RAUBDRUCKE Gleich Null
Zielsicher griff die Kundin in einer Charlottenburger Buchhandlung nach Isabel Allendes »Geisterhaus«, Ladenpreis: 38 Mark. Dann verlangte sie energisch ein billigeres Exemplar. In der Nachbarschaft, so ihre Begründung, gebe es den Band schließlich schon für lumpige zwölf Mark.
An ähnlich auffällige Besucher erinnert sich der Berliner Buchhändler Klaus-Dieter Guhl. Mal fragte ihn »so ein Dicker mit Bart und Cordhose«, mal ein alternativ gekleidetes Pärchen »aggressiv und insistierend« nach einer Billigausgabe von Günter Wallraffs Bestseller »Ganz unten«. Beim Antiquar Udo Koch in der Kreuzberger Oranienstraße hinterließ ein Bücherfreund, der sich nachhaltig für Arno Schmidts offiziell vergriffenes Werk »Zettels Traum« interessierte, eine Telephonnummer. Sie gehörte, wie sich herausstellte, zu einer Detektei in Hannover.
Die Rechercheure kommen vom Frankfurter »Börsenverein des Deutschen Buchhandels«, gesucht werden Raubdrucke. Die Privatfahndung beschränkte sich bisher auf Hinterhöfe und Szenekneipen. Nun läßt der Börsenverein auch die eigenen Mitglieder abkämmen. In Berliner Buchläden wurden die Durchsuchungstrupps der Polizei, von den Spähern alarmiert, letzten Monat zweimal fündig: Beim Händler Guhl förderten sie drei kleine Anarchistentexte zutage, beim Kreuzberger Antiquar Koch gleich 400 Stücke.
In Begleitung der Beamten erschien jeweils ein schneidiger Herr in Zivil ("Guten Tag, Herr Koch, jetzt habe ich Sie!"), der beim Aussondern verdächtiger Werke half: Jochen L. Braeunlich, 43, Leiter des vom Börsenverein im letzten Herbst gegründeten »Sonderreferats Raubdruckverfolgung«.
Braeunlich, ehemals Geschäftsführer der Berliner Verleger- und Buchhändlervereinigung, soll auch im Bundesgebiet nach gefälschter Billigware suchen - zum Verdruß der Buchhändler. Sie sind, so der Vorstand des Berliner Landesverbandes, in dem 146 Buchläden organisiert sind, »völlig verunsichert«. Die Unterstellung, auch sie verdienten insgeheim am Raubdruck-Geschäft, sei eine »Frechheit«, kritisiert die Verbandsvorsitzende Ursula Kiesling.
Der Börsenverein rechtfertigt den vom Berliner Verband gescholtenen »Aktionismus« damit, daß die Raubdruck-Welle überschwappt. Rund 160 Titel, insgesamt etwa 1,6 Millionen Exemplare, sind in letzter Zeit hergestellt
worden. Vom Börsenverein geschätzte Umsatzeinbuße für den seriösen Buchhandel: 24 Millionen Mark.
Von manchen Bestsellern, wie etwa dem »Geisterhaus« oder dem alternativen Dauerbrenner »Papalagi«, werden gleich mehrere konkurrierende Raubausgaben zu rund einem Drittel des Originalpreises verhökert. Allein Michael Endes »Momo« und »Die Unendliche Geschichte«, schätzt der Börsenverein verkauften sich rund 100000mal auf dem grauen Markt.
Die Fälschungen werden immer besser. War das Schriftbild früher oft bis zur Unleserlichkeit verkleinert, so tauchen jetzt erstmals »Identfälschungen« (Braeunlich) auf. Sie sind nicht mehr schäbig broschiert, sondern glänzen im originalgetreuen Mehrfarben-Cover. Flexibel pflegen die Illegalen mittlerweile ihren Markt: Wallraffs »Ganz unten« war bereits zehn Tage nach Erscheinen als Raubdruck zu haben - mit dem »Türken Ali« auf dem Titel, kleiner im Format und zum halben Preis.
Zwar werden die Urheberrechtsdelikte der Buchräuber seit Mitte letzten Jahres von Amts wegen verfolgt (Höchststrafe: fünf Jahre). Derzeit laufen rund sechzig Ermittlungsverfahren vorwiegend gegen Vertreiber, die Hälfte davon in Berlin. Doch eine Herstellerorganisation mit Druckerei wurde bislang nicht ausgehoben; noch fehlt der Nachweis für die Behauptung, die Branche arbeite »wie eine Mafia« (Braeunlich).
»Es gelang bisher nicht einmal, die Raubdruckszene ernsthaft zu verunsichern«, klagt Franz-Wilhelm Peter, Justitiar des Frankfurter Börsenvereins. Er steht unter Druck: Besonders betroffene Großverlage wie Suhrkamp, Kiepenheuer & Witsch oder Hanser drängten, »was zu tun und mehr zu tun« (Peter). Doch dem Sonderreferat Raubdruckverfolgung sind große Erfolge bisher versagt geblieben. In seinem Eifer setzte der Börsenverein sogar schon einmal 5000-Mark-Prämien für Hinweise auf illegale Druckereien aus. Ergebnis: Ein Bürger meldete verdächtige Geräusche aus dem Nebenhaus die Kripo entdeckte nur die Umwälzanlage eines Swimmingpools.
Fahnder Braeunlich rühmt sich: »Ich könnte hier mit einem Schlag 30 Leute hochgehen lassen, was ich im Moment gar nicht mache, weil ich die alle observieren lasse.«
Solche Angaben werden im West-Berliner Milieu stark angezweifelt. Dort ist der Rechercheur des Börsenvereins seit langem bekannt: Als Verbandsgeschäftsführer streifte er persönlich durch die Kieze. Eskortiert von seinem Springer-Spaniel »Zicke«, lauerte er nächtens in den Düsterkneipen auf Schwarzhändler und brachte es zu zweifelhafter Prominenz in der Szene.
Die nimmt den Fahnder nun ins Visier. Unbekannte annoncieren per Zettelanschlag und in alternativen Anzeigenteilen billige Diesel-Mercedesse, Kinderbetten oder Wohnungen und geben dazu Braeunlichs Fernsprechanschluß an ("Jochen, 19 bis 23 Uhr« »Häufiger versuchen"). Seither hat der Oberreferent über »Telephon-Terror« zu klagen.
Auch von der anderen Seite wird Braeunlich angegriffen. Berlins organisierte Buchhändler wehren sich gegen diverse Aufrufe, mit denen der Börsenverein von der Buchbranche Hilfe zur Fahndung in den eigenen Reihen fordert.
Da bittet das Referat um »sachdienliche Informationen« über »Ladengeschäfte«. Testeinkaufer sollen unter anderem nach »Buchverkaufsstellen« für Raubdrucke forschen und »den Kaufbeleg/die Rechnung etc.« beifügen.
Solche Methoden kritisiert die Berliner Verbandsvorsitzende Ursula Kiesling als eine »Art von Selbstjustiz«. Das Interesse an seiner Arbeit, klagt Braeunlich denn auch, sei gleich »Null«. Doch der Rundum-Fahnder des Börsenvereins läßt sich nicht beirren: »Ich kann nicht nur Nichtmitglieder bestrafen und die Mitglieder schonen.«