CHINA Gift unter ihnen
Mao schickte einst Millionen Schulabgänger aufs Land, damit sie »dem Volk dienen«. Jetzt wollen die Jugendlichen zurück in die Städte.
Sie zogen durch die Straßen, verprügelten Funktionäre, plünderten Geschäfte, blockierten den Verkehr und besetzten das städtische Arbeitsamt -- Jugendliche demonstrierten in Schanghai gegen die Zwangsarbeit auf dem Land. Sie forderten Lehrstellen und Studienplätze und weigerten sich, in die Volkskommunen zurückzukehren.
Die jungen Leute rebellierten gegen eine Praxis, die Mao Ende der 50er Jahre eingeführt hatte: Unter der Parole »Hoch zu den Bergen, runter zu den Dörfern« wurden rund 16 Millionen Schüler und Studenten in die Provinz geschickt, darunter auch Hsioa-li, die Tochter des Mao-Nachfolgers Hua Kuo-feng. In den Volkskommunen leistet der Nachwuchs tagsüber körperliche Arbeit und Studien nach Feierabend Maos Schriften.
Mit den Landverschickungen wollte Mao den neuen, sozialistischen Menschen schaffen. Da der Große Steuermann überzeugt war, daß gerade die städtische Jugend mit »bürgerlichem Gedankengut« (Mao) infiziert sei, mußten vor allem Kinder aus der Mittel- und Oberschicht »dem Volke dienen«. Das Parteiorgan »Volkszeitung« schrieb: »Die Integration mit Arbeitern und Bauern ist für junge Leute der Weg zur Veränderung ihrer Weltanschauung.«
Der staatlich verordnete Aufenthalt in der Provinz diente indessen auch pragmatischen Zielen: Lin Piao. Chinas damaliger Verteidigungsminister, sah in den Verbannungen eine Maßnahme zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit unter Akademikern.
Für Mao waren die Umsiedlungen zugleich ein Mittel, um die in der Kulturrevolution sich wild gebärdenden Roten Garden zu disziplinieren, aber auch, um der Landwirtschaft zu helfen.
Viele Schulabgänger und Studenten empfanden die Verbannung als Strafe. Die »Heilungkian-Zeitung« berichtete: »Das Gift des Revisionismus ist noch unter ihnen. Sie mögen die Landwirtschaft nicht und fühlen sich als Zwangsarbeiter.«
Zu Recht, denn in manchen Kommunen verdienten sie nichts, in anderen wenig -- wie auch die Bauern, die nur die Hälfte eines Arbeiterlohns bekommen, trotz erhöhter Arbeitszeit.
Konsumgüter sind in der Provinz noch schwieriger zu bekommen als in den Städten, und in den Dörfern fehlen Kneipen, Kinos, Theater, Bibliotheken und Sportplätze. Überdies behandelten einige Provinzfunktionäre die Mädchen als Freiwild, andere zensierten die Post der jungen Leute.
Zwar brachten es einige Schulabgänger und Studenten in der Provinz sogar zu Parteifunktionen, doch die meisten kehrten illegal in die Städte zurück, einige flohen sogar nach Hongkong.
Weil es in den Städten für Illegale weder Lebensmittelkarten noch Arbeitspapiere gab, wurden viele Flüchtlinge kriminell. Mädchen gingen auf den Strich, Jungen schlossen sich zu Banden zusammen.
Statt dem Volk zu dienen, lebten die Jugendlichen auf Kosten der Gemeinschaft; statt neue Menschen zu werden, kamen sie mit Moral und Gesetz in Konflikt. Zwei Jahre nach Maos Tod zog die Partei schließlich Konsequenzen und stoppte die Landverschickungen.
Doch damit geben sich die jungen Leute nicht zufrieden: Sie wollen zurück in die Städte. Auf einer Wandzeitung in Peking wurde die Rückführung aller aufs Land verbannten Jugendlichen gefordert. Auf dem Plakat flehte eine Mutter die »Macht des Himmels« an, ihre Kinder aus den Volkskommunen heimzubringen.
Dazu aber ist die Regierung noch nicht bereit: Chinas Vizepremier Wang Tschen forderte die protestierenden Jugendlichen auf, in die Volkskommunen zurückzukehren und »die Schweine gut zu füttern«. Wang: »Sie sollten heiraten, die Provinz als ihre Heimat betrachten und ein neues Paradies schaffen.«
* In Peking.