Gewinner und Verlierer
Niedrigere Lohnnebenkosten, finanziert durch eine höhere Mehrwertsteuer - das wäre nicht nur ein Paket für mehr Beschäftigung, sondern auch ein Programm für die abhängig Beschäftigten, also die Klientel der Gewerkschaften. Auch ein Großteil der deutschen Wirtschaft würde davon profitieren.
Gewinner und Verlierer der Umschichtung lassen sich genau benennen: Am besten kämen gutverdienende Arbeiter und Angestellte weg. Sie zahlen hohe Beiträge zur Sozialversicherung, werden also durch die geplanten Senkungen stark entlastet. Gleichzeitig schadet den Besserverdienenden eine höhere Mehrwertsteuer weniger als Geringverdienern. Je höher das Einkommen, desto mehr Geld wird normalerweise gespart - für Konsumgüter wird nur ein vergleichsweise kleiner Teil des Budgets ausgegeben. Damit bleibt auch ein größerer Anteil des Einkommens von der Mehrwertsteuer verschont.
Zu den Verlierern würden Studenten, Rentner und Arbeitslose gehören: Sie zahlen keine Beiträge zur Sozialversicherung, würden also nicht entlastet. Trotzdem wären sie von höheren Mehrwertsteuern betroffen. Auch Beamte und Selbständige müßten netto mehr an den Staat abführen. Da sie keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen, konnten sie sich bisher vor den Kosten der deutschen Einheit drücken, die zu einem erheblichen Teil von den Sozialversicherten durch höhere Arbeitslosen- und Rentenbeiträge finanziert wurden.
Doch die Last ist tragbar. Nach einer Untersuchung des Bundesfinanzministeriums belastet eine einprozentige Erhöhung der Mehrwertsteuer einen Vier-Personen-Haushalt mit mittlerem Einkommen mit rund 20 Mark im Monat.
Auch der Handel würde unter der Umschichtung leiden. Eine höhere Mehrwertsteuer bedeutet höhere Warenpreise und damit schlechtere Absatzchancen. »Der Konsum würde weiter zurückgehen, und das würde uns empfindlich treffen«, klagt Holger Wenzel, Geschäftsführer beim Hauptverband des Deutschen Einzelhandels.
Der größte Teil der deutschen Wirtschaft aber würde wegen der niedrigeren Lohnkosten deutlich entlastet. Profitieren würden vor allem die Exporteure, weil sie von der Mehrwertsteuer befreit sind - wer Güter ausführt, kann sich die Mehrwertsteuer an der Grenze vom Staat rückerstatten lassen. Die geplante Umschichtung würde also auch die Absatzchancen deutscher Güter im Ausland verbessern. Unternehmen, die ihre Produkte im Inland anbieten, können zwar die Steuerlast über höhere Preise an den Endverbraucher weitergeben. Aber in Branchen, die besonders konjunkturanfällig oder einem sehr intensiven Wettbewerb ausgesetzt sind, wird dies kaum gelingen.
Nach Modellrechnungen des Bonner Arbeitsministeriums und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg müßte die Umschichtung insgesamt jedoch zu mehr Beschäftigung führen. Auch eine Umfrage des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung zeigt, daß gerade kleine und mittlere Unternehmen die Lohnnebenkosten für ein besonders starkes Einstellungshemmnis halten.
Wie viele Jobs geschaffen werden, hängt allerdings nicht nur von den Lohnkosten ab, sondern auch von den Gewinnerwartungen der Unternehmer und vom Konjunkturverlauf. Eine Studie von Prognos in Basel zeigt, daß der positive Effekt der Kostensenkung schnell wieder dahin sein kann, wenn die Gewerkschaften im Folgejahr besonders hohe Lohnzuwächse durchsetzen oder die Bundesbank wegen der Preissteigerungen die Zinsen deutlich anhebt.
»Entscheidend für den Erfolg ist, daß die Beteiligten sich wirklich an die Vorschläge aus Zwickels Bündnis für Arbeit halten«, sagt Prognos-Ökonom Konrad Eckerle. »Ohne Zurückhaltung der Gewerkschaften und ohne echte Bereitschaft der Betriebe zu Neueinstellungen wird die Umschichtung nicht viel bringen.«
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Mehrwertsteuersätze in der EU
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