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FRAUEN Gewagtes Stück

Wer seine Frau bedroht, muß die Kosten fürs Frauenhaus bezahlen, befand jetzt ein Verwaltungsgericht - eine, wie Expertinnen urteilen, »wegweisende Entscheidung«.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Ihre Ehe, sagte die Frau, sei nicht mehr zum Aushalten gewesen. Immer wieder habe ihr Mann gedroht, sie zu verprügeln, und oft habe er geschrien: »Hure, Sau, faule Sau, du bist ja geschlechtskrank, ich schmeiß'' dich raus.«

Ehemann Herbert Meel

( Name von der Redaktion geändert. )

räumte ein: »Es fielen gelegentlich beleidigende Äußerungen.« Aber von Gewalt könne keine Rede sein: »Ich habe sie nur geschubst, sie ist sehr empfindlich, beim kleinsten Anfassen kriegt sie blaue Flecken.«

Szenen einer Ehe, nach 15 Jahren.

Doch die Ehe ist längst geschieden, und vor der 7. Kammer des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts ging es letzten Monat nicht um Versorgungsausgleich und Kindeswohl, sondern darum, wer zu zahlen hat, wenn Frau und Kinder im Frauenhaus Zuflucht suchen.

Erstmals beschäftigten sich Richter mit der Frage, ob ein Mann, dem die Frau weggerannt ist, nicht nur für den Unterhalt, sondern auch für die bisweilen horrenden Kosten der Sozialhilfe aufkommen muß. Meel hatte gegen einen Leistungsbescheid über 10 294,93 Mark (sieben Wochen Frauenhaus für Mutter und zwei Kinder) geklagt.

Immer mehr Frauen verlassen den heimischen Herd und den prügelnden Mann, um im Frauenhaus ("Frauen helfen Frauen") oder bei Freunden und Verwandten unterzukommen. Die Frauenhäuser -- darunter 30 autonome -- sind überfüllt, fast alle führen Wartelisten.

Unabhängig davon, ob der Mann die Ehemisere verursacht hat oder nicht, hat eine mittellose, geflohene Partnerin Anspruch auf Unterhaltszahlungen für sich und die Kinder. Die Höhe der Beträge ist abhängig vom Einkommen des Ehegatten und wird zunächst nach einer Aufteilung bemessen, die vom Düsseldorfer Oberlandesgericht entworfen worden ist -- der »Düsseldorfer Tabelle«.

Wenn der Mann sich weigert zu zahlen, springt das Sozialamt ein und läßt sich dafür, wie im Bundessozialhilfegesetz festgelegt, die Unterhaltsansprüche abtreten. Das Sozialamt zahlt der Frau die Regelsätze der Sozialhilfe, die im Normalfall etwa den Unterhaltsverpflichtungen entsprechen, und kann diese gegen den Mann geltend machen.

Das Gesetz gibt im Paragraphen 92 a den Behörden darüber hinaus die Möglichkeit, S.82 den Partner auch dann zum vollen Ersatz der Kosten der Sozialhilfe heranzuziehen, wenn diese wesentlich höher als die Unterhaltsverpflichtungen sind. Dieser Paragraph bezeichnet einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, für dessen Abwendung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offensteht.

Der Paragraph 92 a greift allerdings nur, wenn der Partner durch »vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten« die hohen Kosten verursacht hat. Dies galt bislang, wenn der Mann Frau und Kinder mutwillig verließ oder in den Knast kam und der Staat für die Familie einspringen mußte.

Wenn aber eine Frau ihre Siebensachen packte und wegging, etwa weil sie regelmäßig geprügelt wurde, haben Behörden bislang den 92 a nicht angewendet. »Wir können doch nicht über Vorsatz richten«, sagt etwa der Darmstädter Sozialamtsleiter Karl Faust. Und auch sein Dortmunder Amtskollege Fritz Heuvemann hält »die Frage nach der Schuld« für ein »ganz gewagtes Stück«, zumal das neue Eherecht den Schuldbegriff gar nicht mehr kennt.

Gängige Praxis der Kommunen war bislang, von den Unterhaltspflichtigen nur die Regelsätze zurückzufordern. Bei denen kommt es auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nicht an. Die Differenz, mitunter stattliche Summen, zahlen gewöhnlich die Gemeinden drauf. Das Neusser »Haus am Deich«, wo die Restfamilie Meel untergekommen war, verlangte 195 Mark pro Tag.

Im Prinzip, entschieden die Düsseldorfer Richter, muß derjenige Ehepartner, »der den anderen und die Kinder zum Auszug aus der Wohnung und damit zur Inanspruchnahme von Sozialhilfe zwingt«, für alle damit verbundenen Kosten aufkommen -- jedenfalls dann, wenn »eine akute Bedrohung des körperlichen oder seelischen Wohls« Grund für den Auszug gewesen ist.

Die bloße Zerrüttung der Ehe allerdings reicht da nicht aus, und eine teure Unterbringung ist auch nur so lange gerechtfertigt, wie die Gefahr anhält. Dies ständig nachzuprüfen, ist das Amt oder der beauftragte Sozialarbeiter verpflichtet.

Das Düsseldorfer Gericht machte, zum Vorteil des Klägers Meel, deutlich, wo die Grenzen des Paragraphen 92 a liegen. Seine Frau hatte sich schon lange von ihm trennen wollen. Zur Zeit ihres Auszugs war zwar ihr eheliches Verhältnis schlecht wie eh und je, aber von einer Bedrohung konnte gerade keine Rede sein.

Ins Mutter-und-Kind-Heim, in dem mißhandelte Frauen Zuflucht finden, war sie auf den Rat eines Sozialarbeiters gegangen, weil dort endlich ein Platz frei geworden war. »Eine akute Notlage«, so das Gericht, »bestand nicht.«

Zudem hatte eine Tochter, die mit der Mutter ausgezogen war, ein »spannungsfreies Verhältnis zum Vater«. Für dieses Kind, urteilte das Gericht, »bestand überhaupt kein Grund, ins Heim zu wechseln«.

Ergebnis: Meel mußte nicht zahlen.

Gleichwohl gilt das Urteil von Düsseldorf unter Expertinnen als »wegweisende Entscheidung«, so die Kölner Frauenhaus-Anwältin Anne Lütkes. Endlich habe ein Gericht »Gewalt in der Ehe« als »schuldhaftes Verhalten« akzeptiert und damit anerkannt, daß einer, der schlägt, »schuldhaft die Hilfebedürftigkeit herbeiführt«.

Die Lütkes-Kollegin Helga Gross vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, die selbst drei Jahre lang für ein Frauenhaus gearbeitet hat, sieht erstmals eine Chance, den Sozialhilfe-Paragraphen 92 a sinnvoll anzuwenden: »Nicht wer im Gefängnis sitzt, hat vorsätzlich die Familie kaputtgemacht, sondern der, der seine Frau verprügelt.«

S.80Name von der Redaktion geändert.*

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