NAHER OSTEN Goldene Zeiten
Die historische Fahrt begann am Tag vor dem Jom-Kippur-Fest um 12.25 Uhr. Am Dienstag letzter Woche legte die »Stella Solares« im israelischen Haifa ab und dampfte ins ägyptische Alexandria. Zum ersten Male seit 1948 fuhr ein Schiff von einem israelischen Hafen direkt in einen arabischen.
Zwar flatterte auf der »Stella Solaris« die griechische Flagge, waren die 620 Touristen an Bord Amerikaner. Aber nachdem Kairo und Jerusalem in Washington ihre Friedensverhandlungen aufgenommen haben, ist fast sicher, daß bald auch israelische Schiffe israelische Bürger in den arabischen Nachbarstaat bringen werden.
Schon verkauft das Tel Aviver Verlagshaus Poraz den ersten Reiseführer für Ägypten (von Schalom Cohen. einem früheren Knesset-Abgeordneten. der in Alexandria aufgewachsen ist), erklärt die staatliche Luftfahrtgesellschaft EL AL. daß sie innerhalb weniger Tage regelmäßige Flüge nach Kairo aufnehmen könne.
Auf der anderen Seite schwärmt Sadats Planungsminister Abd el-Magid von kommenden »goldenen Zeiten": Jährliche Auslandsinvestitionen von 500 Millionen Dollar, Verzehnfachung der ägyptischen Erdölförderung; dadurch für die Bürger »mehr Geflügel und Konserven, Farbfernseher und Telephone und sogar die Instandsetzung von Kairos brüchigen Bürgersteigen«. Der jüdische Nachbarstaat, so der ägyptische Minister im israelischen Fernsehen, solle nicht mehr als bedrohliches Waffenlager betrachtet werden, sondern hilfreiches Reservoir für Know-how sein.
Mit dem gleichen Eifer, mit dem sie sich dreißig Jahre lang beschimpft und bekämpft haben, planen nun Israelis und Ägypter das friedliche Zusammenleben. Das viermalige Schlachtfeld Sinai-Wüste soll eine Brücke zwischen ihren Staaten werden, Ägypten ein Schaufenster der arabischen Welt wie einst West-Berlin ein Schaufenster für den Osten.
»Wir können Zentrum eines florierenden nahöstlichen Gemeinsamen Marktes werden«, glaubt Israels Vize-Finanzminister Jecheskiel Pflumin, »durch Ausnutzung der Rohstoffe und Arbeitskräfte unserer Nachbarn, gepaart mit unserer technologischen Potenz und den weltweiten Geschäftsverbindungen.«
Solche Visionen hatte der jetzige Vize-Gouverneur der israelischen Staatsbank, Elieser Shaefer, schon vor zehn Jahren in einer Studie »Die wirtschaftlichen Folgen eines Friedens Nach Sadats Reise nach Jerusalem im vergangenen November beauftragte das Jerusalemer Finanzministerium einen Sonderausschuß, Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Ägypten zu überprüfen.
Jetzt planen sogar Privatunternehmen für den Frieden: Der Tadiran-Konzern will mit ägyptischen Partnern die Anwendung von Sonnenenergie erforschen -- und seine Erzeugnisse verkaufen, von Batterien über Funkgeräte bis zu Kühlschränken. Die Tel Aviver Ravit Ltd. will Bewässerungsanlagen nach Ägypten liefern. Von dort holte sich das Kairoer Institut für Wüstenforschung Projekte tiber die Erschließung der Sinai-Wüste, um sie nun gemeinsam mit den Israelis zu verwirklichen.
Israelische Ingenieure konzipierten den Bau eines 250 Kilometer langen Kanals vom Niltal über Ismailia und den Sinai in die Gaza-Zone und dann bis in den Süden Israels. Die US-Firma
* Im Westen des Sinai, nach dem Ablug der Israelis 1975.
Westinghouse verhandelte über den Bau eines Mehrzweck-Atommeilers im Sinai, der sowohl Strom erzeugen wie Meerwasser entsalzen soll, mit Israels Energieminister Jizchak Modai und dem ägyptischen Großunternehmer Osman Ahmed Osman. Es gibt Pläne, im Sinai eine Raffinerie und petrochemische Werke zu errichten.
Die beiden Partner können allerdings zunächst nur begrenzt direkten Handel miteinander treiben, denn fast 40 Millionen Ägypter erzeugen ein kleineres Bruttosozialprodukt als das kleine Israel mit 3.7 Millionen Einwohnern. Das Pro-Kopf-Einkommen der Ägypter stagniert bei 280 Dollar jährlich, in Israel beträgt es 3565 Dollar.
Israel wird deshalb in den ersten Jahren nach einer Befriedung nur wenige Waren in das arabische Nachbarland ausführen können, darunter vorrangig Dünger, Chemikalien, landwirtschaftliche Maschinen, Bewässerungsanlagen sowie elektronische und medizinische Geräte.
»Auch unsere Rüstungsindustrie würde in Ägypten sicher guten Absatz finden, doch soweit sind wir wohl noch nicht«, scherzte Amos Mar-Chaim, Generaldirektor des Handels- und Industrieministeriums. Insgesamt rechnet Israel mit einem Anfangsexport von 100 Millionen Dollar jährlich. Importe aus Ägypten -- vor allem Tabak, Reis, Baumwolle und Textilien -- würden höchstens 30 Millionen ausmachen. Doch könnte Erdöl aus Ägypten das Handelsbilanz-Defizit ausgleichen.
