensterlosen »Saal der zerbrochenen Köpfe« ihre Arbeit auf. Der Papst hatte den ehemaligen Abstellraum für beschädigte Statuen als Tagungskammer herrichten lassen, denn in den 50 Palästen des Vatikan war kein Platz für die Synodalen.
Gleich zu Beginn erklärte der Heilige Vater, er wünsche von dem hochwürdigen Gremium lediglich »Hilfe, Rat und Stimme«. Ungebetenen Rat verbat er sich ausdrücklich: Die Diskussion über die heikelsten Probleme der katholischen Welt -- Zölibat und Geburtenkontrolle -- war nicht gestattet. Vorgeschriebene Themen: Glaubenskrise, Liturgie-Reform und Mischehe.
Zwar billigte Paul den Synodalen »eine gewisse Kollegialautorität« zu. Aber die Kollegen durften nicht einmal die Präsidenten und den Generalsekretär der Ratsversammlung selber wählen.
Der Pontifex Maximus bestimmte die Tagesordnung; er setzte die sogenannten Relatoren ein, die zu jedem Beratungsthema das Grundsatzreferat hielten; er selbst wird auch darüber entscheiden, ob und wann die Synode wieder zusammentreten solle.
Während die »Synode mit gestutzten Flügeln« ("Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt") tagte, focht Paul VI. vor einem anderen Gremium für seine ungeschmälerte Autorität: 2800 Laien, vom Konzil aufgerufen, die Geschicke ihrer Kirche mitzugestalten, waren zu ihrem Weltkongreß in die Ewige Stadt gekommen.
Der Oberhirte warnte sein Kirchenvolk davor, »zwei parallele Hierarchien« von Klerikern und Laien zu errichten. Wer »ohne oder gar gegen die Hierarchie« zu handeln versuche, der sei wie ein »vom Baum abgetrennter Ast« und müsse »verdorren«.
Die Laien muckten dennoch auf und forderten, was die Bischöfe nicht einmal diskutieren durften: Geburtenkontrolle.
Die Synode dagegen konnte sich nicht so klar vernehmbar machen. Bis zuletzt sperrte Papst Paul, nach dessen Meinung sich auch das Konzil »im geheimen hätte abspielen müssen«, die Presse aus. Korrespondenten erhielten lediglich zensierte und »äußerst nebelhafte Kommuniqués« (so der römische »Messaggero"), in denen die Redner nicht mit Namen genannt wurden. Stereotype Wendungen: »Ein Vater sagte ...«, »ein anderer Vater meinte ...«
Die Geheimniskrämerei zerstörte jede Hoffnung der progressiven Kleriker, der Papst werde die Empfehlungen der Synode schon im Hinblick auf die Öffentlichkeit nicht mißachten können.
Erst zum ökumenischen Gala-Empfang für Athenagoras waren Journalisten am päpstlichen Hof wieder gelitten. Als Papst und Patriarch den Friedenskuß tauschten, war Eurovision direkt dabei.