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FINANZMINISTER Gesundgeschrieben

aus DER SPIEGEL 48/1961

Vor dem Bonner Finanzministerium in der Rheindorfer Straße 108 stoppte am vergangenen Mittwoch, wenige Minuten vor zehn Uhr, eine beigefarbene BMW-Limousine. Dem Fond entstieg ein feingliedriger Mann mit großer Brille und verwirrtem Gesichtsausdruck: Bonns neuer Finanzminister Dr. Heinz Starke, 50, nahm seine Dienstgeschäfte auf.

Dem freidemokratischen Nachfolger des CDU-Finanzministers Franz Etzel ist zweifellos das schwierigste Amt zugefallen, das in der vierten Regierung Adenauer zu vergeben war. Das von Lobbyisten umstellte Bundesfinanzministerium wurde in den vergangenen Jahren

für seine Ressortchefs zu einer Art von politischem Sargnagel. Beide Vorgänger Starkes, sowohl Fritz Schäffer (1949 bis 1957) als auch Franz Etzel (1957 bis 1961) hatten sich in diesem Amt verschlissen.

Der Start des weithin unbekannten Bayreuther Handelskammer-Hauptgeschäftsführers Starke auf Ministerebene läßt - erwarten, daß auch ihm keine Kränze gewunden werden. Bereits seine Inthronisierung ging unter erheblichem Protesttrompeten der Industrie vonstatten, die in Starke den Kandidaten des Mittelstandes, mithin einen industrieunabhängigen Politiker sieht.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist besorgt, der neue Minister könnte Hand an die traditionellen Steuerprivilegien der Großwirtschaft legen. Vor allem fürchtet die Industrie, daß der Minister im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Reform der konzentrationsfördernden westdeutschen Umsatzsteuer ungebührlich forcieren werde.

Angesichts der herzlichen finanziellen Verbundenheit von Freidemokraten und BDI war es nicht verwunderlich, daß der Erhard-Anhänger Starke - er war 1948 im Frankfurter Zwei -Zonen-Wirtschaftsrat Ludwig Erhards wirtschaftspolitischer Grundsatzreferent - gegen den entschiedenen Widerstand vieler FDP-Parteifreunde zu kämpfen hatte.

So hatte die industrietreue Gruppe der Freidemokraten bereits intern den Justitiar der Phoenix-Gummiwerke AG in Hamburg-Harburg, Dr. jur. Rolf Dahlgrün, zum Finanzminister gekürt. Wider Erwarten durchkreuzte die Mehrheit der Fraktion indes am 3. November Dahlgrüns Avancement. In einer Kampfabstimmung entschieden sich die FDP -Mittelständler und Erhard-Anhänger für Starke und gegen den BDI-Liberalen Dahlgrün. Argument der Starke-Gruppe: Die als industriefreundlich abgestempelte FDP könne es sich nicht leisten, einen Kandidaten zum obersten Bonner Geldverteiler zu machen, der wie Dahlgrün mit der Gummi-Industrie versippt ist. Denn gerade dieser Industriezweig möchte von einem großzügigen Ausbau des Straßennetzes mit Staatsgeldern profitieren.

Aber nun war es die CDU/CSU -Fraktion, in der sich erhebliche Widerstände gegen die Nominierung des Freidemokraten Starke regten.

- Der linke CDU-Flügel kreidet Starke

seine Attacken gegen das Gesetz über die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand an,

- der Kleineuropa-Flügel der CDU kritisiert seine Freihandelsideen und

- die CSU-Abgeordneten neiden dem

nach Bayern zugereisten Schlesier das Bonner Amt, das sie als eigentliche bayrische Wahlsieger für ihren Finanzexperten Dr. Werner Dollinlinger ausersehen hatten.

Schließlich fürchten auch Ludwig Erhards Ministerialbürokraten, eine allzu enge Zusammenarbeit von Erhard und Starke könnte den Einfluß des Erhard-Trosses auf seinen Minister schwächen.

Sogar der scheidende Franz Etzel ließ es sich nicht nehmen, seinem Nachfolger zu bedeuten, wie er über dessen Kandidatur denkt. Am 7. November, vier Tage nach der Kampfabstimmung der FDP-Fraktion, verabschiedete Franz Etzel seine leitenden Mitarbeiter in Bad Godesbergs Renommier-Hotel Dreesen. Gegen Ende der Fest-Mahlzeit erhob sich Franz Etzel, der zuvor die Nominierung Dahlgrüns sehr begrüßt hatte, und erklärte: Ich bitte Sie sehr herzlich, das mir entgegengebrachte Vertrauen auf meinen Nachfolger, Herrn Dr. Dahlgrün, zu übertragen.« Zu diesem Zeitpunkt war dem gelernten Industrie-Anwalt Etzel, der jetzt als Bankier in Düsseldorf tätig ist, Starkes Nominierung längst bekannt.