Die Israelis deckten schon einmal die Hälfte ihres Bedarfs aus den 1967 eroberten ägyptischen Erdölfeldern bei Abu Rodeis. Nach dem Entflechtungsabkommen von 1975 mußten sie das Gebiet räumen. Unterdessen haben sie mit der amerikanischen Gesellschaft Neptune das neue Erdölfeld »Alma« unweit der noch besetzten Süd-Sinai-Küste bei El-Tur angezapft.
Dort gewinnen sie zur Zeit eine Million Tonnen jährlich, fast 15 Prozent ihres Bedarfs. Die Bohrarbeiten bei Alma wurden auch nach Camp David fortgesetzt. Die Israelis hoffen, sie könnten nach einer Friedensregelung dort gefördertes Öl erwerben, wie auch Naturgas, das im nordöstlichen Sinai-Zipfel gefördert wird.
Für Öl- und Gaslieferungen wollen die Israelis bei der Modernisierung der 4000 ägyptischen Dörfer Hilfe leisten -- Bewässerungssysteme anlegen, Düngemittel und Gemüseanbau unter Plastikhüllen einführen.
Vor allem auf den Baumwollfeldern könnte Israel die Ägypter unterstützen: Die israelischen Bauern brauchen dank hoher Mechanisierung 1,25 Arbeitstage, um einen Hektar Baumwolle anzubauen, die Ägypter jedoch 28 Tage. Der israelische Baumwollfachmann Reuben Eiland glaubt, daß Ägyptens Produktion sofort um etwa 30 Prozent steigen könnte, wenn Schädlinge mit in Israel entwickelten Methoden bekämpft würden.
Israel will den Ägyptern die Nutzung eines seiner beiden Container-Häfen Aschdod und Haifa anbieten, das Straßennetz zwischen den beiden Ländern ausbauen und die Eisenbahnlinie der Sinaistadt El-Arisch nach El-Kantara am Suezkanal reparieren.
Daß der Suezkanal bald wieder für israelische Schiffe frei sein wird -- zur Zeit dürfen nur israelische Waren auf fremden Frachtern passieren -, hat für Jerusalem nicht nur positive Folgen: Der Rotmeerhafen Eilat könnte seine Bedeutung verlieren.
Viele der Pläne klingen illusorisch. Und der ägyptische Wirtschaftler Abdallah Lutfi. der in Köln promovierte, warnte denn auch schon vor übertriebenen Erwartungen. Die Wirtschaft sei in beiden Staaten krank, denn Ägypten habe eine Inflationsrate von 25 und Israel sogar von 40 Prozent. Israelische Waren könnten den ägyptischen Markt nicht überfluten: »Orangen erzeugen wir selber, und Diamanten brauchen wir nicht:« Billige Konsumgüter werde Ägypten weiterhin günstiger in Taiwan, Hongkong und Südkorea erwerben.
Lutfi bezweifelt auch, ob Israel stark in Ägypten investieren könnte, da es dringende Investitionen im eigenen Land benötige. Zwar versprach Premier Begin. er werde jüdische Kapitalisten in Amerika zu Investitionen in Ägypten ermutigen, und der pro-israelische Senator Henry Jackson propagierte einen amerikanischen Marshall-Plan für den Nahen Osten. Doch derartige Projekte brauchen Zeit, während die Ägypter schnelle Fortschritte erwarten.
Avraham Schavit. Vorsitzender des israelischen Industriellenverbandes, sieht gar im Abbau des arabischen Boykotts nur einen halben Segen, denn »dieser zwang uns, billiger und besser zu produzieren«.
Israelische Wirtschaftler und Soziologen fürchten bereits eine Überflutung des Landes durch Arbeitskräfte aus Ägypten. Zudem könnten israelische Industrielle neue Fabriken nicht im eigenen Lande errichten. sondern in Ägypten mit seinem Überangebot an billiger Arbeitskraft.
Solche Bedenken haben die Ferien-Manager nicht. Josef Wolf. Leiter der Jerusalemer Tourism Development Co,. hofft, daß israelische Touristik-Unternehmen in Ägypten investieren und arbeiten können, ähnlich den deutschen Gesellschaften in Spanien.
Die von Israel in Scharm el-Scheich erbauten Hotels sollen Ausgangspunkt künftiger Gemeinschaftsprojekte sein. Der Hotelier Chaim Schiff plant, sein Marina-Scharm Hotel in Scharm cl-Scheich unter ägyptischer Souveränität weiterzubetreiben. Er will zu Besprechungen nach Kairo fliegen und erweitert sein 135-Zimmer-Hotel um weitere 100 Zimmer,
Die Gesellschaft Yaalat im israelischen Eilat plant Gruppenfahrten nach Kairo und sogar Ausflüge in die berühmte jordanische Ruinenstadt Petra -in der Hoffnung, daß sich König Hussein den gegenwärtigen Befriedungsbemühungen anschließen wird.
Die friedliche Nahost-Zukunft hat auch für den Pastor Krogager von der dänischen Reise-Gesellschaft Tjaereborg schon begonnen. Er will Rundreisen anbieten, die nach Kairo, dann per Boot von Suez nach Eilat und zurück nach Skandinavien führen.