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BONN/PEKING Goldener Oktober

In aller Heimlichkeit handelte ein als Journalist getarnter Mao-Diplomat mit AA-Beamten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Peking aus.
aus DER SPIEGEL 37/1972

Walter Scheel beugte sich dem Diktat seines Arztes. Wenn der deutsche Außenminister mit den Belastungen der kommenden Monate fertig werden wolle, so verlangte der Doktor, dann müsse er endlich damit beginnen, gesünder zu leben.

Der 53jährige FDP-Vorsitzende und AA-Chef entschloß sich zu einer Trimm-dich-Aktion. Innerhalb weniger Monate hungerte Scheel zehn Kilogramm herunter. Eisern verzichtet er heute noch auf den gewohnten Wein und verdünnt nur gelegentlich sein Mineralwasser mit einem Schuß Whisky.

So gestählt, geht Scheel ein außenpolitisches Mammutprogramm an, das ihn im Oktober, wenige Wochen vor der Neuwahl des Bundestages, rund um den Globus bis nach Peking führen und als diplomatischen Schwerarbeiter für Deutschland ausweisen soll.

Scheels goldener Oktober beginnt mit dem FDP-Wahlparteitag vom 1. bis 3. in München. Tags darauf reist der Außenminister zur Uno-Vollversammlung nach New York. Mit einer Boeing 707 der Bundesluftwaffe bricht Scheel dann am 8. Oktober von der US-Metropole nach Westen auf, in die Hauptstadt der Volksrepublik China.

Begleitet von 25 westdeutschen Journalisten -- genauso viele, wie die Chinesen kürzlich dem französischen Außenminister Schumann zugestanden

wird der AA-Chef in Peking in der von den Volkschinesen gewünschten »besonders würdigen Form« ein Protokoll unterzeichnen, in dem beide Staaten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbaren.

In aller Heimlichkeit haben deutsche und chinesische Diplomaten Scheels Fernost- Reise in der sommerstillen Bundeshauptstadt vorbereitet. Während CDU-Fernfahrer Gerhard Schröder im Juli auf der Suche nach den guten Kommunisten Maos Reich bereiste, signalisierte Peking der Bonner Links-Regierung die Bereitschaft zur Aufnahme formeller Verhandlungen über einen Botschafteraustausch. Im »Bismarck-Zimmer« des AA trafen sich Delegationen beider Staaten erstmals zum offiziellen Gedankenaustausch.

Chinas Delegation wurde von Wang Shu geleitet, der in Bonn als Vertreter der Nachrichtenagentur »Neues China« akkreditiert ist. Korrekt avisierte Chinas Pariser Botschaft den angeblichen Journalisten als mit allen Vollmachten ausgestatteten Verhandlungsführer, den seine deutschen Kollegen als Berufs-Diplomaten im Botschafterrang einstufen.

Der Wang-Mannschaft gehörten ferner Wangs Dolmetscher Hsing sowie zwei weitere nach Bonn entsandte Diplomaten an, von denen einer bislang an der chinesischen Botschaft in Ost-Berlin Dienst tat. Bonns Truppe führte Berndt von Staden, Leiter der politischen Abteilung des AA.

Die bisherigen Gespräche, etwa ein Dutzend, gestalteten sich sehr mühselig, weil zeitraubende Übersetzungen notwendig waren. Während die Chinesen fast alle gut Deutsch verstanden, hatte von den Deutschen lediglich der Leiter des Fernost-Referates, der Vortragende Legationsrat Erster Klasse Gerd Berendonk, einige Chinesisch-Kenntnisse.

In der Sache hingegen gab es kaum Verständigungsschwierigkeiten: Die Chinesen erkennen an, daß West-Berlin außenpolitisch von der Bundesrepublik vertreten wird, und erheben auch keine Einwände gegen das Fortbestehen der Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamt-Deutschland. Peking wird im Uno-Sicherheitsrat kein Veto gegen die Aufnahme beider deutscher Staaten in die Weltorganisation einlegen. Noch in dieser Woche können die Bonner Gespräche beider Delegationen abgeschlossen werden.

Damit ist geklärt, was bei Gerhard Schröders jüngster China-Visite offengeblieben war. Der CDU-Mann hatte zwar Pekings Bereitschaft zu diplomatischen Beziehungen mit Bonn übermittelt, aber zu den Konditionen wenig mitgeteilt. So rätselte auch Bundeskanzler Willy Brandt lange Zeit, ob China zwei deutsche Staaten mit durch Sieger-Vorbehalte eingeschränkter Souveränität in die Uno lassen würde. Brandt: »Die Chinesen könnten plötzlich sagen: Kolonialgebiete haben in der Uno nichts zu tun.«

Besonders wunderten sich die AA-Experten darüber, daß Schröder, der ohne eigenen Dolmetscher gereist war, in Peking nicht nur ein deutschsprachiges, sondern auch ein in Chinesisch abgefaßtes Papier unterzeichnet hatte, dessen Text er nicht kontrollieren konnte.

Anders als sein christdemokratischer Vorreiter wird Scheel keine Touristenreise durch Maos Riesenreich unternehmen. Neben Peking will der Freidemokrat allenfalls noch die Hafenstadt Shanghai besuchen, im übrigen aber politischen Gesprächen den Vorrang geben.

Denn der deutsche Außenminister reist in doppelter Mission: Scheel will nicht nur die bilateralen Beziehungen in Gang bringen, sondern zugleich als Emissär Westeuropas klären, welche Absichten China gegenüber einer erweiterten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verfolgt. Bislang haben die Chinesen ihre Politik gegenüber Westeuropa nicht definiert und auch nicht entschieden, ob sie einen Botschafter zur Kommission schicken wollen.

Nach etwa einer Woche China und anschließendem Kurzbesuch bei Kanada-Premier Pierre Trudeau in Ottawa wird der diplomatische Globetrotter nach Bonn zurückkehren -- kaum mehr als einen Tag vor dem am 19. Oktober in Paris beginnenden EWG-Gipfel.

Seinen Kollegen hofft der Deutsche dann mit heißen China-Informationen dienen zu können. Zwar war Frankreichs Außenminister Maurice Schumann im Juli ebenfalls in Peking zu Gast, doch Scheel, so einer seiner Berater, »ist dort der letzte vor dem Gipfel«.

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