GOTTES EIGENES KONZIL
Schluß
In der Nacht hatte es gedonnert und geblitzt. Am Morgen zog über der Ewigen Stadt Rom regengrau und stürmisch der 18. Juli 1870 herauf, der Tag, der den Katholiken in aller Welt ein neues Glaubensgebot schenken sollte: das Dogma von der Unfehlbarkeit des römischen Papstes.
Um 7.30 Uhr in der Frühe öffneten sich die Pforten von Sankt Peter. Die Väter des Heiligen Konzils, das man heute das Erste Vatikanum nennt, begannen das Querschiff zu füllen, in dem sie seit Dezember 1869 getagt hatten. Gegen neun Uhr hatten die Prälaten auf den acht übereinander gestuften Rängen Platz genommen: Kardinäle im roten Ornat, viele Bischöfe in purpurnen Roben, Ordensgeneräle in dunklen Trachten - dazu die in Violett gekleideten Platzanweiser und die Schweizer Garden in buntgestreiften Uniformen.
Als Papst Pius - der neunte seines Namens - eingezogen war und die Pontifikalkleider angelegt hatte, sang das Konzil den Hymnus »Veni Creator Spiritus«. Dann trat ein Bischof vor den Stuhl des Heiligen Vaters und empfing aus dessen Hand das Dokument, dessen Formulierung und Verkündung den Hauptzweck, wenn nicht überhaupt den einzigen Zweck dieser Bischofsversammlung gebildet hatte. Das war die sogenannte Konstitution »Pastor aeternus« (der ewige Hirte).
Mit diesem Dokument in den Händen schritt der Bischof zum Ambo, dem Rednerpult des Konzils, um es dort zu verlesen - darunter auch den Satz, der von einem großen Teil der damaligen zivilisierten Welt als eine Ungeheuerlichkeit empfunden wurde, weil sich darin ein einzelner Mensch die Fähigkeit zuschreibt, untrüglich zu entscheiden:
Der Römische Papst, wenn er ex cathedra spricht, das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller obersten apostolischen Autorität eine Lehre, die den Glauben oder die Sitten betrifft, als von der gesamten Kirche festzuhalten definiert, besitzt durch den göttlichen Beistand, der Ihm im heiligen Petrus verheißen ist, die Unfehlbarkeit.
Wenn jemand, so verlas der Bischof weiter, dieser von Gott geoffenbarten Wahrheit öffentlich widersprechen sollte, »so sei er im Banne«, ist er - mit anderen Worten gesagt - fortan von der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen.
Nach der Verlesung begann die Abstimmung. 535 stimmberechtigte Prälaten waren anwesend, 533 stimmten mit »placet«, das heißt: »Es gefällt«, und zwei mit »non placet«, »Es gefällt nicht«.
Pius hatte gesiegt. Nach monatelangem, erbittertem Ringen erkannte das Konzil als von Gott geoffenbart an, daß Pius das einzige unfehlbare lebende Wesen des Universums sei - mehr noch, daß auch schon alle seine 254 Vorgänger im Amte des römischen Bischofs dieses Vorzugs teilhaftig gewesen seien und daß alle Nachfolger des neunten Pius ebenfalls unfehlbar sein würden.
Es wäre ein Denkfehler gewesen, wenn das Dogma von der Unfehlbarkeit (Infallibilität) des Papstes durch das Konzil ausgesprochen worden wäre. Logischerweise konnte das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes nur durch den Unfehlbaren selbst als unfehlbar für wahr erklärt werden. Das geschah nach der Abstimmung.
Schon während der Verlesung hatte draußen der Sturm zugenommen. Gewitterböen peitschten über den dampfenden Petersplatz. Im Konzilssaal zerbrach unmittelbar über dem Sitz des Papstes ein Fenster. Es stürzte klirrend auf den Estrich. Als die Abstimmung begann, zuckten Blitze herab und erhellten immer wieder für Sekunden die heilige Versammlung.
Der Bischof Fitzgerald von Little Rock (USA), einer der beiden nein sagenden Väter, mußte sein »Non placet« mit Stentorstimme wiederholen, weil ihm ein »Placet« unterstellt wurde.
Den Schluß der feierlichen Sitzung beschrieb der römische Korrespondent der Londoner »Times": »Der Sturm war auf seiner Höhe, als das Ergebnis der Abstimmung dem Papst überbracht wurde, und die Finsternis war so dick, daß ein riesiger Leuchter herbeigeschafft und an seiner Seite aufgestellt werden mußte, als er die Worte verlas: ,Nosque, sacro approbante Concilio, illa, ut lecta sunt, definimus et apostolica auctoritate confirmamus'«, wodurch der Papst kraft seiner apostolischen Autorität den Beschluß des Konzils bestätigte.
