ROMAN-SERIEN Geteilte Unterhaltung
Ehe der Film- und Fernsehregisseur Fritz Umgelter sein jüngstes Bildschirm-Spiel zu drehen begann, durchstreifte er etliche oberbayrische Ortschaften, um geeignetes Chargenvolk anzuheuern. Es kam ihm darauf an, unter der ländlichen Bevölkerung ausschließlich solche Mannspersonen herauszusuchen, die den »ganzen Dreck« großdeutscher Kriegsfeldzüge miterlebt hatten. Umgelter: »Nur ehemalige Landser.«
Die Auslese schlachterprobter Bajuwaren, die der Regisseur mit dem geübten Blick des einstigen Obergefreiten vornahm, war der Auftakt zum bisher aufwendigsten Projekt des deutschen Fernsehens: Der Nord- und Westdeutsche Rundfunkverband (NWRV) verfilmt den anspruchsvollen Bestseller-Roman »Am grünen Strand der Spree«. Das Erfolgs-Opus des Berliners Hans Scholz ("Spree-Scholz") wird zu fünf abendfüllenden Fernsehfolgen verarbeitet, an denen sich das westdeutsche Bildschirm-Publikum im Frühjahr 1960 erbauen soll.
Das kostspielige Unterfangen, das im Fernseh-Etat mit mindestens 1,2 Millionen Mark zu Buche schlägt, entspringt der längst fälligen Einsicht deutscher Fernsehdirektoren, daß das Repertoire der Television-Anstalten dringend einer Auffrischung bedarf. Der Herstellungsleiter der Scholzschen Tele-Ausgabe, Walter Pindter, vermag das Dilemma anschaulich zu schildern: »Auf dem Sektor Unterhaltung weiß man gar nicht mehr, was man machen soll Der Bunte Abend ist tot, Quiz-Sendungen gehen nicht mehr, Zirkus und Varieté will kein Mensch mehr sehen.«
Die Fernseh-Verantwortlichen waren daher genötigt, unerschlossene Programmbezirke nach neuen Formen der Kurzweil zu durchforschen. Dabei kam ihnen schon bald »die Idee des ,Fernsehromans', der in epischer Breite in mehreren Folgen eine Geschichte erzählt« (Pindter), und der NWRV machte sich schließlich - im vergangenen Frühjahr - erbötig, den Prototyp des neuartigen Programmfüllers herzustellen: den sechsteiligen Fernsehroman »So weit die Füße tragen« nach dem gleichnamigen Heimkehrer-Epos von Josef Martin Bauer. Kommentierte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung": »Die Serienfilm-Mode der Stummfilmzeit kehrt im Fernsehen wieder.«
Die Kritiker empfanden die Fernsehneuheit allerdings als keineswegs befriedigend. So stufte die »Abendpost« die
Mammut-Serie als »sibirische Karl-May-Geschichte« ein, der »Tagesspiegel« klagte nach der dritten Folge entsetzt, »es wird immer schlimmer«, und »Filmpress« resümierte: »Die Kritik ist sich einig: Schlimmster Kintopp des Jahrgangs 1919, schlecht geschrieben, miserabel inszeniert, dilettantisch gespielt. Aber ganz großer Publikumserfolg.«
In der Tat: Während die Rezensenten den ersten Fernseh-Fortsetzungsroman unisono verdammten, empfand die westdeutsche Bildschirm-Schar das Unterhaltungsexperiment als geglückt. »Wir haben eine gute Nase gehabt«, jubelte WDR-Intendant Hartmann. »Das Roman-Fortsetzungsspiel ist von mehr als 90 Prozent unserer Seher mit ,sehr gut' und 'gut' klassifiziert worden und wird im Herbst in unseren Sonntagsnachmittags-Sendungen wiederholt werden.« (Was just in diesem Monat geschieht.)
Das Münchner Befragungs-Institut »Infratest« fand heraus, der »Gedanke eines verfilmten Fortsetzungsromans im Fernsehen« habe offenbar einem Teil der Zuschauer behagt. Die Meinungsforscher ermittelten auch gleich das Rezept, das die Fernsehmasse »bei ähnlichen Unternehmen beachtet sehen möchte": Die Handlung müsse spannend sein, die Fortsetzungen dürften in nicht allzu großen Intervallen gesendet werden, die Bildschirm-Geschehnisse müßten der Wirklichkeit entsprechen, und schließlich sollte die Handlung jeweils dort wieder anknüpfen, wo sie in der vorausgegangenen Sendefolge endete.
