Umwelt Gift im Gebälk
Gelb getüncht war das Haus und von einem hübschen Garten umgeben. Als der Forstmann seine neue Dienstwohnung in dem fränkischen Dörfchen Ruppertshütten bei Würzburg bezog, freuten sich alle Familienmitglieder.
In dem entlegenen Flecken im Spessart gab es keinen Autolärm, die Luft war klar und frisch. Und wenn der _(* Mitte letzter Woche beim Besuch des ) _(Forsthauses in Ruppertshütten. ) Weidmann aus dem Fenster schaute, blickte er auf Wald und Wiesen.
Doch die Idylle trog. Drinnen in dem gemütlich mit Holzpaneelen verkleideten Landhaus war die Luft offenbar nicht allzu gesund. Bald litt der Förster an unerklärlichen Bindegewebsschwächen, seine Frau und die beiden Söhne bekamen Gelenkschmerzen und Angstzustände; ständig klagte jemand über Migräne.
Der Grund für die rätselhaften Erkrankungen scheint mittlerweile geklärt: Nach einem Urteil des Würzburger Verwaltungsgerichts vom August dieses Jahres ist die Försterfamilie regelrecht vergiftet worden - mit gefährlichen Holzschutzmitteln, die in dem schmucken Forsthaus aus Gebälk und Wandverkleidungen dampften.
Um die Wiedergutmachung für die kränkelnde Familie jedoch ist ein erbitterter Streit entbrannt: Die bayerische Staatsregierung lehnt es ab, die gerichtlich verfügte Entschädigung (von 200 000 Mark) zu bezahlen und hat Berufung eingelegt. Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet (CSU) will vorerst keinen Pfennig herausrücken. »Es kann ja sein«, erklärte er vergangene Woche vor Angehörigen der grünen Zunft, »daß da plötzlich der Rechnungshof bei uns anklopft.«
Womöglich klopfen noch ganz andere an. Denn es droht eine Welle von Entschädigungsansprüchen mit derzeit nicht abschätzbarer Dimension. Die Berufsvertretung der Forstleute will eine Verfassungsklage gegen die bayerische Landesregierung anstrengen, die bayerischen Grünen haben Strafanzeige erstattet: Ausgerechnet die Weidmänner, tagsüber stets in der frischen Waldluft unterwegs, wurden daheim in ihren Stuben offenbar jahrzehntelang mit gesundheitsschädlichen Chemikalien begast.
Nach neuesten Messungen gibt es über das Gifthaus im Spessart hinaus allein im Fränkischen noch mindestens 50 weitere mit Holzschutzmitteln verseuchte Forsthäuser: Jedes dritte der bislang untersuchten Häuser war belastet.
Noch ist nicht klar, wie viele bayerische Förstereien vergiftet sind. Schon wurden auch in anderen Revieren, in Hessen beispielsweise und in Baden-Württemberg, verseuchte Forsthäuser entdeckt. Pfarrhäuser, Abteien und Altenheime stehen mittlerweile ebenfalls in Giftverdacht - es kommt, wie es scheint, ein neuer Holzschutzmittelskandal ins Rollen.
Und die Behörden wiegeln, wie immer, ab. So behauptet der bayerische Minister Bocklet, von Holzschutzmitteln ausgehende Gefahren seien erst jüngst bekannt geworden. »Die Gefahr daraus ist bis heute umstritten«, verteidigt sich der Christsoziale, »wie hätten wir uns da früher sicher sein sollen?«
Bocklets Einlassung ist falsch. Bereits Ende der siebziger Jahre waren Diskussionen um die Lasuren, Tinkturen und Farbmittel zur Holzbehandlung entbrannt. Damals wurden die meisten Präparate mit gefährlichen Chlorverbindungen versetzt, etwa Lindan und Pentachlorphenol (PCP). Die Stoffe reichern sich im Fettgewebe an und werden verdächtigt, Nervenschäden und Krebserkrankungen zu erzeugen.
