Zur Ausgabe
Artikel 19 / 81

EINBÜRGERUNG Gewisse Gesinnung

Trotz deutschen Domizils, deutscher Ehefrau und deutschen Staatsexamens wird der Sohn eines von den Nationalsozialisten »rassisch verfolgten« Berliner Emigranten nicht eingebürgert -- er sei nicht »unbescholten«.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Leidenschaftliche Eindringlichkeit« in die »geistige Überlieferung besonders des deutschen Kulturkreises attestierte ein Klassenlehrer dem ehemaligen Schüler, den er mit Brecht und Hölderlin ins Abitur geführt hatte. Ein Hochschullehrer lobte den jungen Mann als »wohlerzogenen Studenten, der in Wahrung der hergebrachten studentischen Umgangsformen mit den Dozenten verkehrt« habe -- freilich ohne »die eigene Emotionalität« zu verleugnen.

»Eher gelangweilt«, so ein Betroffener« registrierten Berliner Verwaltungsrichter derlei Expertisen. Dann bewältigten sie, Mitte Oktober, ein Stückchen unbewältigte Vergangenheit: Die Einbürgerungsklage des Berliner Alan Posener, 28, formal britischer Staatsangehöriger und Sohn eines 1933 wegen »rassischer Verfolgung« aus dem Dritten Reich emigrierten jüdischen Architekturhistorikers, wurde abgewiesen.

Auf Naturalisierung drängt der Deutsche mit dem Britenpaß« der sein erstes Staatsexamen an der Freien Universität »mit Auszeichnung« bestand und dessen Frau Maria ebenfalls Deutsche ist, nun schon seit fünf Jahren.

Der Junior, seit 1962 mit dem inzwischen eingebürgerten Vater in Berlin, muß sich um Legitimierung einer Staatsangehörigkeit bemühen, die seine Eltern ohne NS-Willkür nie eingebüßt hätten. Seine nahezu automatische Einbürgerung wäre nach einem abgelaufenen Gesetz nur bis 1970 möglich gewesen. Zudem sei dem Vater des Klägers, heißt es bürokratisch korrekt und gleichwohl zynisch in einem Schriftsatz der beklagten Innenbehörde an das Gericht, »die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen worden«. Vielmehr habe er sie »durch den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit ... eingebüßt« so als hätte der Jude das Land aus freien Stücken verlassen.

Daß die Richter der XI. Kammer des West-Berliner Verwaltungsgerichts Wiedergutmachung verweigerten, hat aktuelle Gründe. Der nach eigenen Angaben parteilose Maoist scheint politisch suspekt. Ein Linker zumal, der sich in den Kopf gesetzt hat, Deutschlehrer zu werden.

Zwei Bagatellstrafen, 300 Mark Geldbuße jeweils wegen KPD-naher Aktivitäten, lieferten die Handhabe. Verurteilt wurde der Germanist wegen »versuchter Gefangenenbefreiung« während einer Dortmunder Demonstration im Jahre 1972. Im Verlauf der Sachbeschädigung einer Berliner AEG-Mauer mittels einer Lackdose soll er zudem 1976 mitgesprayt haben: »Weg mit dem Staatsschutzgesetz gegen die KPD.«

Dem Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts reichte die Parole als »Ausdruck einer gewissen Gesinnung, die zu Straftaten führt« -- und zum Abschmettern des Einbürgerungsersuchens.

Nach dem immer noch geltenden »Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz«, im Kern von 1913, müssen Eingliederungswillige »einen unbescholtenen Lebenswandel« aufweisen. Daß Einbürgerungen keine politische Treuepflicht voraussetzt, blieb außen vor -- wie die unbewältigte Vergangenheit.

»De facto bin ich in der Emigration, obwohl ich Deutscher bin«, resigniert Posener junior. Und Wirkung auf Poseners Zukunft haben die inkriminierten »Bescholtenheiten« (FU-Professor Gerhard Bauer) allemal. Nach dem Urteilsspruch annullierte Berlins Schulverwaltung die bereits genehmigte »schulpraktische Ausbildung« zum Studienrat.

Zur Ausgabe
Artikel 19 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren