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OSTDEUTSCHLAND Gomez - kein Spanier

aus DER SPIEGEL 8/1950

Heinrich Himmlers Nachfolger als Minister für Staatssicherheit wurde in Otto Grotewohls Ostkabinett ein Berufsrevolutionär, der aus dem Halbdunkel des alten illegalen KP-Apparates kommt: Wilhelm Zaisser.

Der 24jährige Weltkrieg I-Leutnant erlebte sein Damaskus 1917 in der Ukraine. Der Offizier des Kaisers schloß sich den Ideen Lenins an. Die Kommunisten nahmen militärische Konvertiten vorbehaltlos auf: Sie brauchten Fachleute für den Bürgerkrieg.

Wilhelm Zaisser war bis 1927 Chef des M-Apparates der KP für Rhein und Ruhr.*) Als ihn sich die preußische politische Polizei näher ansehen wollte, verschwand er in die Sowjetunion. Im IV. Büro der Roten Armee (Spionage) und auf der Kaderschule der Komintern empfing er die höheren Weihen als roter Ordensgeneral.

Er wurde Kundschafter des Kreml. Als »Exportkaufmann« inspizierte er die Mandschurei. Pu-Yi, Kaiser von Mandschukuo, zählt zu seinen Freunden.

Als »Stahlhelmführer« bereiste er die Kolonien der Auslandsdeutschen von Tientsin bis Kanton, und der militärische Berater der aufständischen Drusen in Kleinasien war Wilhelm Zaisser.

1931, eben aus Asien zurück, mietet er zwei elegant möblierte Zimmer in Berlins Bürgervorort Friedenau, Wilhelmstr. 12. Er ist nun Chef der sowjetischen Wirtschaftsspionage in Deutschland. Schwerpunkt: Die Labor-Geheimnisse von IG-Farben.

Während sich seine Genossen auf der Straße mit Severings Polizei prügeln oder Röhms SA die ersten Saalschlachten liefern, besucht Zaisser einen Tanzstundenzirkel, um Tango zu lernen.

Er, der irgendwo Frau und Kind besitzt, verliebt sich in eine Sechzehnjährige.**) Er ist ein hartnäckiger Liebhaber. Als er die Vergötterte einmal nicht sieht, wartet er die ganze Nacht vor ihrer Haustür, bis sie am Morgen auf die Straße tritt.

*) M-Apparat: Geheime Militärorganisation der KPD bis 1933 zur Vorbereitung des Bürgerkrieges.**) Der SPIEGEL hat sich verpflichtet, das Inkognito dieser heute in Westdeutschland lebenden Dame zu wahren. Bei ihren Eltern eingeführt, plaudert der Vater (Diplomat im Auswärtigen Amt) gern mit dem weitgereisten und weltgewandten »Journalisten«, für den sich Zaisser ausgab. Seine Tanzstundenliebe besucht auch ihn in Friedenau. Er hat ein Hobby: Literatur über Masochismus. Er empfiehlt der jungen Dame, ebenfalls den Masochismus zu studieren. In ihr Poesiealbum schreibt er ihr Kants kategorischen Imperativ. Schach spielt er im Doppelleben mit Meisterschaft.

Als sein Kontaktmann für IG-Farben, ein Chemiker in Höchst, hochgeht, verschwindet Zaisser Sobald ihn Onkel Andree in Stettin an Bord des Russenfrachters hievt, ist er auf sowjetischem Territorium in Sicherheit.

1936 rückt der große Illegale in die Weltpresse ein: »Daily Express«-Sonderkorrespondent Sefton Delmer trampt dreihundert Kilometer durch Spanien, um in Albacete den General Gomez zu treffen, der die berühmte Internationale Brigade aufgestellt, ausgerüstet und zur wirklichen Einheit von Kampfwert gemacht hat.

