NAMIBIA Gewehre ölen
Dirk Mudge, Wortführer der gemäßigten Weißen Namibias, gab sich entschlossen. »Wenn wir mit den Schwarzen nicht zu einer Einigung kommen«, setzte er in der Minenstadt Tsumeb einer Gruppe konservativer Weißer auseinander, »dann können wir die Wahlen vergessen und lieber gleich unsere Gewehre ölen ... Ich jedenfalls will die Straße des Friedens bis zum Ende abschreiten.«
Die ist möglicherweise schon zu Ende. Zwar hatte Pretoria durch seine Zustimmung zu dem westlichen Friedensplan für das ehemalige Deutsch-Südwestafrika Ende vergangenen Monats Freund wie Feind verblüfft, aber schon geraume Zeit vorher wurden in Südafrika ungewöhnlich viele Reservisten zu den Waffen gerufen. Gerüchte kamen auf, die Regierung plane einen Schlag gegen die namibische Befreiungsorganisation Swapo.
Der kam auch prompt -- am Donnerstag vorletzter Woche. Mit Düsenjägern und einigen Hundert gepanzerten Fahrzeugen drangen südafrikanische Einheiten tief in den Nachbarstaat Angola ein, der den Swapo-Partisanen als Hinterland dient. An der Aktion waren 700 Soldaten, darunter ein Bataillon schwarzer Kämpfer, von der Ovambo-Heimwehr beteiligt.
Die südafrikanische Streitmacht zerstörte nach eigenen Angaben zwei Swapo-Lager mit den Namen »Moskau« und »Vietnam«, eines der Lager befand sich nahe der Stadt Cassinga, etwa 250 Kilometer im Landesinneren Angolas.
Generalmajor Geldenhuys, Kommandeur der südafrikanischen Truppen in Namibia: Die Aktion habe sich »auf terroristische Einrichtungen« konzentriert. Überdies seien strenge Vorkehrungen getroffen worden, die sicherstellen sollten, daß die örtliche Bevölkerung und angolanische Truppen nicht darin verwickelt würden.«
Nach Angaben des angolanischen Verteidigungsministeriums handelte es sich bei dem Angriffsziel um ein »namibisches Flüchtlingslager«, in dem sich »einige tausend Frauen, alte Männer und Kinder« aufgehalten hätten.
Schon einen Tag vor dem Coup hatte Pretoria eine lange Liste von Swapo-Gewaltaktionen aufgezählt. Außenminister Roelof F. Botha: »Kein vernünftiger Mensch wird von uns erwarten, daß wir uns das lange gefallen lassen.«
In der Tat werden die Swapo-Kämpfer immer mehr zu militärisch ernst zu nehmenden Gegnern der südafrikanischen Streitkräfte. Vorbei sind die Zeiten, da sie sich, allenfalls mit Gewehren und Granaten bewaffnet, darauf beschränkten, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Die Qualität der Ausbildung, die sie in ihren angolanischen Camps erhalten, hat sich ebenso verbessert wie ihre Ausrüstung, zu der jetzt Geschütze Granatwerfer und schwere Maschinengewehre aus Ostblock-Arsenalen gehören.
In der Nacht vor dem südafrikanischen Gegenschlag hatten die Guerrilleros das Kraftwerks-Projekt Ruacana nahe der Grenze zu Angola mit Geschützen angegriffen und schwer beschädigt.
Der Feuerüberfall, so vermuten ausländische Diplomaten in Pretoria, kam den Südafrikanern nicht ungelegen -- gerade rechtzeitig vor Beginn der Gespräche, in denen die fünf westlichen Sicherheitsratsmitglieder die Swapo zur Annahme ihres Friedensplanes bewegen wollten.
Der Plan sieht unter anderem vor: freie Wahlen, die Ernennung eines Uno-Beauftragten, der zusammen mit dem südafrikanischen Administrator die Wahlen überwachen soll;
* einen allgemeinen Waffenstillstand und den Abbau der jetzt 20 000 südafrikanischen Truppen in Namibia auf 1500 Mann bis zu den Wahlen. Die Swapo hingegen verlangt den sofortigen Rückzug aller südafrikanischen Truppen. Außerdem soll nach der Vorstellung der Befreiungsorganisation der Uno-Vertreter mit Veto-Recht ausgestattet sein, damit er die Macht des südafrikanischen Administrators beschränken kann.
Unnachgiebig zeigen sich sowohl Südafrika wie auch die Swapo in der Frage, wem einmal der einzige Tiefseehafen des Landes, Walfischbay, gehören soll. Pretoria will ihn keinesfalls hergeben, da er nie zum Mandatsgebiet Südwest, sondern seit jeher zu Südafrika gehört habe. Die Swapo wiederum betrachtet den Hafen als »integralen Bestandteil Namibias« (so Swapo-Führer Sam Mujoma).
Ob die strittigen Punkte noch friedlich geklärt werden können, ist nach dem südafrikanischen Eingreifen unsicherer denn je, zumal westliche Beobachter in Pretoria glauben, daß Südafrikas Regierung mit ihrem militärischen Angriff jegliche Friedenslösung bewußt habe torpedieren wollen.
Denn Südafrikas Premier Vorster konnte keinesfalls sicher sein, daß bei den kommenden Wahlen statt der von ihm favorisierten gemäßigten Demokratischen Turnhallen-Allianz unter Führung von Dirk Mudge nicht doch die radikale Swapo die Oberhand behielte.
Wenig Anlaß, pingelig zu sein, glaubte Pretoria auch deshalb zu haben, weil zum Abschluß der Namibia-Debatte in der Uno-Vollversammlung keine westliche Regierung gegen jene Strafsanktionen gestimmt hatte, die den bedingungslosen Abzug der Südafrikaner aus Namibia erzwingen sollen, etwa ein Ölembargo. Außenminister Botha: »Das ist der Dank dafür, daß wir den westlichen Plan für Namibia angenommen haben.«
Bei den Weißen Namibias, darunter vielen Deutschstämmigen, beherrscht die Genugtuung über den militärischen Schlag gegen die Swapo alle anderen Empfindungen. Und selbst Gemäßigte wie Dirk Mudge freuen sich darüber. Mudges Zeitung »Die Republikein« jubelte: »Südafrika kann wieder zuschlagen« und »Das sollte eine Lehre für die Swapo gewesen sein.«