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MITBESTIMMUNG / CSU-ENTWURF Gewisses Übergewicht

aus DER SPIEGEL 21/1970

Seit achtzehn Jahren gilt das Betriebsverfassungsgesetz, das die Mitsprache-Rechte der westdeutschen Arbeitnehmer im Betrieb mehr schlecht als recht regelt, nahezu unverändert. Nun liegen gleich ein halbes Dutzend Reformentwürfe vor, dazu ein siebter sogar von der CSU.

Die bayrische Christpartei, die bisher nicht durch sonderlichen gesellschaftspolitischen Reformeifer auf gefallen war und stets an der Spitze des Rückschritts marschierte, präsentierte in der letzten Woche in Bonn einen eigenen Entwurf für ein »Gesetz über die Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen«. Auf Weisung von Parteichef Franz Josef Strauß soll das Gesetz zunächst in allen CSU-Gruppen diskutiert werden.

»Im bewußten Gegensatz zu den kollektivistischen Forderungen des DGB und der SPD' (CSU-Landesgruppe) und um den »Marsch in den Sozialismus« zu stoppen (CDU-Wirtschaftsrat), hatte ein christsoziales Autoren-Kollektiv ein Gesetz formuliert, das auf dem Bericht der von der Bundesregierung Kiesinger eingesetzten Mitbestimmungskommission (Biedenkopf-Bericht) basiert. Die CSU will in einem Schritt nicht nur die Mitsprache der Arbeitnehmer im Betrieb regeln, sondern auch ihre Mitbestimmung in den Aufsichtsräten von Großunternehmen.

Prominentester Mitautor des Entwurfs ist Dr. Gisbert Kley, Münchner CSU-Bundestagsabgeordneter, Präsidiale der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Vorstandsmitglied der Siemens-Gruppe. Kley, dessen Konzern von gehobenen Angestellten als Gegenleistung für übertarifliches Entgelt den Verzicht auf Mitwirkung im Betriebsrat fordert, ging in keinem Punkt über die äußerste Verhandlungslinie der BDA hinaus.

Entsprechend den Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission will nun auch die CSU die Repräsentanz der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten verbessern. Der Anteil der abhängig Beschäftigten in den Kontrollgremien der Industrie -- bislang stand ihnen ein Drittel der Aufsichtsratsmandate zu -- soll vergrößert werden, doch nicht die von den Gewerkschaften geforderte Parität erreichen. So garantiert die CSU den Kapitaleignern stets ein »gewisses Übergewicht«. Wie groß der Aufsichtsrat auch immer sein mag, die Arbeitnehmer sollen in jedem Falle zwei Sitze im Nachteil sein, das heißt, in entscheidenden Fragen soll ihr Einfluß so gering wie bisher sein.

Verglichen damit, wiegen die von Kley und seinen Parteifreunden ersonnenen Rechtsverbesserungen der Arbeitnehmer im Betrieb leicht: Sie sollen Einsicht in die eigene Personalakte nehmen dürfen, Betriebsräten soll ein zusätzlicher Bildungsurlaub gewährt werden, die Arbeitnehmer sollen bei der Festsetzung von Kurz-, Mehr- und Schichtarbeit mitbestimmen und in größeren Betrieben sogenannte Arbeitsgruppen-Sprecher wählen. Die von den Gewerkschaften seit Jahrzehnten geforderte Mitbestimmung bei Kündigungen und Einstellungen hingegen will die CSU den Arbeitnehmern auch weiterhin verwehren.

Auf der Basis der gebremsten Mitbestimmung im Aufsichtsrat kann sich die CSU sogar die Forderung leisten, daß in mehr Unternehmen als bisher Betriebsräte gewählt werden sollen: Von rund 350 000 westdeutschen Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten, in denen laut Gesetz ein Betriebsrat gewählt werden könnte, haben bislang lediglich 26 000 solche Räte gebildet. Jetzt appelliert die CSU »auch an die Arbeitgeber«, sie sollten dafür sorgen, daß sich die Zahl der Betriebsräte erhöht.

Dem DGB, der DAG und sogar dem linken Flügel der CDU zum Trotz will die CSU überdies den Einfluß der Gewerkschaften im Aufsichtsrat beschneiden. Um die Wahl betriebsfremder Gewerkschafts-Funktionäre zu verhindern, sieht der Entwurf vor, daß ausnahmslos alle Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat »als Arbeitnehmer in einem Betrieb des Unternehmens beschäftigt sein« müssen. Nach geltendem Recht hingegen können die Gewerkschaften auch betriebsfremde Funktionäre auf die Wahllisten der Arbeitnehmer-Aufsichtsräte setzen.

Für die Betriebsräte hat sich die CSU einen Vorschlag einfallen lassen, der nach Ansicht der DAG dazu geeignet ist, »der Arbeitnehmerschaft die Köpfe abzuschlagen«. Straußens Bayern-Partei will den Kreis der leitenden Angestellten weit ziehen und für sie einen Extra-Betriebsrat einrichten, den sogenannten Sprecher-Ausschuß. Dasselbe Prinzip des Teilens und Herrschens soll auch für den Aufsichtsrat gelten, wo nach dem CSU-Modell die Arbeitnehmer getrennt nach Arbeitern. Angestellten und leitenden Angestellten »entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Unternehmen« vertreten sein sollen.

Damit kommt die CSU nicht nur den Wünschen der Union der leitenden Angestellten entgegen, bei der sie konservative Wähler vermutet, sondern rührt auch an einen wunden Punkt der Regierungskoalition. Im Bonner Arbeitsministerium nämlich sitzt Ministerialdirektor Karl Fitting vor der schwierigen Aufgabe, die konkurrierenden Vorschläge der SPD und der FDP zu einem einheitlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu vernähen.

Er und vier Kollegen hoffen, damit noch vor der Sommerpause des Parlaments fertig zu sein und dann einen »modernen, realistischen und für die Wirtschaft tragbaren Entwurf vorlegen zu können« (Fitting).

Dazu bedarf es freilich zahlreicher Kompromisse. Denn schon beim vierten von insgesamt 92 Paragraphen des zu novellierenden Betriebsverfassungsgesetzes stoßen FDP- und SPD-Konzept frontal zusammen: Die SPD will wie der DGB den Kreis der leitenden Angestellten, die zur Zeit weder Betriebsräte wählen noch selber Betriebsrat werden dürfen, eng fassen und lediglich Angestellten mit Arbeitgeberfunktionen das Wahlrecht nehmen.

Die FDP hingegen, deren Vorschläge in allen wesentlichen Punkten den Wünschen der Arbeitgeberverbände getreulich Rechnung tragen, will ähnlich wie die CSU die Arbeitnehmer-Eigenschaft des Angestellten notfalls schon beim bestandenen Hochschul-Examen enden lassen, die Akademiker mit dem Titel Leitende Angestellte versehen und aus den Betriebsräten fernhalten.

Mit ihrem Gesetzentwurf will die CSU die Spannungen zwischen SPD und FDP verschärfen. Einen an sich konsequenten Antrag ihres Abgeordneten und Industrie-Syndikus Jürgen Warnke allerdings mochte die Bonner CSU-Landesgruppe nicht in ihren Gesetzentwurf aufnehmen. Warnkes Forderung: Wer, wie die CSU, ein einheitliches Gesetz über die Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen fordere, müsse das bisher einzige westdeutsche Modell mit gleichen Rechten für Kapitaleigner und Arbeitnehmer. nämlich die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie, abschaffen. Der Warnke-Antrag wurde abgelehnt.

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