»Und wieder ging der Blitz zickzack durch die Halle, und der Donner grollte. Das 'Te Deum' und der Segen folgten; die ganze Menge fiel auf die Knie, und der Papst segnete sie mit dem klaren, süßen Laut seiner Stimme, der unter Tausenden unterscheidbar ist.«
Die feierliche Sitzung vom 18. Juli war die letzte des Ersten Vatikanums. Die ursprüngliche Planung hatte zwar vorgesehen, daß die heilige Versammlung im Herbst wieder zusammentreten sollte, aber es kamen andere Ereignisse dazwischen.
Einen Tag nach der Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas erklärte Frankreich den Krieg an Preußen. Die Weltöffentlichkeit begann sich für neue Namen und Begriffe zu interessieren: statt für Rom für die lothringischen Dörfer Mars-la-Tour und Vionville, statt für die Canones (Paragraphen) des Kirchenrechts für die Kanonen des rheinischen Waffenschmieds Alfred Krupp, statt für den römischen Plus für den preußischen Bismarck.
Auch in Rom selbst geschahen Dinge, welche die Ohnmacht des eben zur Würde der Unfehlbarkeit erhobenen römischen Pontifex maximus plötzlich demonstrierten. Als am 18. Juli das Unfehlbarkeitsdogma verkündet wurde, war Pius IX. noch Souverän über rund 13000 Quadratkilometer und annähernd 700 000 Untertanen, über Land und Volk des sogenannten Kirchenstaates, eines Teils dessen, was einst, Anno Domini 754, der fränkische König Pippin der Kleine dem Papst Stephan II. geschenkt hatte.
Freilich, Land und Volk bildeten schon am Tage des päpstlichen Triumphes einen höchst unsicheren Besitz. Französische Soldaten, vornehmlich Mohammedaner - »Zuaven« genannt -, hatten schon seit Jahren den Staat des Papstes gegen die katholischen Partisanen des italienischen Freiheits- und Einheits-Helden Giuseppe Garibaldi schützen müssen. Von Anfang August 1870 an begann jedoch das von den Deutschen bedrängte Frankreich, seine Zuaven-Regimenter aus dem Kirchenstaat zurückzuziehen.
Am 20. September erschien der piemontesische General Cadorna vor der Porta Pia, böllerte eine breite Bresche in die Mauer der Ewigen Stadt und rückte ein. General Kanzler, Oberbefehlshaber der 15 000 Mann starken päpstlichen Streitmacht, trat den ehrenvollen Rückzug an.
Am 9. Oktober dekretierte König Viktor Emanuel das Ende des Kirchenstaates (der erst 59 Jahre später, 1929, mit Mussolinis Hilfe auf knapp einem halben Quadratkilometer wiedererstand). Zwar rächte sich Pius an seinem Besieger, indem er ihn exkommunizierte, aber der Fluch des unfehlbaren Papstes bewirkte so gut wie nichts.
Innerhalb eines Vierteljahres hatte Pius die Krönung seiner Laufbahn als Gottes Stellvertreter auf Erden und die Vernichtung seiner Stellung als Landesherr erlebt. Noch am Abend des 18. Juli hatten einige Konzilsväter unter Anspielung auf das himmlische Gepolter während der Verkündung des Unfehlbarkeitsdogmas geschwärmt, »Pius werde nun vom Himmel selbst als der neue Moses beglaubigt, der, wie einst der alte, nun gleichfalls unter Blitz und Donner das Gesetz Gottes verkündet«.
(So berichtete es jedenfalls mit einem freilich penetrant ironischen Unterton die »Augsburger Allgemeine Zeitung« aus Rom.) Doch dem neuen Moses eröffnete sich kein neues Land. Im Gegenteil: Er verlor, was er besessen hatte.
Selbst der Triumph des Unfehlbarkeitsdogmas auf dem Konzil war kein reiner Gewinn gewesen Allzu raffiniert waren die taktischen Manöver gewesen, die der Statthalter Christi während des Konzils angewandt hatte, um die Idee seiner Unfehlbarkeit zum Glaubensgebot zu machen. Allzu tief waren die Spuren der Verbitterung, die diese Kunstgriffe bei den Konzilsvätern hinterlassen hatten, die Gegner des Dogmas waren - und das waren sehr viel mehr als bloß die beiden bischöflichen Dickköpfe, die dem Heiligen Vater am 18. Juli im Petersdom ihr »Es gefällt nicht« ins Gesicht gesagt hatten.
Fünf Tage vor der feierlichen Sitzung im Beisein des Papstes - also am 13. Juli - hatte das Konzil seine internen Beratungen über die Unfehlbarkeitsformel mit einer Art Probe-Votum abgeschlossen.
