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CHINA / MACHTKAMPF Goldene Eier

aus DER SPIEGEL 18/1967

Nordvietnams neuer Botschafter in Peking machte seinen Antrittsbesuch beim Präsidenten der roten Republik China. Doch statt des Staatschefs Liu Schao-tschi nahm eine Dame sein Beglaubigungsschreiben entgegen: die Witwe des 1925 verstorbenen Präsidenten der ersten -- bürgerlichen -- Republik China, Sun Jat-sen.

Frau Sun Jat-sen führt die Geschäfte für Liu Schao-tschi, 69, der den abebbenden Machtkampf in Rotchina zuletzt noch für sich entscheiden wollte: Liu verlangte plötzlich die Einberufung des Zentralkomitees der KPCh.

Im August hatte das ZK die Kulturrevolution des Parteichefs Mao Tsetung gebilligt und Maos Stellvertreter Liu durch Verteidigungsminister Lin Piao ersetzt. Jetzt, nach den Exzessen der Roten Garden, hoffte Liu auf eine Mehrheit im ZK für seine Rückkehr an die Spitze der Machtpagode.

Doch im »Ständigen Rat« des Politbüros, der obersten Machtzentrale, fand Liu keine Mehrheit für seinen Antrag auf eine ZK-Sitzung. Rechtzeitig hatte Mao dieses Gremium von sieben Mitgliedern -- unter ihnen als Mao-Getreue nur Lin Piao und Premier Tschou En-lai -- auf elf vergrößert: Bei der Abstimmung entschied sich nun ein Politbürokrat mehr für Mao als für Liu.

Derart legitimiert, griff Mao wieder zu revolutionären Methoden. Statt des Zentralkomitees berief er Massendemonstrationen. In Peking konstituierte sich Ende März ein »Kampfkomitee zur Zerschlagung der antirevolutionären Clique von Liu und Teng«. Partei-Generalsekretär Teng Hsiao-ping, Lius Verbündeter, hatte den von Liu einst aufgebauten Parteiapparat gegen Mao eingesetzt.

Rotgardisten verließen wieder die Schulen und forderten die Köpfe Lius und Tengs. Außenhandelsfunktionär Jen Tschien-hsien erklärte Ausländern, über Lius Zukunft werde »das Volk entscheiden«. Denn: »Das ist klarer als alle Entscheidungen der Parteiorgane.

»Was die führende Persönlichkeit betrifft«, orakelte das Parteiorgan »Volkszeitung« unter höflichem Verschweigen des Namens, »die einen konterrevolutionär -- revisionistischen und bürgerlich-reaktionären Kurs verfolgt, so muß ein Kommunist sich ihr entschlossen widersetzen« sie bekämpfen und gegen sie rebellieren, ganz gleich, wie hoch ihre Position« wie groß ihr Prestige und wie hoch ihr Alter sein mag -- und ganz gleich, über welche falsche Mehrheit sie zur Zeit verfügen mag.«

Auf welche Person das Parteiblatt zielte, enthüllte es dann selbst: auf den Verfasser der Broschüre »Wie man ein guter Kommunist wird«.

Nach dem vom Parteiorganisator Liu Schao-tschi 1939 verfaßten Schulungsheft (letzte Auflage: 1964) waren seit fast einer Generation alle Parteigenossen gedrillt worden. Nun erklärte die Parteizeitung, das Büchlein habe zur »Sklavenmentalität« erzogen und sei »giftiges Unkraut, das das Denken der revolutionären Massen korrumpiert«.

Jetzt gilt nur noch ein anderes Büchlein: der Zitatenschatz Mao Tse-tungs im roten Plastikeinband. Allerdings ordnete die Armeeführung an, auch aus der Mao-Bibel alle Zitate zu tilgen, die sich auf Liu Schao-tschi beziehen.

»Stürmt das Hauptquartier der Liu-Teng-Gruppe«, schrien Maos Massen, schlugen Kesselpauken und Gongs und verteilten Karikaturen Lius -- in juwelengeschmückter Mandarin-Robe, als Henne auf goldenen Eiern, in Umarmung mit dem früheren Sowjet-Parteichef Chruschtschow aus einem Soldatenstiefel hervorlugend.

Aber auch Kontakte zum Kapitalismus warfen sie dem Alt-Stalinisten Liu vor: »Meine Herren Kapitalisten«, soll er sich 1940 Besuchern aus Amerika angetragen haben, »bitte, kommen Sie und beuten Sie mich aus -- damit ich mich und meine Familie ernähren kann.« Später soll er US-Außenminister Dean Acheson hofiert und sich Pekings Eingreifen in den Korea-Krieg widersetzt haben.

In den von Plakaten und Kleister gerade gesäuberten Straßen erschienen neue Wandzeitungen mit neuen Nachrichten: Im Februar 1966, ehe die Kulturrevolution in einen Machtkampf umschlug, habe ein Staatsstreich Lius gedroht.

Lius eigene Tochter, Liu Tao, beschuldigte ihn, die Kulturrevolution manipuliert zu haben. Selbst an den Exzessen der Rotgardisten in den ersten zwei Wochen nach der August-Tagung des ZK sei er schuld.

Lärmende Studenten zogen zum Pekinger »Platz des himmlischen Friedens« und feierten dort ein Begräbnis. Sie überantworteten dem himmlischen Frieden eine Puppe -- mit dem Namen des Staatspräsidenten Liu Schao-tschi.

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