WOCHENZEITUNGEN Glückliche Zwerge
Noch wußte es die Mutter nicht, da schrieb's die »Neue Post« aus Hamburg: »Nun doch! Ein Kind für Fabiola.«
Neun Monate im voraus erstattete das Blatt Vollzugsmeldung - für die »erfolgreiche Niederkunft« im Herbst 1964. Selbst der Sex des Säuglings schien gewiß - ein Thronfolger.
Zukunftskunde aus adligen Kreißsälen ist ein Charakteristikum buntgedruckter deutscher Wochenzeitungen: der Regenbogenpresse. Rot, orange, gelb, grün, blau und violett sind die knalligen Lettern, in denen die Zeitungen ihre Enthüllungen feilbieten.
Und rosig sind die kommerziellen Aussichten: Jeder fünfte Bürger der Bundesrepublik liest Woche für Woche die schillernde Regenbogen-Presse.
Die Gesamtauflage von 4,5 Millionen Exemplaren verteilt sich auf
- »Das Neue Blatt mit Gerichtswoche«,
Hamburg (Auflage 1,4 Millionen);
- »Heim und Welt- die Wochenzeitung
für Alle«, Hannover (868 000);
- »Neue Welt am Sonnabend«, Düsseldorf
(692 000);
- »Das Grüne Blatt - Deutschlands große Wochenzeitung«, Dortmund (393 000);
- »7 Tage vereinigt mit Hausfreund«,
Speyer (401 000);
- »Neue Post«, Hamburg (372 000) und
- »Wochenend - für die deutsche Familie«, Nürnberg (312 000).
Eines haben oder hatten diese Blätter allesamt gemein: Soraya. Die Dame ist, wie Fred M. Franke, Chefredakteur des »Grünen Blatts«, erläutert, »zu einem großen Teil mitschuldig am Erfolg und am Ruf der Wochenblätter...«
Franke: »In dieser Frau und ihrem Schicksal verkörperten sich für Hunderttausende von Frauen Wunschträume und Sehnsüchte:
- die Halbdeutsche auf dem Pfauenthron,
- die Märchenkaiserin im Morgenland,
- die Kaiserin meiner Seele und
- nach der Verbannung das sentimentale Mitgefühl all derer, die sich im Leben zurückgesetzt, allein, glücklos oder mißverstanden fühlten.«
Und Soraya verschwand, »da sie sich glänzend verkaufte« (Franke), auch dann nicht von den Titelseiten, als es über sie kaum noch etwas Neues zu berichten gab. Doch wurden nun »Wunschträume und Sehnsüchte« der deutschen Frauen auch mit Fabiola und Farah, mit den Prinzessinnen Aschraf und Margaret erfüllt, neuerdings mit Jacqueline Kennedy.
Verlagschef Behnk vom »Grünen Blatt« differenziert: »Die Beiträge über Farah hatten bedeutend mehr Resonanz als die über Fabiola. Die Frage, ob Farah von Jacqueline Kennedy in den Hintergrund gedrängt wird, möchten wir vorläufig nicht positiv beantworten.«
Fett gedruckte Schlagzeilen des »Neuen Blattes« nach dem Tod in Texas:
»Jacqueline Kennedy ist eine von uns. Sie war es immer. Wir haben es nur nicht gewußt.«
Damit traf »Das Neue Blatt« genau den Ton des Konkurrenzorgans »Neue Welt«, das vor Kennedys Europareise den Präsidenten der Vereinigten Staaten mit »Lieber John F. Kennedy!« angeredet hatte.
Den Prominenten dieser Welt auf
die Schulter zu klopfen ("Neue Welt": »Beim Bundeswirtschaftsminister piept's"), bei Stars und Sternchen zu Haus sein ("Das Neue Blatt« über Curd Jürgens: »Das gezähmte Rauhbein möchte Vater werden") - das ist, von »Bild« entlehnt, die Masche der bunten Presse, einen Hauch von Nerz in deutsche Plüschecken zu blasen.
»Wochenzeitungsleser sind verhinderte 'Kleinstädter'«, erläutert Jürgen Köpeke, Chefredakteur der »Neuen Welt am Sonnabend«. »Sie wünschen engeren menschlichen Kontakt als sie ihnen die Welt von heute bietet... Sie möchten genau wissen, was andere tun und erleben... Natürlich möchten sie auch mittratschen.«
Mittratschen möchten vor allem die Leserinnen, die im Kundenstamm überwiegen (von den Anhängern des »Grünen Blatts« beispielsweise sind 61 Prozent Frauen) und deren Träume von der High-Society die Frauenpresse nicht stillt. Die Frauenpresse, wie etwa das Hamburger Geschwisterpaar »Constanze« und »Brigitte«, verabfolgt ihren sozial weniger ambitionierten, weil besser gestellten Leserinnen eine vorwiegend aus Mode und Kosmetik gemixte Rezeptur zum glücklichen Dasein: Schöner werden, schöner wohnen, schöner walten - handfeste Anweisungen zur Bekämpfung so realer Erscheinungen wie Mitesser und Kellerasseln.
Im Unterschied zu den Frauenzeitschriften erzählt die Regenbogenpresse deshalb mit Vorliebe von vorehelichem Liebesleid, von glücklichen und nicht geglückten Schwangerschaften hochgestellter Damen, von Einsamkeit und Untreue in der Kleinstadtehe - so mischt sich der Duft der weiten Welt mit dem Mief der engen Stube.