Wo immer das Zeug in den vergangenen Jahren entdeckt wurde, löste dies hektische Aktivitäten aus. So wurden Mitte der achtziger Jahre im Bundesgebiet zahlreiche Kindergärten wegen Verseuchung geschlossen, viele Bewohner verließen ihre neubezogenen Fertighäuser, von Städtern sanierte Fachwerkhäuser waren bald verwaist.
Wegen zahlreicher Gesundheitsschäden wie Konzentrationsstörungen und Nervenschäden klagten Betroffene vor Gericht. Zwei Manager der Chemiefirma Desowag in Düsseldorf, eines bekannten Herstellers von Holzschutzmitteln wie Xyladecor, wurden 1993 zu jeweils einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt - sie hatten die Gesundheitsrisiken sträflich verharmlost.
Auch im bayerischen Landtag äußerte bereits 1978 der damalige Innenminister Alfred Seidl den Verdacht, daß die »Verwendung PCP-haltiger Holzschutzmittel in Innenräumen zu Gesundheitsschäden führt«. Die Behörden sollten daher »in Zweifelsfällen Konzentrationsmessungen der Raumluft durchführen« und gegebenenfalls »Atemschutzgeräte« bereitstellen.
Der Appell verhallte offenbar in den bayerischen Wäldern. Zwar klagten Forstleute und ihre Familienangehörigen immer mal wieder über Kopfschmerzen, Asthma oder Hautausschlag. Erste Schadstoffmessungen aber ordneten die Behörden erst im Dezember 1992 an. Vergangene Woche befahl Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber endlich flächendeckende Untersuchungen: Unter der Regie von Innenminister Günther Beckstein sollen nun die 13 000 öffentlichen Gebäude im Freistaat auf PCP überprüft werden.
Mittlerweile wurde die gefährliche Chlorverbindung verboten. Doch »die Verseuchung mit Holzgiftstoffen ist noch immer ein flächendeckendes Problem«, vermutet die Medizinsoziologin Beate Lift von der Ingenieur Sozietät Dreieich bei Frankfurt, einem Büro, das bundesweit Umweltgifte mißt. »Die Sanierung«, schätzt Lift, »wird zweistellige Milliardensummen kosten.«
Aus Kostengründen scheuen die Behörden wohl auch vielerorts gründlichere Untersuchungen. So wird in Hessen und Baden-Württemberg bislang lediglich auf Verdacht hin gemessen, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen überhaupt nicht.
Allein im Raum Tübingen aber sind 9 verseuchte Forsthäuser entdeckt worden, in Hessen werden derzeit 3 Förstereien saniert. Die Evangelische Landeskirche in Bayern berichtet von bis zu 20 belasteten Pfarrhäusern. »Wo die Familien es wünschten, haben wir Interimswohnungen besorgt und finanzielle Unterstützung gegeben, wenn die Möbel verseucht waren«, erklärte Kirchensprecher Dieter Breit in München.
Womöglich wird in den Kirchenhäusern noch der Klingelbeutel herumgereicht werden müssen: Im Verdacht, PCP-verseucht zu sein, stehen mittlerweile auch so ehrwürdige Gebäude wie das Benediktinerkloster in Neresheim.
Dort hatte Pater Hugo Weihermüller, 60, das Gift aufgespürt. Dem Geistlichen waren in seinem Arbeitsraum merkwürdige Vorkommnisse aufgefallen. Erst ging das Zitrusbäumchen ein, dann verschwanden die Mücken. Und den Pater plagte immer häufiger ein Reizhusten, wenn er in seinem Zimmer unter der alten Balkendecke saß.
Vor vier Jahren dann ergaben Messungen immens hohe Giftbelastungen in Pater Hugos Zelle. Seither ist der Raum verschlossen. Doch Pater Hugo kennt sich jetzt besser im Häuserbau aus. Wenn er viel Holzwerk an einem Gebäude sehe, »da brauche ich die Leute nur nach ihren Beschwerden zu fragen«, sagt der Kirchenmann. »Ich weiß sofort: Das war Xyladecor.« Y
»Die Verseuchung mit Holzgift ist noch immer ein Problem«
* Mitte letzter Woche beim Besuch des Forsthauses in Ruppertshütten.