GELDANLAGE Glanz netto Kasse
Renatus Johann Wilm, 45, Inhaber eines Juwelierladens an Hamburgs fad-feinem Ballindamm, fühlt sich verkannt. Er habe, beteuert er, nur verhindern wollen, daß »der Laie aus Unwissenheit in unseriöse Hände fällt«.
Ungeduldig wartet der Pretiosenhändler auf Post aus Antwerpen, Tel Aviv und New York. Die Vorstände der dortigen Diamantenhandelszentralen sollen ihn von dem Verdacht reinigen, er habe unter dem ehrsamen Namen seiner Ahnen ("seit 1767 Hofjuwelier") nicht ganz lupenreine Geschäfte betrieben.
Doch die Chancen, der Hilfe Dritter teilhaftig zu werden, sind gering. Denn der geschäftige Nachfahre biederer Gold- und Silberschmiede hat versucht, ein mit den Usancen des internationalen Diamantenhandeis nicht vertrautes Laienpublikum glauben zu machen, bei ihm sei im Sonderverkauf zu haben, was es nicht gibt: feinste Brillanten zum billigen Börsenpreis.
Für rund 8000 Mark Annoncenkosten und mit büttenen Werberundschreiben hatte der Schmuckhändler zu »Diamanten-Präsentationen« eingeladen und verheißen: »Zum ersten Mal« biete sich »dem Privatkäufer von Diamanten« Gelegenheit, »zu den Preisen und Bedingungen der Diamantenbörsen in Antwerpen, Tel Aviv, New York« einzukaufen und die hochkarätige Ware »unter ähnlichen Voraussetzungen« zu erwerben, »unter denen die wenigen beim Diamantensyndikat zugelassenen Händler direkt einkaufen«.
Die Preise, lockte Renatus Wilm, seien der günstigen Sonderofferte angemessen. Er werde, annoncierte er, seine Diamanten »im Gegenwert von mehreren Millionen Deutscher Mark« zum »internationalen Börsenpreis« anbieten und für sich nur eine magere »Provision von 3 Prozent« drauf schlagen.
Dafür müßte das Geschäft sofort »netto Kasse, zahlbar beim Kauf« getätigt, die Ware »wie besichtigt« hingenommen werden. Nachträgliche Mängelrügen sind ausgeschlossen. Doch auf Wunsch des Käufers und gegen eine zusätzliche Provision von zehn Prozent wollte seine Firma »gern die zeitlich unbegrenzte Qualitätsgarantie« übernehmen, »wie sie sonst für die von meiner Firma getätigten Einzelverkäufe üblich ist«.
Gegen ein weiteres Prozent, mindestens jedoch 200 Mark, wollte er sogar mit einwandfreien Urkunden dienen, »die eine differentialdiagnostische Qualitätsbeschreibung enthalten« und das glitzernde Sonderangebot als wertbeständige Kapitalanlage ausweisen. Denn im Gegensatz zu Branchen-Bräuchen sei die Wilm-Urkunde »wirklich das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung«.
Letzte Zweifel an der Seriosität des Angebots räumte Renatus Wilm beiseite: Als »einziger europäischer Juwelier« dürfte er unmittelbar beim Londoner Diamantensyndikat einkaufen und betreibe außerdem eine eigene Schleiferei, vereinige mithin »für den Diamanten-Sektor sämtliche Verarbeitungs- und Handelsstufen in unserem Unternehmen«.
Wer eilfertig gegen netto Kasse zugriff (Wilm: »Wir haben für 600 000 Mark verkauft, die Käufer waren insbesondere Ärzte, Zahnärzte, andere Freiberufler"), konnte freilich nicht ahnen, daß er einem brillanten Werbeeinfall erlegen war.
Denn die Kunden erwarben nicht, wie sie nach der annoncierten Verheißung hoffen durften, Steine aus der preisgünstigen Quelle des Londoner Diamantensyndikats« die Renatus Wilm in eigener Schleiferei preisgünstig bearbeitet hatte. Vielmehr gingen sie mit Pretiosen heim. die ihnen jeder gute Juwelier auf Wunsch besorgen kann. Denn Wilm ("Ein guter Name ist viel wert") verkaufte lediglich Kommissionsware aus nicht näher zu lokalisierenden »Beständen des internationalen Diamantenhandels« (Wilm), die sich der Einzelhändler gegen entsprechende Versicherungsgebühren für die Dauer von einer Woche ausgeliehen hatte.
Die Steine waren auch nie bei einer Wilm-Schleiferei bearbeitet worden, da keine existiert. Die Diamant-Schleiferei, die der Juwelier einst in Idar-Oberstein betrieb, ist längst im dortigen Randelsregister gelöscht, und der Pretiosenhändler plant erst, sich »irgendwo im fernen Osten, vielleicht in Indien« eine neue Werkstätte zuzulegen.
Unklar wie ihre Fundstelle blieb auch die Preiskalkulation der Wilm-Brillanten. Auf welchen Einkaufspreis der Händler seine drei Prozent Provision schlägt, bleibt das Geheimnis des Veranstalters. Denn einen »internationalen Börsenpreis« für einzelne Diamanten gibt es nur in der Phantasie des Hamburgers.
Weder beim Londoner Diamanten-Syndikat noch auf irgendeinem Diamanten-Markt der Welt sind rohe oder geschliffene Diamanten zu einem festen, amtlich notierten Börsenpreis zu haben. Wilm: »Der Ausdruck »Börsenpreis« wurde von mir nach sehr sorgfältiger Überlegung gewählt.«
Im Gegensatz etwa zu den amtlichen Notierungen der Edelmetallpreise oder der Kurse für Rohstoffe werden die Diamantpreise stets individuell zwischen Anbieter und Kauf interessent anhand des konkreten Warenangebots ausgehandelt. Der jeweilige Preis richtet sich ausschließlich danach, was ein Käufer für eine bestimmte Partie Steine unterschiedlicher Größe und Qualität zu zahlen und was der Anbieter als Preis hinzunehmen bereit ist.
Als Verstoß gegen gute Kaufmannssitten stuften daher die Landgerichte von Frankfurt und Hamburg die Brillanten-Aktion ein. Die Landrichter untersagten Wilm auch, der Ware nebulöse Qualitätsurkunden beizulegen und damit unterschwellig Mißtrauen gegen die gesamte Branche zu säen.
Wilm will sich dem Richterspruch nicht beugen. Obwohl sein erster Widerspruch gegen die Gerichtsverfügung bereits abgewiesen wurde, will er »notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht sein Recht auf freie Berufsausübung« erstreiten.
Für seine nächste »Diamanten-Präsentation« sucht er bereits einen Mitarbeiter. Durch Zeitungsinserat lobt er die Stelle eines Diamanteneinkäufers aus und versprach, neben angemessenem Gehalt, »Erfolgsbeteiligung«.