Gewußt
(Nr. 19/1971, Gerhard Mauz Ober den Vialon-Prozeß)
Gerhard Mauz hat großartig geschrieben. Stilistisch und inhaltlich. Dieser »Vorgang Vialon« hat mich sehr beunruhigt. Seiner Beispielhaftigkeit wegen. Aber ist es nicht zutiefst deprimierend, wenn man am Ende einer langen Überlegung doch nur zu dem Schluß kommt, daß wir alle miteinander die Vialons nicht schaffen?! Gestern nicht und heute nicht. Sie sind unter uns, massenhaft. Und tun wie eh und je: Ohne Vorgang kein Gedanke, keine Empfindung. Bis dann eines Tages wieder nur Trümmer übrig sind und die hirniose Einlassung: Ja, wenn wir gewußt hätten ...
In meiner Ausbildung wurde mir und anderen Friedrich Karl Vialon stets als das Urbild des hochqualifizierten Fachbeamten beispielhaft vor Augen geführt. Nun, das war er ja wohl -- auch.
Gilching (Bayern) DIETER W. SIMON
Als Angehöriger des Jahrgangs 1930 möchte ich schildern, wie ich, damals 13 Jahre alt, von den Morden an Juden erfuhr. Es war auf einer Pfingstfahrt des Darmstädter Fähnleins 8 in Ernsthofen im Odenwald. Als wir uns am Morgen an der Pumpe eines Bauernhofes wuschen, sagte ein Gleichaltriger zu mir:
* Wurde am 13. Mai 1971 von der Anklage des Meineids freigesprochen.
»Reiche mir doch mal den Judenknochen 'rüber.« Als ich ihn verständnislos anblickte, erläuterte er seine Aufforderung mit den Worten: »Menschenskind, weißt du nicht, daß aus Judenknochen Seife gemacht wird?« Als ich meinen Eltern von diesem Gespräch berichtete, bestätigten sie, daß tatsächlich Juden in großer Zahl umgebracht würden. Auf Grund dieser eigenen Erfahrung, daß selbst Kinder sich damals so ungeniert über diese Schrecklichkeiten äußerten, fällt es mir heute schwer, zu glauben, daß seinerzeit Erwachsene nichts davon gewußt haben sollten.
Darmstadt H.-A. CASPAR
Ich habe die Hoffnung aufgegeben, daß sich das Problem durch Aussterben lösen lassen wird, denn die Antwort: »Wenn ich gewußt hätte wird einem heute ja nicht weniger zuteil.
Hamburg H.-W. KÖTTER
Man wird die Menschheit nicht ändern -- auch durch das darüber Schreiben nicht. Aber jedenfalls kann der SPIEGEL eines Tages, dank Mauz, sagen: Wir haben gewußt und geschrieben. Hannover KLAUS-D. MEIDE
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