JUNGE UNION Glatt verführt
Kaum hatte der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Matthias Wissmann, seine 320 Delegierten in München zur »machtvollen Demonstration der Geschlossenheit« begrüßt, führten die geladenen Gastredner das Gegenteil vor. Beim JU-Deutschlandtag am vorletzten Wochenende geriet sich die Prominenz aus CDU und CSU wieder mal darüber in die Haare, wie denn am besten Wahlen zu gewinnen seien.
Unversöhnt trauerte CSU-Generalsekretär Gerold Tandler der gescheiterten Kreuther Separation nach. Düster beschrieb sein Vorsitzender Franz Josef Strauß die augenblicklichen Mehrheitsaussichten.
Nur Kanzlerkandidat Helmut Kohl setzte seine Hoffnungen weiter auf die Einheit der Christen und ihren politischen Nachwuchs. Die Junge Union, lobte der Bonner Fraktionschef, sei die entscheidende Klammer zwischen den christlichen Schwesterparteien.
Die Mehrheit der Versammlung und der wiedergewählte Vorsitzende Wissmann bedachten die freundliche Fehleinschätzung mit Beifall. Wie es wirklich ist, wissen sie besser.
Denn längst schon hat die von Strauß und seinem Gefolge geführte Strategie-Diskussion auch die Basis der Nachwuchs-Organisation (Mitgliedsalter: 14 bis 35 Jahre) ergriffen.
Zwar beschränkte sich in München die interne Auseinandersetzung noch auf ein eher harmloses Geplänkel mit dem bayrischen JU-Vorsitzenden und Strauß-Sprachrohr Otto Wiesheu. Warnungen vor einer »Renaissance der konservativen Idee« klangen allenfalls beim Abschiedsreferat des JU-Chefdenkers Wulf Schönbohm an.
Doch daß die Diskussion nicht ins Grundsätzliche ging, lag nur an der geschickten Delegiertenauswahl. JU-Bildungsreferent Jürgen Fuchs. »Unsere internen Probleme blieben so ausgeklammert.«
Nicht mehr lange. Denn von Berlin bis Baden-Württemberg, in Kassel wie in Kreuznach erobert ein neuer, militanter Funktionärstyp Vorstands- und Sprecherposten -- meist Mitglieder der parteinahen Schiller-Union« denen die CDU zu lasch und die bisherige Weltanschauung zu zahm ist. Mit einer »Unmenge von finanziellen Mitteln«. so der westhessische JU-Vorsitzende Hans-Dieter Gärtner, und »kadermäßig geschult«, so der Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrats, Johann Diedrich Hellwege, drängen sich die rechten Eiferer allenthalben nach vorn.
Ihre Ziele kennt keiner so recht, Das sind Leute, »denen Strauß sicherlich nähersteht als Kohl«, glaubt JU-Chef Wissmann. Möglich scheint einigen im JU-Bundesvorstand sogar, daß sich die Scharfmacher, die nach eigenem Zeugnis die »geistige Erneuerung der Union« anstreben, in Wirklichkeit als junge Avantgarde einer vierten Partei. der bundesweiten CSU, verstehen.
In einem aber sind sich alle einig: »Die Vorstellungen dieser Leute lehnen wir kategorisch ab« (Wissmann).
Denn was da in Antragsbegründungen, Satzungen und Zeitschriftenbeiträgen an politischen Dogmen verbreitet wird, halten die auf Toleranz und Pluralismus bedachten Jung-Christdemokraten, wie deren Vorstandsreferent Fuchs erläutert, nicht nur für ideologisch verbohrt, sondern auch für »demokratiefeindlich und totalitär«.
Wie der rechte Kurs praktisch aussieht, berichtet JU-Chef Wissmann: »Die stellen den Junta-Putsch in Chile als Beispiel dafür dar, wie sich die politische Wahrheit auch gegen politische Widerstände, etwa ein im Irrtum befangenes Parlament, durchsetzt.«
So als gäbe es keine christliche Soziallehre, keine Sozialausschüsse und keine CDU-Diskussion um die »Neue Soziale Frage«, setzen die konservativen Neuerer allein auf den »freien Unternehmer« als Garanten der freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Sie verteufeln Gewerkschaften, halten Andersdenkende für »beschränkt und irrgläubig« und preisen -- in »politischen Grundsätzen« der hessischen Schüler-Union -- die »Institution des Privateigentums«. weil es »für eine natürliche Gliederung des Gesellschaftskörpers und die Verteilung von Herrschaftsgewalt in der Gesellschaft sorgt«.
Für entlarvend und charakteristisch zugleich hält die besonnene Mehrheit des CDU-Nachwuchses den sorglosen Umgang der Jung-Ideologen mit dem Wahrheitsbegriff. »Wer mit dem Glauben an Grundwahrheiten und dem Anspruch auf deren unbedingte soziale Gültigkeit Politik betreibt«, urteilt Bildungsreferent Fuchs in einem Rundschreiben über die Dogmen von rechts, »kann sich nicht dem demokratischen Verfahren aussetzen und damit das Risiko eingehen, zu unterliegen.«
Die Bonner Christdemokraten glauben nicht daran, daß der neue Rechtsruck so ganz spontan entstanden ist. Als Initiator ermittelten sie vielmehr einen »Arbeitskreis für freiheitliche Gesellschaftspolitik« (AFG) mit Sitz in der Wiesbadener Hellmundstraße 45, der Mitgliedern der Schüler-Union und der Jungen Union regelmäßig politische Seminare zu aktuellen Themen, in attraktiver Umgebung, zum ganz kleinen Preis offeriert.
»Das fing im Bonner Hotel Steigenberger mit einem Glas Wein an«, erinnert sich ein bayrischer AFG-Seminarist, »und selbst die Fahrtkosten haben wir noch zurückbekommen.«
An fast jedem Wochenende, errechneten Bonner JU-Vorständler, veranstaltete die AFG im letzten Jahr zwei bis drei Seminare irgendwo in der Bundesrepublik, meist im Raum Wiesbaden, Bonn oder Mainz. Teilnehmerzahl pro Zirkel: zwölf bis 15 Schüler oder Studenten.
Wer das Geld für die Schulungsarbeit aufbringt, darüber verweigern die AFG-Leute bislang jede Auskunft. Nur einer bestätigt, daß er den jugendlichen Scharfmachern die Kassen füllen hilft, der Spirituosenhersteller und Strauß-lntimus Ludwig Eckes ("Mariacron"): »Ich bin einer der Finanziers, mache aber sonst mehr das Organisatorische.«
Für das Ideologische bei der AFG ist der Bonner Publizist Leo Schütze, ebenfalls ein Strauß-Freund, zuständig. In ihm sehen die JU-Oberen auch den Urheber der obskuren Wahrheitsideologie. Schon vor 15 Jahren sei der Herausgeber der »Gesellschaftspolitischen Kommentare« mit Leitsätzen hausieren gegangen, wie man sie heute wieder von rigorosen Schülern höre. Beispiel: »Der Wahrheitsanspruch und die Deutung der Welt sind keine Gegenstände der Toleranz.«
Mit einer eigenen Zeitschrift ("Grundlagen«, Chefredakteur Schütze) und einem eigenen Dachverband für Schüler-Zeitungen ("Verband der freien Jugendpresse") sorgt die AFG dafür, daß ihre Schützlinge in der Jungen Union Kurs halten. JU-Chef Wissmann aufgebracht: »Mit höchstem materiellen Einsatz werden hier junge Leute glatt verführt.«
Einen Vorgeschmack auf die Art der künftigen innerparteilichen Auseinandersetzung hat die JU-Zentrale bereits bekommen. Als sie, um einer weiteren Radikalisierung in Hessen und Berlin vorzubeugen, ihren Mitgliedern eine Absage an jede Zusammenarbeit mit der AFG abverlangte, kam der rührige Arbeitskreis dem Beschluß zuvor: Er löste sich auf.
Die Schulungsarbeit bleibt davon unberührt. Als Veranstalter der Wahrheit verheißenden Wochenend-Seminare zeichnet jetzt ein neues Gremium verantwortlich, der »Verein zur Förderung politischer Bildung«. Sein Sitz: Wiesbaden, Hellmundstraße 45.