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AFFÄREN / PORST Gigant Atom

aus DER SPIEGEL 46/1967

Vom Vater bekam der Nürnberger Unternehmer Hannsheinz Porst, 44, das »größte Photo-Haus der Welt« und Rat für außergewöhnliche Lebenslagen. »Bub«, so klärte der Alte den Junior über das Verhalten hinter Gefängnismauern auf, »wenn dir das jemals passiert, bleib ruhig! Schau nicht auf die Gitter, denk nicht an die verschlossene Tür. Bemitleide nicht dich, sondern den Gefängniswärter, der hat lebenslänglich.«

1964 war der so aufs Leben Vorbereitete 24 Tage lang Deutschlands prominentester Untersuchungshäftling. Jetzt ist er es wieder.

Damals hatte der Nürnberger, der das Photo-Versandhaus zu einer Gruppe von neun Firmen mit 150 Millionen Mark Jahresumsatz ausbaute, Steuern hinterzogen. Gegen die höchste Kaution, die jemals in der Bundesrepublik gestellt wurde (über acht Millionen Mark), kam er wieder frei. Und nach einem sogenannten Unterwerfungsverfahren zahlte Porst schließlich zwei Millionen Mark Strafe.

Knapp zwei Wochen, nachdem ihn zwei Kripo-Beamte der Sicherungsgruppe Bonn vor der Praxis der Porst-Ärztin Dr. Henny Schmidt-Schencke (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie) am 24. Oktober festgenommen hatten und dann im Nürnberger Polizeipräsidium wegen Verdachts landesverräterischer Beziehungen verhafteten, war diesmal noch unklar, was gegen Porst tatsächlich vorliegt.

Die Porst-Firmenleitung hielt die Verhaftung ihres Chefs, der mit seinen Direktoren mitunter in der Sauna zu konferieren pflegte, Ende letzter Woche »nach wie vor für ein absolutes Mißverständnis«. Die Bundesanwaltschaft war genauso verschlossen wie am Wochenende davor. Oberstaatsanwalt Antonius Berard: » Über den Stand der Ermittlungen kann ich nichts sagen.«

Statt dessen wucherte die Fama, blühten Spekulationen. Da war von militärischen Objekten die Rede, die der Freizeitflieger und Photohändler (Slogan in Porsts »Photohelfer": »Bei Photo-Porst gibt es keine Geheimnisse") mit seiner zweimotorigen »Queen Air« ausgekundschaftet haben soll, sowie von Erpressern, denen der Forellenangler und Familienvater angeblich in die Hände gefallen war.

In Hamburg wurde Geschwätz anonymer Nürnberger Bürger in »Die Welt« gesetzt: »Zuzutrauen wär's ihm schon.« Doch FDP-Vorsitzender Erich Mende fand landerverräterische Beziehungen seines Parteifreundes Porst »ganz unvorstellbar«.

Sicher war bis Ende letzter Woche nur das: Porst wurde nicht aufgrund von Enthüllungen des übergelaufenen sowjetischen Geheimdienst-Oberstleutnants Jewgenij Jewgenjewitsch Runge verhaftet. Aber er war befreundet mit zwei Männern, von denen der eine überzeugter Kommunist ist und der andere bis vor zwölf Jahren in verantwortlicher Stellung im kommunistischen Deutschland lebte:

> Karl Böhm, 54, in Ost-Berlin lebender Onkel von Hannsheinz Forst, Schriftsteller ("Gigant Atom«, »Auf dem Weg zu fernen Welten") und DDR-Nationalpreisträger, zeitweise Mitarbeiter des SED-Zentralkomitees und bis 1957 stellvertretender Leiter der Kulturministeriumsabteilung für »Literatur- und Verlagswesen«;

> Afred Pilny, 50, FDP-Mitglied, Lektor in den Druckereibetrieben der Porst-Gruppe, zeitweiliger Hauslehrer der Forst-Kinder und bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik Anfang 1955 zunächst Studiendirektor in Leipzig, dann Lektor an der Ost-Berliner »Zentralstelle für wissenschaftliche Literatur« -- ein Referat jener Ministeriums-Abteilung »Literatur und Verlagswesen«, deren stellvertretender Leiter damals Böhm war. Onkel Karl Böhm, dessen Mutter eine geborene Porst war und der bisweilen als Schriftsteller das Pseudonym Peter Forst benutzte, wuchs zusammen mit Hannsheinz Forst in Nürnberg auf und war für ihn -- so Forst-Direktor Dieter Reiber -- »so etwas wie ein Idol«.

Weil er die verbotene Kommunistische Partei neugründen wollte, wurde er 1933 verhaftet und bis 1939 ins KZ Dachau gesperrt. Nach Kriegsende sahen sich Onkel Karl und Neffe Hannsheinz wieder.

Sie wollten zusammen einen Verlag gründen. Doch dann zog Böhm in die Sowjetzone. Die Verbindung zwischen dem Kapitalisten und dem »Edelkommunisten« (Forst senior über Böhm) rissen allerdings nicht ab. Forst besuchte Onkel Karl mehrfach; einmal fuhren sie gemeinsam zu einem Fußballspiel nach Moskau.

Zwar hatte Onkel Karl 1950 im SED-Organ »Neuer Weg« klargemacht: »Entscheidend ist ja nicht, daß man sich mit Klassenfremden und sogar Klassengegnern an einen Tisch setzt, sondern warum und mit welchem Ergebnis.«

Daß Böhm aber seinen Neffen, der zeitweilig stellvertretender FDP-Bezirksvorsitzender in Mitteifranken war und enge Beziehungen zur Parteispitze hatte, gezielt etwa über FDP-Interna aushorchte oder Forst gar dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zuspielte, hält beispielsweise Karl Böhms Bruder Hans, Forst-Prokurist im Ruhestand, für ausgeschlossen: »Nach der charakterlichen Anlage« passe das nicht zu seinem Bruder.

Immerhin: Bei dem früheren Böhm-Untergebenen und heutigen Forst-Bediensteten Pilny, der fünf Tage vor seinem Chef wegen Verdachts landesverräterischer Beziehungen verhaftet wurde, waren Funkverkehr-Unterlagen aus den Jahren bis 1959 gefunden worden, die auf eine Tätigkeit als »politischer Agent« für das MfS hindeuteten.

Darin wollen die bundesdeutschen Spionenfahnder den Namen Forst in Zusammenhängen gefunden haben, aus denen sie den Schluß zogen, Forst sei Mitwisser, wenn nicht gar Informant Pilnys gewesen.

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