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NIEDERLANDE Gewürztes für Geiseln

Für den Prozeß gegen sieben Südmolukker, die einen Zug gekapert und drei Menschen getötet haben, nahm sich Hollands Justiz nur drei Tage Zeit.
aus DER SPIEGEL 13/1976

Zwölf Tage lang war Walter Timmer, »der Pfarrer« genannt, seit 2. Dezember vergangenen Jahres mit zunächst 34 anderen Holländern Opfer von sieben südmolukkischen Terroristen, die bei Beilen (Provinz Drente) einen ganzen Zug gekapert hatten.

Im Zug hat er mit den Geiselnehmern, überzeugten Christen, sowie ihren Opfern gebetet, hat mit ihnen Psalmen gesungen. Vor Beginn ihres Prozesses am 10. März in der Provinzhauptstadt Assen ging er, begleitet von etlichen anderen Geiseln, in die Molukker-Siedlung Boven-Smilde, sprach mit den Eltern seiner Peiniger, genoß von Jugendlichen zubereitetes Sajur Ajam, Babi Pangang und andere scharfgewürzte Köstlichkeiten aus der Heimat der ehemaligen holländischen Kolonial-Vasallen.

Einer der Bewirteten, Ex-Geisel und Chefredakteur Gerrit Vaders vom »Nieuwsblad van het Noorden": »Wir haben jetzt noch mehr Verständnis für die schlimme Situation des südmolukkischen Volkes als vorher.«

Es scheint ihnen, den eigentlich Leidtragenden eines unbewältigten Kapitels holländischer Kolonialgeschichte, keiner zu danken. Schon wird gemunkelt, daß die 23 Geiseln, die den überfallenen Zug schließlich am 14. Dezember verließen, am Geburtstag der Königin Juliana, anders als vorgesehen, keinen der 3000 zu verteilenden Orden erhalten werden.

Als die Niederlande 1949 ihre indonesischen Insel-Territorien verloren, war den Bewohnern der Molukken-Inseln Ambon, Ceram und Buru das Recht auf Selbstbestimmung innerhalb einer indonesischen Föderation zugesagt worden, doch der damalige Präsident Sukarno hielt sich nicht daran. 4000 ambonesische Kämpfer für die Sache der Kolonialherren flohen damals mit 8000 Angehörigen ins ehemalige Mutterland. das ihr Streben zu befürworten versprach. Heute leben in Holland -- bis zum Beilen-Zwischenfall fast vergessen, kaum integriert -- 40 000 Molukker in Lagern und Slums.

Die Geiselnahme von Beilen aber hatte den Niederländern klargemacht, daß die Molukker nicht länger totgeschwiegen werden können etwa 1000 Angehörige dieser Minderheit werden mittlerweile zum bewaffneten militanten Flügel gezählt. Während das Geiseldrama noch andauerte, überfielen abermals sieben Molukker das indonesische Konsulat in Amsterdam (ihr Prozeß beginnt am Dienstag dieser Woche, drei Tage, bevor die Täter von Beilen abgeurteilt werden).

Wohl hatte die niederländische Justiz ein noch nie erlebtes Aufgebot an starrenden Zäunen, Polizisten mit Hunden und Karabinern, Panzern und Wasserwerfern zur Sicherung beider Prozesse parat, zumindest da liegt ein Vergleich zu Stammheim auf der Hand. Doch die Zeit, die sich die Justiz nahm, war kurz. Holland wollte einen normalen, keinesfalls einen politischen Prozeß.

Drei Menschen waren in Beilen von den Terroristen (Alter: zwischen 19 und 26 Jahre) erschossen worden -- der Lokführer Johannes Braam, 30, der Soldat Leo Bulter, 22, der Handelsvertreter Bert Bierling, 31. Die Anklage lautete auf Mord, Freiheitsberaubung mit Todesfolge und Verstoß gegen das Waffengesetz. Anträge der Staatsanwaltschaft nach drei Verhandlungstagen: zweimal 18, dreimal 15, zweimal 12 Jahre Freiheitsentzug.

Keine der Geiseln war in Assen als Nebenkläger aufgetreten, keine wurde vernommen -- außer zweien, die als Zeugen der Verteidigung auftraten. Es war ein Prozeß der »weinenden Mörder« (Vaders), um deren Motivation sich offenkundig nur noch die Entkommenen und einige wenige Prozeßbeobachter scherten.

Sich zu erklären, wäre den Angeklagten ohnehin schwergefallen, befand Sjoerd Post vom »Drentsche en Asser Courant":« Die Hintergründe. ihre Absichten zu beleuchten, dazu waren sie kaum imstande, denn ihre Bildung, ihr Niederländisch ist zu mangelhaft.« Für die Muttersprache -- Malaiisch -- war kein Dolmetscher da.

Wie ihnen zumute war, nachdem sie drei Menschen getötet hatten, diese Frage zumindest stellte Gerichtspräsident Fliek.

»Die Tränen schossen uns aus den Augen«, so der Angeklagte Paulus Saimima, 25. »Ich betete, ich fluchte auf die Haager Regierung, denn sie hatte uns, durch ihre starre Haltung, zum Schießen gezwungen.« Nur der zierliche Elisa Hahuri, 24, Neffe des 1966 in Indonesien hingerichteten Molukken-Führers Soumokil, weinte nicht. »Ein leeres Gefühl« habe er gehabt und »Mitgefühl«, als er dem angeblich von Jacobus Tuny angeschossenen Lokführer den Todesschuß gab.

Kaltblütige Mörder also oder von Vätern und Führern angestachelte Amateur-Terroristen, die nicht wußten, was ihnen zu tun übrigblieb? Niemals hätten sie vorgehabt, Menschenleben zu opfern außer den eigenen, so haben sie einhellig in Assen ausgesagt.

Einer glaubt ihnen: die Geisel Vaders, die den Prozeß von der Zuschauertribüne aus miterlebte. Vaders: »Alle wären noch am Leben, außer dem in Panik erschossenen Lokführer.«

Vaders hat schwere Kritik am niederländischen Krisenstab geübt, der die Unterhandlungen mit den Geiselnehmern auf sträflichem »Feldhüter-Niveau« habe versanden lassen. Den Haag habe »mit Menschenleben gespielt -- und verloren«. Doch die Regierung war nicht angeklagt.

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