Noch dem Krankenzimmer gewinnt »7 Tage« Lesestoff ab. Spaltenweise breiten Leser ihre Gebrechen aus ("Pilz unter dem Fingernagel"), damit Genesene ihnen in einer zweiten Rubrik raten können ("Petersilie gegen Schlaflosigkeit"). Die Konkurrenz bietet allgemeinere Lebenshilfen an: »Fragen Sie Otto« ("Wochenend"); »Onkel Theodor weiß alles« ("Neues Blatt"). Für alle Lebenslagen raten in
- »Das Neue Blatt": Frau Maria Burg
("Ich liebe den Freund meiner Tochter");
- »Neue Welt": Tante Klara ("Mein Verlobter verschwindet oft nächtelang");
- »Das Grüne Blatt": Frau Sibylle
("Guter Engel Schwiegermutter");
- 7 Tage": Monika ("Gibt es für mich
kein Glück mehr?");
- »Neue Post": Vera Wagner ("Mein
Mann ist immer müde");
- »Wochenend": Frau Charlotte ("Frauen
gegenüber bin ich gehemmt").
»Früher gab es Troubadoure, heute die Wochenzeitungen«, sagt »Grünes Blatt«-Chef Franke.
Wer um Rat und Hilfe nachsucht, hat das »Neue Blatt« wissenschaftlich untersuchen
lassen. Wie das Frankfurter Institut Contest ermittelte, überwiegen unter den Lesern die »sozialen Aufsteiger« die »sozial Isolierten« im Verhältnis zwei zu eins.
Der »sozial Isolierte« - alt, vereinsamt oder vernachlässigt - beurteilt laut Contest das Treiben der glücklichen anderen mit strengen moralischen Maßstäben: Seine Beziehung zu den bunten Wochenzeitungen sei gekennzeichnet durch Neugier an den Schicksalen und schicksalhaften Verfehlungen anderer Menschen. Die Wochenpresse bestätige seine Auffassung von der Welt, gebe ihm aber zugleich die Möglichkeit, die Isolierung »unverbindlich, doch intensiv auszugleichen« (Contest).
Der »soziale Aufsteiger« dagegen kompensiert eigene Unsicherheit durch übertrieben bürgerliche Formen. Seine Beziehung zum Wochenblatt ist laut Contest vorwiegend durch »Lernbereitschaft« gekennzeichnet. Contest-Resümee: »Da es sich beim Inhalt des 'Neuen Blattes' um Informationen handelt, deren Aktualität nicht zeitlich, sondern situativ bedingt ist, entwickelt sich eine Einstellung, daß der Leser nahezu vollständig Seite für Seite gründlich liest.«
Ob Auf-, Um- oder Absteiger - die Regenbogenpresse durchmißt für sie Äonen. Aus grauer Vorzeit spricht zu ihnen Silubai. Heldin des »großen Romans aus der Kinderstube der Menschheit« ("Neue Welt"). Geschminkt, mit Lidstrich und lückenhaftem Felltailleur, beschwört das Steinzeit-Girl in Wort und Bild jene gute alte Zeit herauf, da die ganze Menschheit noch »sozialer Aufsteiger« war.
Und von der Gegenwart, die mit einigen Auto-Tips ("Bremsen müssen nicht quietschen") und mit viel Sex-and -Crime ("Die 16-Jährige und ihr Lehrer") nur mehr gestreift wird, kündet vor allem der Liebesroman.
Er demonstriert, daß auch Kranke und Krüppel das Glück dieser Erde finden können. »Wochenend« veröffentlicht den »erregenden Roman um das Liebesschicksal einer schönen, blinden Frau«. Den »Roman eines häßlichen (gesichtsverletzten) Mädchens« bringt das »Grüne Blatt«. »Die Frau, die nach mir kommt«, heißt in »Heim und Welt« der »Tatsachen«-Bericht einer krebskranken Fabrikantengattin.
Die Zukunft schließlich blättert sich den Lesern ebenfalls auf: in den Horoskopen. Sie wecken, wie Chefredakteur Köpeke formuliert, »die Hoffnung auf eine Chance, Grenzen zu überspringen, die eigene Fähigkeit und unabänderliche Lebensumstände setzen«.
Und was nicht in den Horoskopen steht, sprechen aus: »MH, der mutigste Kritiker Deutschlands« in der »Neuen Welt«; »Bulli«, der Boxerhund, in den Leitartikeln von »Heim und Welt«; »Maximilian Schlitzohr, Playboy der Hasen und Wappentier von 'Wochenend'«. Durch die »Neue Welt« geistert ein Wesen, das als Markenzeichen aller Regenbogen-Blätter dienen könnte: »Mattias, der glücklichste Gartenzwerg Deutschlands«.
Urteilte Paul Sackarndt, Kritiker des katholischen Zeitschriften-Beratungsdienstes, über das auflagenstärkste Organ der Regenbogen-Presse, »Das Neue Blattal »Im gleichen Verlag wie die Tageszeitung 'Die Welt' erscheinend, bildet sie die niederste Publikationstiefe des Verlagshauses Axel Springer... Es ist die bildungsfeindliche Gegenwelt zur bildungsprotzigen 'Welt'; indem man ihr Raum und Stimme gibt, bezeugt man ihr brutal ein Daseinsrecht als Geldquelle.«
Und: »Die redaktionelle Anpassung an den gröbsten Ungeschmack ist perfekt.«
* Die bunten Wochenzeitungen schließen die redaktionelle Arbeit etwa zwölf Tage vor dem Erscheinen ab.
Deutsche Unterhaltungspresse
Siebenmal Sex plus Seele