Auch Dahlgrüns Arbeitgeber Otto A. Friedrich, Generaldirektor der Phoenix -Gummiwerke, Vorstandsmitglied der Deutschen Straßenliga sowie der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, konnte die Niederlage seines Favoriten schlecht verwinden.

Er reagierte nach Arbeitgeber-Art, indem er persönlich beim Bundeskanzler für seinen Schützling Dahlgrün und gegen Starke intervenierte. Friedrich unterbreitete dem Kanzler seine Wünsche derart temperamentvoll, daß der amtierende Arbeitgeber - Präsident Hans-Constantin Paulssen sich anschließend genötigt sah, namens der Arbeitgeber eine Ehrenerklärung für Starke abzugeben.

Nachdem alle Einwände gegen den mittelständischen Ministerkandidaten nichts gefruchtet hatten, ließ die Industrie zum Schluß in Bonn die Parole ausstreuen, Starke sei sehr krank und mithin den Strapazen seines Amtes nicht gewachsen.

Dieser Pfeil zielte haargenau auf des Kanzlers Gemüt, der denn auch ob dieser Nachricht erstmals in Sachen Starke

tätig wurde. Auf Drängen des Kanzlers durchleuchteten die CDU/FDP-Koalitionshändler am Freitag vorletzter Woche Starkes Krankengeschichte. Danach hatte ihn im Jahre 1955 eine Lungentuberkulose ein Jahr lang ans Bett gefesselt. In diesem Jahr befiel ihn ein Bandscheibenleiden. Starke: »Die haben den ganzen Tag über meine Krankheit gesprochen.«

Dem stets gesunden Kanzler genügte der mündliche Befund, Starkes Lunge und Bandscheiben seien wiederhergestellt, indes nicht. Er verlangte, Starke möge von seinem Vertrauensarzt ein Attest beibringen. Das erwünschte Papier wurde dem Kanzler noch am Freitag vorletzter Woche durch Boten eingehändigt. Der Arzt hatte Starke gesundgeschrieben.

Nachdem Starke für Bonn k.v. geschrieben worden war, lenkte auch Franz Etzel ein. Am Mittwoch vergangener Woche, einen Tag nach Starkes Vereidigung, führte Etzel seinen Nachfolger in das Amt ein. Anschließend kommentierte er die künftige Arbeit des neuen Ministers nicht ohne Hintersinn: »Das eine oder andere wird er ernten können, was wir gesät haben.«

Ob es für Starke in Bonn überhaupt etwas zu ernten gibt, ist nach Lage der Dinge höchst zweifelhaft. Der FDP -Finanzminister muß nämlich nicht nur mit seinen erklärten Gegnern in den Reihen der CDU/CSU, der Industrie, der Bundesländer und der Bauern rechnen. Überdies läuft er Gefahr, seine eigenen FDP-Parteifreunde verprellen zu müssen.

Ausgerechnet jene Partei, die sich den unbequemsten Kabinettsposten reservieren ließ, hat in ihrem ominösen Koalitionsvertrag die abstrusesten finanzpolitischen Forderungen aufgestellt. So haben sich die Koalitionspartner auf Drängen der Freidemokraten verpflichtet,

- das Kindergeld in Zukunft allein aus Haushaltsmitteln zu bestreiten,

- die privaten Kapital- und Rentenversicherungen aus der Zeit vor der Währungsreform aufzuwerten,

- ein Kriegsfolgen-Schlußgesetz vorzulegen,

- den 131ern Lastenausgleich zu zahlen,

- die Sowjetzonen-Flüchtlinge den Heimatvertriebenen gleichzustellen,

- die Demontageschäden zu regulieren,

- die Spar- und Bausparprämien zu

verbessern,

- den Bauern kostendeckende Preise zu

garantieren,

- »erhebliche zusätzliche« Mittel für den

Straßenbau freizumachen, und

- einen Nord-Süd-Kanal von der Elbe zum Mittellandkanal zu bauen.

Trotz derartiger Mehraufwendungen darf der neue Finanzminister laut Koalitionsvertrag »keine Ausdehnung des Staatshaushaltes (vornehmen), wenn nicht unabweisbare Gründe vorliegen«, und »keine Steuererhöhungen« verhängen, im Gegenteil: »Wenn die Haushaltslage eine Steuersenkung zuläßt, so ist in erster Linie eine Senkung der Einkommensteuer, Lohnsteuer und Körperschaftsteuer für die mittleren Einkommen und Erträge vorzusehen.«

FDP-Finanzminister Starke

Der Kanzler verlangte ein Attest

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