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FERNSEHEN Gewisse Provokation

Die Ludwigshafener Zeitung »Die Rheinpfalz« strahlt ein eigenes TVProgramm aus. Die Mainzer Landesregierung duldet dieses erste private Verleger-Fernsehen.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Zweimal am Tag, gegen 12.30 und 17.15 Uhr. verdunkelt Heinz Röder, 54, Werbeleiter der Ludwigshafener Provinzzeitung »Die Rheinpfalz«, die Fenster seines Büros und hängt an die Zimmertür ein Schild mit der Aufschrift »Eintritt verboten«.

Anschließend leuchten im abgedunkelten Zimmer Scheinwerfer auf, und Röder beginnt, vor einer Kamera Nachrichten zu verlesen. Seit Anfang des Jahres sendet der Verlag der »Rheinpfalz« (Auflage: 200 000) zweimal täglich ein Fernsehprogramm aus dem provisorischen Studio.

Per Kabel werden die Neuigkeiten aus Heimat und Welt für jedermann in Ludwigshafen auf drei Monitoren in den Schaukästen des Verlagshauses in der Amtsstraße und einem TV-Apparat in der benachbarten Weinstube »Hahnhof« übertragen.

Die Programm-Macher -- außer Röder der »Rheinpfalz«-Redakteur Lothar Richter sowie dessen Kolleginnen Brigitte Schoyerer und Manuela Müller

zitieren nicht nur Meldungen der Deutschen Presse-Agentur. Sie interviewen auch Studiogäste wie Fußballtrainer Georg Gawliczek, Schlagersänger Peter Rubin und ZDF-Moderator Harry Valérien.

Was bis dahin keinem bundesdeutschen Zeitungsverleger gelang, verwirklichte der pfälzische Verlagsherr Dieter Schaub, 33, »mit viel Elan in Null Komma nichts": ein -- wenn auch bescheidenes -- privates Verleger-Fernsehen.

Schaub sendet, ohne die zuständige Landesregierung in Mainz nach einer Lizenz gefragt zu haben -- und er blieb bislang unbehelligt. Denn der rheinland-pfälzische CDU-Ministerpräsident Helmut Kohl. von jeher in seiner Heimatstadt Ludwigshafen auf eine gute Presse bedacht, läßt den lokalen Monopolverleger gewähren. »Da muß man ja nicht gleich Alarm schlagen«, beschwichtigte Kohls Regierungssprecher Hanns Schreiner, »wenn einer Nachrichten verlesen läßt und die in sein Schaufenster überträgt.«

Zwar forderte die Mainzer Staatskanzlei von Schaub eine Stellungnahme über »Art, Umfang und weitere Absichten« des Tele-Objekts. Doch während der Regierungschef schon jetzt vermutet, daß »der Schaub gegen uns prozessieren wird, wenn wir da was unternehmen«, fehlt es seinem Hausjuristen, Ministerialdirigent Waldemar Schreckenberger, in Sachen Schaub-TV noch immer an ausreichenden Informationen zu einer »rundfunkrechtlichen Beurteilung«. Schreckenberger: »Wir haben keine Zeit, uns da vor die Schaufenster zu stellen.«

Kohl ahnt auch schon, »daß wir das so an sich nicht dulden können«, trotzdem genießt der Pfälzer Verleger noch immer eine Vorzugsbehandlung. Anderswo reagierten Staatskanzleien prompt, wenn ähnliche Projekte die Rundfunkhoheit der Bundesländer zu untergraben drohten. In der Sennestadt bei Bielefeld beispielsweise stoppte die nordrhein-westfälische Landesregierung Mitte vergangenen Jahres den Versuch, für die geschlossene Hausgemeinschaft eines Hochhaus-Komplexes ein Kabelfernsehen zu etablieren, als gerade die ersten Probesendungen über den Bildschirm gelaufen waren.

Und als Fernseh-Journalist Helmut Wilhelm Sontag im Berliner Corbusier-Haus ein Kabelfernseh-Programm starten wollte, versagte ihm der Senat die Lizenz, weil Sontag »nicht den Zugang dritter Personen zu den betreffenden Wohnungen und den Empfangsgeräten kontrollieren« könne -- die Kabelvision mithin »Rundfunk« sei.

Daß auch das »Rheinpfalz« -Fernsehen als Rundfunk nach Berliner Definition und nicht nur als »hausinterner Reklame-Gag« (so »Rheinpfalz«-Vertriebsleiter Ernst Feuser) anzusehen ist, wußten die Produzenten von Anfang an: Es ist »ein Privatfernsehen, das keinem weh tut« (so die Hauspostille »Rheinpfalz-Intern"), das aber in Westdeutschlands öffentlich-rechtlicher Rundfunk-Landschaft als eine »gewisse Provokation« wirken soll (so Verleger Schaub). »Kenner der Rundfunk- Materie«, berichtete der branchenkundige »Aktuelle Fernsehdienst«, sind denn auch »erstaunt darüber, daß in den einzelnen Bundesländern offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird.

Mit seinem Haus-Experiment will der Pfälzer Schaub es freilich nicht bewenden lassen -- sondern erst einmal maßnehmen, »wie weit die juristischen Möglichkeiten zur Zeit für ein Kabelfernsehen reichen«. Und er sieht nun in der Kohl-Provinz gute Erfolgsaussichten für einen privaten Kanal: »Wir haben einfach damit angefangen und darauf gewartet, daß ein Veto kommt -- aber es kam keins.«

Der agile Jung-Verleger, der zu Geschäftsreisen gern Flugzeuge chartert und zum Wochenende mit seiner Luxusjacht durch heimische Binnengewässer kurvt. hat für künftige TV-Taten auch anderweitig vorgesorgt. Zusammen mit dem freien Fernsehproduzenten Bertram Müller, 35, und der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) in Stuttgart gründete er jüngst in aller Stille eine »Audiovisuelle Produktions-GmbH & Co. KG -- Studio AV«, die am Ludwigshafener Rheinhafen, Lagerhausstraße 34, über ein komplett eingerichtetes Fernseh-Studio verfügt.

Müller, einst Sportphotograph und Südwestfunk-Mitarbeiter« der bislang meist Werbefilme für Industrieunternehmen produzierte: »Hier am Hafen ließen sich auch Pläne für einen regionalen Kommerzsender verwirklichen.«

Derlei Hoffnungen nährt der Ministerpräsident höchstpersönlich. Denn Helmut Kohl, dem im Streit um die Rundfunk-Neuordnung im bundesdeutschen Südwesten die Auflösung des vom Baden-Badener Südwestfunk betriebenen Mainzer Funkhauses droht, setzt sich mit einer Gegendrohung zur Wehr: »Wenn uns Baden-Württemberg ausbootet, hat es zur Folge, daß wir in Rheinland-Pfalz in der gleichen Woche zur linken Hand einen privaten Sender schaffen.«

Schaub-Kompagnon Müller: »Wir sind gerüstet -- wenn heute die Lizenz kommt, können wir morgen senden.«

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