Die Zukunft der neuen Tele-Gattung »Fernsehroman« erschien mithin aus der zustimmenden Resonanz des Publikums gesichert. Den Fernsehproduzenten oblag es nun, geeignetes dramatisches Rohmaterial für weitere Fortsetzungsfilme zu beschaffen. Dabei boten sich im besonderen Maße jene literarischen Vorlagen an, die das Fernsehen bis dahin weitgehend ignoriert hatte: populäre Romane.
Die Unterhaltungs-Beauftragten des NWRV entschlossen sich denn auch, ihren zweiten Fernsehroman aus einem weithin gerühmten epischen Werk, »Am grünen Strand der Spree«, zu verfertigen. Das sorgfältig komponierte und spritzig geschriebene Buch, das inzwischen eine deutsche Auflage von 214 000 Exemplaren - erreicht hat, brachte seinem Verfasser so literarisch bedeutsame Ehrungen wie den Fontane-Preis ein, und erst im vergangenen Monat lobte die »New York Times« das unter dem Titel »Through the Night« in den USA veröffentlichte Werk als »eines der besten Bücher; die während der letzten Jahre aus Deutschland gekommen sind«. Scholz zuversichtlich: »Ich erobere mir jetzt den amerikanischen Markt.«
Die deutschen Fernsehproduzenten hatten gewichtige Gründe, sich gerade des Scholz-Romans zu bemächtigen. Pindter: »Er läßt sich gut ins Optische übersetzen, er hat viel Stoff, viele Bilder, man kann filmisch erzählen.« Vor allem aber erwies sich die Struktur des Romans als ungemein vorteilhaft für eine Fernsehverfilmung. Scholz hat seine Erzählung aus fünf novellenartigen Berichten zusammengewebt, die durch eine Rahmenhandlung kunstvoll verklammert sind: An einem gewittrigen Aprilabend des Jahres 1954 treffen sich einige Freunde, die sich seit vielen Jahren nicht oder nur flüchtig gesehen hatten, zur Wiedersehensfeier in der Berliner Jockey-Bar und geraten ins Erzählen. Jeder aus der whisky-beflügelten Schar steuert erlebte oder erfundene Geschichten bei; Zweck des Abends ist, einen ehemaligen Generalstabsmajor aufzuheitern, der gerade aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist.
Bei wechselnden, niemals billigen Getränken vernimmt die Runde Tagebucheintragungen aus Rußland und Polen, eine Spionage-Affäre aus der norwegischen Etappe, ein Stück Ostzonen-Alltag, Schlafzimmergeplänkel in Italien und sogar märkische Kriegsabenteuer aus dem 18. Jahrhundert. Aus solchen Beiträgen formt sich - wie der Verlag versichert - »ein Panorama des deutschen Schicksals: Krieg und Frieden, Welt und Zuhause, Bonn und Berlin, Osten und Westen, Preußen und die Historie, Künste und Reisen, Männer und Freunde ... Frauen«.
Die erzählerische Gliederung des Werks machte es den NWRV-Unterhaltern leicht, »Am grünen Strand der Spree« in fünf gleichgewichtige Fernsehfolgen aufzuteilen. Das Tranchieren übernahm Fritz Umgelter, der schon den Heimkehrer-Roman »So weit die Füße tragen« fernsehgerecht zerlegt hatte. Er begab sich mit einem kompaniestarken Aufgebot von Künstlern und Technikern nach Bayern, um zunächst die Außenaufnahmen zu drehen - vor allem Kriegsszenen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Schlacht von Kunersdorf Anno 1759. Die Atelieraufnahmen beginnen im November in Geiselgasteig.
Die Fernsehfilmhersteller haben sich vorgenommen, das Fortsetzungsepos so realistisch wie irgend möglich auszustatten. Pindter: »Wir wollen in diesem Fernsehfilm nichts zusammenschwindeln. Alles muß echt sein.« Regisseur Umgelter wähnte sich der Werk- und Wirklichkeitstreue sogar derart verpflichtet, daß er es für tunlich hielt, Mitglieder der Münchner israelitischen Gemeinde als Chargen zu engagieren. Sie sollen die im Scholz -Roman geschilderte Drangsal jüdischer Menschen filmisch verdeutlichen. Umgelter: »Das wird ganz dicht.«
Der Mitwirkung des Autors Scholz konnte sich der NWRV bei seinem Projekt indes nicht versichern. Als WDR-Intendant Hartmann dem Berliner Schriftsteller nahelegte, das Drehbuch für den Fernsehroman zu schreiben, lehnte Scholz ab: »Für mich ist der Stoff ziemlich ausgelaugt.«
Szene aus »Am grünen Strand der Spree": Romane auf dem Bildschirm
Scholz
Regisseur Umgelter Das Publikum will es