»Nur 5 Minuten gestand er mir zu. Aber sie lohnten sich, denn ich stellte fest, daß General Gomez keineswegs Spanier war, wie sein Name vermuten ließ, sondern ein schmallippiger preußischer Offizier Er hatte während des ersten Weltkrieges im kaiserlichen Heer gedient. Später wurde er Kommunist.« Der Mann, der Sefton Delmer gegenüber saß, war Wilhelm Zaisser

Nach der Niederlage Rotspaniens reist Gomez-Zaisser nach Moskau zurück. Der Kreml liebt die Geschlagenen nicht und ordnet ihre Internierung an Auch Zaisser kommt hinter Stacheldraht Alte Freunde aus dem IV. Büro bewirken mit viel Mühe seine Entlassung.

Weltkrieg II bringt ihm einen neuen Job: Zaisser siedelt nach Krasnogorsk über zur neueröffneten Antifa-Schule. Die gehobenen Dienstgrade der Nationaldemokraten in der Ostzone gingen alle bei Zaisser in die Schule.

1947 taucht er, inzwischen 54, in Halle auf und avanciert zum Amtswürdenträger. Er löst den durch besondere Beschränktheit auffallenden kommunistischen Ministerialdirektor und Chef der Landespolizei von Sachsen-Anhalt, Arthur König ab, der durch den berüchtigten Mordprozeß Mader (18. und 19. 2. 47) zusammen mit dem Innenminister Robert Siewert aufs schwerste belastet wurde. Zaisser stellte die Lage wieder her. Mit kalten und unergründlichen Augen begann er rücksichtslos mit der Liquidierung aller Widerspenstigen.

Nach dieser Probearbeit schickte ihn der Ulbricht-Clan September 1948 nach Dresden, wo er im ehemaligen Luftgaukommando IV Sachsens Innenministerium zu übernehmen und die lasche Amtsführung des Ministerpräsidenten Max Seydewitz auf Touren zu bringen hatte.

Er bleibt ruhelos: 1949 schickt ihn das Berliner Polit-Büro nach Wilhelmsruh, wo er Chef der Ausbildungsabteilung für die Volkspolizei wird.

Frau Else ist jetzt wieder an seiner Seite, auch sie gewandelt wie ihr Mann fast russifiziert. Wenn die neue herrschende Klasse in Piecks Roter Republik ihre Staatsempfänge gibt, halten die Unwissenden Frau Else für eine sowjetische Intelligenzlerin. Indessen die Frau General Gomez stammt aus Essen.

Im November 1949 sah Generalinspektor Wilhelm Zaisser für drei Monate seine Wilhelmruher Amtsstube nicht. Er fuhr wieder einmal auf Lehrgang: Diesmal auf die Berija-Spezialschule der NKWD in Moskau.

Zurück in Berlin fuhr er ins Büro Ulbricht. Die beiden einigten sich über ihre Jagdgründe: Er könne jeden Landesminister absetzen und verhaften, nur die fünfzehn Mann der eigenen Regierung behalte er sich selber vor, sicherte sich Walter Ulbricht.

SS-Standartenführer Adalbert Bäumler belegte im Wettlauf um das fünfzehnte Ministerportefeuille der Ostzone nur einen dritten Platz als Dienststellenleiter. Zaissers Stellvertreter wurde ebenfalls ein Berufsrevolutionär: Doppelmörder Erich Mielke.

Dadurch, daß Mielke die Sinekure des Staatssekretärs bekam trug Ulbricht eine neunzehnjährige Schuld ab. Denn auf Ulbrichts Geheiß schoß am 9. August 1931 vor dem Berliner Kinopalast »Babylon« auf dem Bülowplatz Erich Mielke die Polizeihauptleute Anlauf und Lenk meuchlings nieder. Anlauf und Lenk vom 7. Berliner Polizeirevier starben noch auf dem Transport ins Krankenhaus. Erich Mielke und sein Komplice Erich Ziemer flohen in die Sowjetunion.

Erst vierzehn Jahre später kehrte Erich Mielke als Wehrmachtsgefolge der Roten Armee zurück. Sämtliche Polizeidienststellen der Welt diesseits des Eisernen Vorhangs besitzen den 1947 erneuerten Steckbrief und Haftbefehl gegen den Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit der Ostrepublik, Doppelmörder Erich Mielke.

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