Bei dieser Gelegenheit aber hatte das Abstimmungsergebnis ganz anders als das spätere vom 18. Juli ausgesehen. Es stimmten dabei nämlich nur
- 451 (statt 533) mit »placet«, immerhin
- 88 (statt zwei) mit »non placet« und
- 62 mit »placet juxta modum« (Es gefällt mit Vorbehalt), was bedeutete, daß sie an dem Unfehlbarkeitstext gewisse Veränderungen vorzunehmen wünschten.
Außerdem aber waren schon zu dieser Probe-Abstimmung 76 Väter nicht erschienen. Die Opposition gegen die Unfehlbarkeit umfaßte also nicht bloß zwei, sondern alles in allem über 220 Konzilsväter - eine Tatsache, die angesichts der traditionell-kirchlichen Forderung, dogmatische Konzilsentscheidungen sollten einmütig gefaßt werden, sogar von vielen Anhängern der Unfehlbarkeit als bedrückend empfunden wurde.
Unmittelbar nach dieser Probe-Abstimmung begannen viele Bischöfe ihre Koffer zu packen. Der Fürstbischof von Breslau, Förster, reiste bereits am darauffolgenden Tag ab. Doch der Hauptteil der Opposition machte einen letzten Versuch, eine Änderung der Unfehlbarkeitsformel zu erwirken.
Am Abend des Freitag, des 15. Juli, erschien bei Pius eine Delegation, der auch der Erzbischof von München, Scherr, und der Mainzer Bischof, Freiherr von Ketteler, angehörten. Ketteler warf sich dem Papst zu Füßen und bat ihn, der Unfehlbarkeitsformel einen Zusatz anzufügen, wonach der Papst sich bei unfehlbaren Lehrentscheidungen auf das Zeugnis der Bischöfe stützen müsse. »Guter Vater«, rief Ketteler, ,retten Sie uns, und retten Sie die Kirche Gottes.«
Aber der alte Herr - Pius zählte damals 78 Jahre - wich der Debatte aus: Es sei nun zu spät, um noch von der beschlossenen Formel zurückzutreten, und außerdem sei nicht er, sondern das Konzil die Instanz, an die sich die Delegation zu wenden habe.
Der Kniefall des westfälischen Freiherrn von Ketteler, der einst, ehe er Priester wurde, als Offizier bei einem Duell ein Stück seiner Nase verloren hatte, war vergeblich gewesen. So schickte denn die Opposition am 17. Juli dem Papst einen Brief, in dem sie ihr Nein zur Unfehlbarkeit bekräftigte und ihren Entschluß bekanntgab, der feierlichen Sitzung am darauffolgenden 18. fernzubleiben: »Wir kehren darum ohne Aufschub zu unseren Herden zurück...«
Der Engländer Odo Russell erzählte damals in einem Brief: »Ich ging heute abend« (das war der 17. Juli) »zum Bahnhof. Ungefähr zwanzig Bischöfe fuhren weg ..., und ich sprach mit Melchers von Köln, Ketteler, Haynald (einem Ungarn) und Dupanloup (einem Franzosen); die anderen kannte ich nicht. Morgen früh werden etwa zwanzig weitere wegfahren, der Rest morgen nacht.«
Der ungute Ausgang der Unfehlbarkeitsdebatte ließ erkennen, wie berechtigt die Vorsicht gewesen war, mit der Pius das Thema auf die Tagesordnung des Konzils gebracht hatte. Tatsächlich hatte Pius von der Einberufung des Konzils im Sommer 1868 an bis etwa vier Monate nach Konzilsbeginn die Frage in der Schwebe gelassen, ob die Unfehlbarkeit debattiert werden sollte.
Das Konzil war am 8. Dezember 1869 eröffnet worden. Am 10. Dezember war den Vätern das erste der vom Konzil zu erörternden »Schemata« vorgelegt worden. Bei diesen Schemata handelte es sich um eine Art von Gesetzesvorlagen. Sie waren von fünf vorbereitenden Kommissionen seit 1868 erarbeitet worden. Sie sollten die Grundlage für die Debatten im Konzil bilden und wurden zu diesem Zweck allen in Rom versammelten Konzilsvätern vor Beginn der einzelnen Debatten schriftlich zugestellt.
Das erste Schema trug die Überschrift »Über den katholischen Glauben«. Dabei ging es vor allem darum, gegen geistige und politische Zeiterscheinungen, wie die deutsche idealistische Philosophie, den liberalen Protestantismus, den Kommunismus und so fort, Stellung zu nehmen. Es gab lebhafte Debatten - ein amerikanischer Bischof erklärte, man solle, anstatt obskure Irrtümer deutscher Philosophen zu verwerfen, lieber die Auffassung verurteilen, daß Neger keine Seelen hätten-, aber schließlich kam doch nach einer gründlichen Umarbeitung des Schemas ein Glaubensdekret zustande. Es wurde am 24. April vom Konzil fast einmütig angenommen.
Während das Glaubens-Schema in der Zeit vom 8. Januar bis zum 22. Februar umgearbeitet wurde, erörterte das Konzil Fragen kirchlicher Disziplin und die Formulierung eines Katechismus, der für die gesamte Kirche einheitlich sein sollte. Hier kam das Konzil zu keinem Ende und verzichtete schließlich auf die Definition von Dekreten.
Inzwischen aber, war das wichtigste Konzilsthema, wenn auch zunächst noch undeutlich, am Horizont des Konzils aufgetaucht. Am 2l. Januar ließ Pius den Vätern ein Schema mit der Überschrift »Von der Kirche Christi« zustellen. Es war in 15 Kapitel unterteilt. Die Kapitel 11 und 12 handelten vom Primat des römischen Bischofs, das beißt von seinem Vorrang vor allen seinen Kollegen auf dem Gebiet der Jurisdiktion, also auf dem Gebiet der Kirchenverwaltung, kirchlichen Gesetzgebung,und Rechtsprechung:
So hieß es in Kapitel 11 des Schemas: Um in Seiner Kirche dauernde Einheit im Glauben und In der Gemeinschaft sicherzustellen, richtete Christus in der Person des heiligen Petrus ein dauerndes Prinzip und eine sichtbare Grundlegung dieser zweifachen Einheit auf, als er Ihm unmittelbar und direkt einen Primat der Jurisdiktion über die Gesamtkirche verhieß und Übertrug.
Alle Welt hatte erwartet, Pius würde in dieser Vorlage auch die Anerkennung der päpstlichen Unfehlbarkeit fordern. Zu allgemeiner Überraschung war das nicht der Fall, und im Lager der Unfehlbarkeitsgegner begann man zu hoffen, der Papst habe auf die Durchsetzung seines Willens verzichtet.
Indes, rund sechs Wochen nach dem 21. Januar ging den Vätern ein weiteres Schriftstück zu, das sich höchst bescheiden als ein »Anhang« zu Kapitel 11 des Schemas »Von der Kirche Christi« zu erkennen gab. Darin stand nun endlich die lang erwartete und lang befürchtete Formulierung von der Unfehlbarkeit des Papstes. Das war am 6. März 1870.
Laut Geschäftsordnung des Konzils begann die Debatte mit der Einsendung von schriftlichen Einwendungen. Als der Termin dafür abgelaufen war, umfaßten die Verbesserungsvorschläge 346 Spalten in Folio.
Daraufhin machte sich eine Spezialkommission - die sogenannte Glaubens-Deputation - an die Umarbeitung des Schemas »Von der Kirche Christi«. Eine Reihe von Vorschlägen wurde berücksichtigt, wobei allerdings viel Ärger erregte, daß diese Deputation ausschließlich aus Unfehlbarkeitsanhängern zusammengesetzt war.
Am 9. Mai legte die Deputation den Konzilsvätern das umgearbeitete Schema vor. Es war nun in vier Kapitel eingeteilt. Sie handelten der Reihe nach von
- der Einsetzung des Jüngers Petrus
durch Christus als den obersten der Apostel (Primat Petri),
- der Weitergabe der Primatialgewalt
von Petrus an die römischen Bischöfe,
- dem Umfang der Primatialgewalt
der römischen Bischöfe im Verhältnis zu den übrigen Bischöfen und schließlich von
- der Unfehlbarkeit des römischen
Bischofs.
Die Kapitel 1 (Einsetzung des Petrus) und 2 (Weitergabe der Primatialgewalt an die römischen Bischöfe) wurden von dem Konzil nach kurzen Debatten nahezu einstimmig gebilligt.
Mit sehr viel mehr Verve wurde das Thema des dritten Kapitels (Umfang der päpstlichen Primatialgewalt) diskutiert, ging es hierbei doch auch um Rang, Würde und materielle Interessen der Bischöfe gegenüber dem Papst und der Kurie.
In diesem Kapitel wünschte Pius eine Erklärung des Konzils, wonach »alle Christgläubigen glauben müssen, daß der Heilige Apostolische Stuhl und der Papst zu Rom den Vorrang innehaben über den ganzen Erdkreis« und daß dem Papst »die volle Gewalt, die ganze Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten, von unserem Herrn Jesus Christus übertragen sei ...«
Zudem war der Papst daran interessiert, daß ihm die »ordentliche und unmittelbare Jurisdiktion« in jeder Diözese zustehe, er mithin alle einem Bischof zustehenden Rechte der Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung an sich ziehen könne, wann immer er wolle.
Begreiflicherweise fanden die bischöflichen Konzilsväter, daß sie, wenn sie diesen Formulierungen zustimmten, zu bloßen »Beamten des Papstes und der Kurie« degradiert sein würden.
Am Ende der Debatte über das dritte Kapitel kam ein merkwürdiger Kompromiß zustande, der noch heute allen Kirchenrechtlern Schwierigkeiten bereitat. Zwar enthielt die endgültige Formulierung den Passus, wonach dem Papst die »volle Gewalt« zustehe, »die ganze Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten«, doch hieß es weiter, dies bedeute keineswegs, »daß diese Gewalt des Obersten Hohenpriesters Eintrag tue der ordentlichen und unmittelbaren Gewalt der bischöflichen Jurisdiktion...«
Der Kompromiß besagte letztlich, daß es in der Kirche ein juristisches Problem, nämlich zwei nebeneinander stehende Gewalten, gibt: die bischöfliche (episkopale) und die päpstliche (papale) Gewalt. »Die ,Metaphysik' der Verfassung der Kirche bleibt ziemlich dunkel«, urteilte denn auch 1961 der Jesuitenprofessor Karl Rahner. »Es wird auch das eine einheitliche Wesen dieser Verfassung, ihre letzte Grundidee durch die bloße Angabe dieser beiden Ordnungs- und Leitungsgewalten in der Kirche noch nicht deutlich.«
Der Kompromiß wurde am 13. Juli 1870 vom Konzil mit großer Mehrheit gebilligt. Das war an demselben 13. Juli, an dem das Konzil auch über das vierte Kapitel, also über die Unfehlbarkeit, ein Probe-Votum abgab und mit 88 Nein-Stimmen sein Mißfallen über die Unfehlbarkeit zum Ausdruck brachte.
Fünf Tage später; am 18. Juli, folgte dann die Abstimmung über das gesamte Dokument, das nun eine »Konstitution« (eine dogmatische Entscheidung) mit dem Titel »Pastor aeternus« genannt wurde. Die Zahl der Nein-Stimmen betrug nun nur noch zwei.
Der immerhin beträchtliche Unterschied zwischen den Abstimmungsergebnissen vom 13. und vom 18. Juli war ein deutlicher Hinweis darauf, daß das Konzil keineswegs einmütig für die Unfehlbarkeit war. Noch zweifelhafter war, ob die Unfehlbarkeit des Papstes dem Willen und den Ansichten der rund 200 Millionen Katholiken entsprach, die es damals gab.
Insgesamt wurden rund 770 Prälaten als Teilnehmer gezählt. Von diesen 770 konnte man - bei einer grobschlächtigen Einteilung-rund 550 als Anhänger, den Rest, etwa 220, als Gegner der Unfehlbarkeit einschätzen.
Wichtig aber war die Zusammensetzung der beiden Parteien:
- Die infallibilistische* Mehrheit bestand zum größten Teil aus Italienern und Spaniern. Allein Italien hatte auf dem Konzil über 200 Vertreter; allein der Kirchenstaat hatte rund 60 Bischofssitze, deren Inhaber begreiflicherweise in einem besonders strengen Abhängigkeitsverhältnis zum Papst standen.
- Die Minderheit hingegen setzte sich
vornehmlich aus ungarischen, deutschen, österreichischen, französischen und angelsächsischen Bischöfen zusammen.
Die Prälaten beider Parteien vertraten jedoch Gemeinden, die sehr unterschiedlich waren - vor allem hinsichtlich ihrer Menschenzahl. Die 15 deutschen Konzilsväter (Bischöfe) zum Beispiel repräsentierten rund 17 Millionen Katholiken, wohingegen die etwa 60 Bischöfe des Vatikanstaates nur ungefähr 700 000 rechtgläubige Seelen repräsentierten. Allein die Oberhirten von Breslau, Köln und Paris, die alle drei anti-infallibilistisch waren, vertraten - und zwar jeder dieser drei für sich genommen - mehr Katholiken, als es in dem ganzen, mit 60 Bistümern gespickten Kirchenstaat gab.
Daß die Italiener und Spanier für die Infallibilität waren, hatte mehrere Gründe, zunächst einmal den, daß sie von Haus aus antiliberal eingestellt waren - im Gegensatz zu vielen Bischöfen aus Mitteleuropa, deren Länder schon damals zumindest halbparlamentarisch regiert wurden.
Hinzu kam, daß die meist nicht sehr gebildeten romanischen Bischöfe gegen die moderne Wissenschaftlichkeit der Bischöfe aus dem Norden das Ressentiment der Zurückgebliebenen hegten. Der auf dem Konzil zutage tretende Spott der deutschen, englischen und französischen Bischöfe über die Unbildung ihrer italienischen und spanischen Kollegen trug natürlich dazu bei, die Fronten zu verschärfen. Ein italienischer Bischof löste zum Beispiel die boshafte Heiterkeit deutscher Konzilsväter aus, als er forderte, die Geistlichen müßten stets den Talar tragen, denn Jesus Christus selbst sei im Talar gen Himmel gefahren.
Ein weiteres Moment war der Gegensatz zwischen dem Reichtum der Bischöfe aus dem Norden und der bitteren Armut, unter der die Bischöfe der Zwerg-Diözesen Südeuropas zum Teil leben mußten.
Während jene in glänzenden Equipagen zum Konzil zu fahren pflegten, mußte manch italienischer oder spanischer Prälat alltäglich durch Straßenkot und Regen zu Fuß ins Konzil marschieren, und es mag schon so gewesen sein (wie damals die »Augsburger Allgemeine Zeitung« vermutete), daß viele arme italienische Bischöfe die handgreifliche Rechnung anstellten, ein unfehlbarer Papst sei besser in der Lage, Peterspfennige und andere Gelder aus dem reichen Norden Europas zu ziehen, als dies einem fehlbaren Papst möglich wäre.
Viele italienische, spanische und
überseeische Bischöfe waren so arm, daß sie sich den Aufenthalt in Rom nur leisten konnten, weil der Papst ihnen einen Spesensatz zahlte. Manche Quellen berechnen die Zahl dieser »Pensionäre des Papstes« auf 300 Konzilsväter und die täglichen Unkosten auf 1000 damalige englische Pfund (also auf etwa 20000 Goldmark, denen heute 33 000 Mark entsprechen), andere auf immerhin 200 Pfund. Wie groß der Betrag auch gewesen sein mag, Tatsache ist, daß den Papst das Konzil viel Geld kostete. Nach dem Konzil, so erklärte Pius, werde er zwar vielleicht »infallibel« (unfehlbar), aber auch »fallit« (bankrott) sein.
Neben den Hilfstruppen aus den romanischen Diözesen verfügte der Papst noch über eine, wenn auch kleinere, aber treue Garde von Unfehlbarkeitshelfern. Das waren die Kurien-Kardinäle, die Titularbischöfe der Kurie (ohne Diözese) und die Apostolischen Vikare, die in Missionsländern in direktem Auftrag des Papstes tätig sind
- alles in allem nochmals zwischen 100
und 150 Konzilsväter.
Es war klar, daß diese Truppe fest zur Idee der Unfehlbarkeit stand. Außer ihren theologischen Einsichten sprachen ihre finanziellen Interessen und - insbesondere im Falle der Kurien-Kardinäle - der ihnen eigene Wunsch nach Macht dafür, die Position des Papstes gegenüber der Eigenständigkeit der Bischöfe zu stärken; werden doch die Vorrechte des Papstes in der Praxis zumeist von ihnen, den Beamten der Kurie, wahrgenommen.
Angesichts der Stärke der päpstlichen Konzilspartei hatte von Beginn des Konzils an festgestanden, daß die Unfehlbarkeit auf dem Konzil eine große Mehrheit finden würde. Gleichwohl hatte sich die Minderheit jedenfalls anfänglich Hoffnungen gemacht, das Unfehlbarkeitsdogma zu Fall bringen zu können.
Diese Hoffnungen stützten sich vor allem darauf, daß bei den 19 Konzilien, die dem Ersten Vatikanum vorangingen, kirchliche Tradition geworden war, dogmatische Entscheidungen nur dann zu treffen, wenn die Einmütigkeit oder doch die annähernde ("moralische") Einmütigkeit der Väter erzielt werden konnte. Die Minderheit des Ersten Vatikanumns erwartete deshalb, daß der Papst sich mit Rücksicht auf die Konzilien-Tradition verpflichtet sähe, von der Durchsetzung seines Willens abzustehen, wenn die Opposition groß genug wäre.
Auf welch schwachen Füßen diese Hoffnung stand, zeigte sich während einer Rede des Bischofs Stroßmayer, der für die Beschlüsse des Vatikanums Einmütigkeit forderte. Die italienischen und spanischen Bischöfeerhoben sich abrupt von ihren Plätzen; der amtierende Präsident des Konzils, der Kurien-Kardinal Capalti, versuchte Stroßmayer zu unterbrechen und erntete dafür stürmischen Beifall.
Das offizielle Vatikanum-Protokoll verzeichnete den weiteren Verlauf der Debatte so: »Der Redner versuchte fortzufahren. Die meisten Väter schrien ihn nieder. Sie rasten geradezu... Die erbosten Väter verließen ihre Sitze. Einige sagten: ,Diese Leute wollen die Unfehlbarkeit des Papstes nicht haben; ist dieser Mann doch selber unfehlbar.' Andere: 'Er ist Luzifer, anathema*, anathema!' Wieder andere: 'Er ist ein zweiter Luther, laßt ihn hinausjagen!' Er aber sagte in einem fort: 'Ich protestiere, ich protestiere', und kam herunter.«
Die Hoffnung der Opposition, mit der Einmütigkeits-Forderung durchzudringen, erfüllte sich dann auch nicht, aber die ersten Monate des Konzils hindurch bildete diese Erwartung doch die taktische Position der Gegner der Unfehlbarkeit.
Der bedeutendste Vertreter dieser These war ein deutscher katholischer Geistlicher, der zwar nicht zum Konzil gehörte, aber als Theologe, Kirchenhistoriker und Kirchenpolitiker einen weltweiten Ruf genoß: der Stiftspropst und Münchner Professor Ignaz von Döllinger. Er war, obwohl nicht Konzilsvater und nicht in Rom anwesend, das geistige Oberhaupt der Opposition gegen die Lehre von der Unfehlbarkeit des römischen Papstes.
Döllinger war, als das Vatikanum begann, bereits 70 Jahre alt. Er hatte eine lange Laufbahn als Universitätslehrer (seit 1823), als Politiker und Publizist hinter sich. Er hatte im Frankfurter Paulsparlament von 1848 und im bayrischen Landtag gesessen, er hatte auf der Würzburger Bischofsversammlung 1848 für die Idee einer zwar romtreuen, aber deutschen Nationalkirche gekämpft und hatte viele kirchengeschichtliche Werke geschrieben.
Als Kirchenpolitiker vertrat er eine liberale Richtung, die unter den deutschen und österreichischen Bischöfen viele Anhänger besaß und die den patriarchalischen Kurs der päpstlichen Kurie unter Plus für ein Ärgernis hielt. Pius war denn auch die Figur, auf die Döllinger seine meisten Angriffe richtete.
Pius - 1792 als Johann Maria Graf von Mastai-Ferretti geboren und 1846 zum Papst gewählt - war anfangs liberal eingestellt gewesen. Als Souverän des Kirchenstaates hatte er 1848 seinen Landeskindern ein Parlament gewährt, ein Zugeständnis, das ihm freilich wenig Dank einbrachte. Noch im selben Jahr erhob sich die Bevölkerung des Kirchenstaates und verlangte nebst der Demokratie die Vereinigung mit dem übrigen italienischen Volk. Pius mußte aus der Ewigen Stadt fliehen. Erst fremde, französische, Waffen ermöglichten ihm die Rückkehr. Seither war Pius kein Liberaler mehr.
Im Jahr 1854 verkündete er das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens und zog sich schon damals die Kritik deutscher Bischöfe zu. Der damals in Rom weilende Fürsterzbischof von Prag, Schwarzenberg, erklärte, er könne nach der Verkündung dieses Dogmas nicht in seine Diözese zurückkehren.
Im Jahre 1864 gab Pius den sogenannten Syllabus heraus: eine Fluch-Liste gegen 80 Irrtümer der modernen Welt. Insbesondere der 80. Satz, in dem Pius dem »Fortschritt«, dem »Liberalismus« und der »modernen Zivilisation« seinen unversöhnlichen Kampf ankündigte, löste in der ganzen Welt höhnisches Gelächter und unter den liberalen deutschen Bischöfen trauriges Befremden aus. Ob denn der Papst die Gaslaternen verbieten wolle, fragte damals eine Zeitung.
In Deutschland begann man, sich über die theologische Unbildung des gräflichen Papstes lustig zu machen, und erklärte sich die überraschenden Entschlüsse des neunten Pius damit, daß der Papst - erschreckt durch die wissenschaftlichen Fortschritte in Nordeuropa und gedemütigt durch das Aufbegehren seiner freiheitlich gesinnten Landeskinder - sich in einen Marien-Mystizismus geflüchtet habe, in dem er Trost für die Niederlagen suchte, die er als Landesherr erleiden mußte.
Pius, so meinte der katholische Theologie-Professor Döllinger, fühle sich als der Befehlsempfänger Mariens. In diesem »naiven, aber robusten Glauben an die eigene Erleuchtung« sah Döllinger auch einen der Gründe dafür, daß Pius die Lehre von der Unfehlbarkeit zu dogmatisieren wünschte.
Den Kampf gegen dieses Vorhaben eröffnete Döllinger ein halbes Jahr vor Konzilsbeginn, am 20. Mai 1869, mit einem Artikel in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung«. Darin verkündete er - und zwar »nach einer aus guter Quelle geflossenen Mittheilung« -, daß Papst Plus beabsichtige, auf dem angekündigten Konzil die Unfehlbarkeit zu proklamieren. Der Artikel war, trotz einer vorangegangenen Andeutung in einer römischen Jesuitenzeitschrift, eine europäische Sensation. (Tatsächlich wurde die Unfehlbarkeit erst im März 1870, also rund vier Monate nach Konzilsbeginn, offiziell als Konzilsthema bekanntgegeben.)
Mit diesem Artikel begann Quirinus alias von Döllinger eine Artikelserie, die das Unfehlbarkeitskonzil von Anfang bis zum Ende begleiten und schließlich 74 Artikel umfassen sollte. Es war die vielleicht glänzendste aktuelle politische Reportage, die jemals in einer deutschen Zeitung erschienen ist. Sie zeichnete sich ebenso sehr durch Witz und Leidenschaft wie durch Sachkenntnis und Informationsreichtum aus.
Wer immer in Berlin, London oder Paris sich über das unterrichten wollte, was vor und hinter den Kulissen des Heiligen Konzils stattfand, mußte die »Augsburger Allgemeine Zeitung« lesen. Quirinus machte das Blatt der deutschen Liberalen, das schon vorher als führende deutsche Zeitung galt, zu einem Weltblatt.
Döilinger war keine professorale Spitzweg-Figur und kein weltfremder Gelehrter, sondern ein Weltmann, der über ausgezeichnete Beziehungen zu allen politischen Kreisen seiner Heimat, zum bayrischen Hof, zur englischen Aristokratie und zum Episkopat Deutschlands, Frankreichs und Englands verfügte.
Einer seiner Freunde war der englische Premier William Ewart Gladstone, ein anderer der französische Graf Montalembert, ein dritter der englische Katholik Lord Acton. Viele deutsche und österreichische Bischöfe waren seine Schüler gewesen.
Acton war auch einer der Informanten, von denen Döllinger während des Konzils direkte Nachrichten aus Rom bezog. Ein anderer Informant war der Bischof von Orleans, Dupanloup, und der dritte ein deutscher Theologe namens Johann Friedrich, der während des Konzils Sekretär des Kardinals zu Hohenlohe war. (Der Bruder des Kardinals; Chlodwig, war von 1866 bis 1870 bayrischer Ministerpräsident und von 1894 bis 1900 Reichskanzler. Auch Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst war ein Freund Döllingers.)
Döllinger trug seinen Angriff gegen Pius und dessen Unfehlbarkeitsidee auf breitester Front vor. Er bediente sich dabei der Mittel des modernen Journalismus, der Psychologie, der Statistik und Soziologie. Besonders bissig waren seine Analysen der päpstlichen Konzilstaktik. Er bemerkte, daß Pius die Unfehlbarkeitsdebatte in die beginnende Sommerhitze Roms gelegt hatte, die den anti-infallibilistischen Bischöfen aus dem Norden besonders unangenehm sein mußte. Er glaubte feststellen zu können, daß der Papst das Konzil, ehe es zu seinem eigentlichen Thema, der Unfehlbarkeit, kam, »herauf, herum, durch allerlei Brimborium« ermüdet habe.
Das war im übrigen ein Verdacht, den auch ein maßvoller Anhänger der Unfehlbarkeit, der englische Bischof Ullathorne, nicht unterdrücken konnte. Er denke, sagte Ullathorne während des Konzils, manchmal »an das Wort im Makkabäerbuch, daß die Römer alles in ihren Besitz bringen durch Klugheit und Geduld«.
Döllinger verschmähte schließlich auch nicht, in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« zu berichten, daß der vom Papst als theologischer Sachverständiger benutzte Jesuitenpater Kleutgen sich in einem Nonnenkloster gewisser Verfehlungen schuldig gemacht hatte, daß er deshalb zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war und das Kloster aufgelöst werden mußte.
Seine unvergleichlichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Kirchengeschichte benutzte Döllinger dazu, eine Liste von 42 häretischen, unsittlichen oder absurden Äußerungen aufzustellen, die von den nach dem Willen des Pius als unfehlbar geltenden Päpsten im Verlauf der Geschichte des Christentums gemacht worden waren. So habe, berichtete Döllinger unter anderem,
- Papst Johannes XXII. (1316 bis 1334) bestimmten Personen versprochen, sie würden am Sonnabend nach ihrem Tode von der Jungfrau Maria direkt aus dem Fegefeuer geholt werden,
- Papst Nikolaus V. (1447 bis 1455) allen, die gegen seinen Gegenpapst die Waffe ziehen würden, die Vermehrung der himmlischen Seligkeit versprochen,
- Papst Innozenz III. (1198 bis 1216) gelehrt, daß ein Eid, der dem Nutzen der Kirche zuwiderlaufe, gebrochen werden dürfe und sogar müsse,
- Papst Innozenz IV. (1243 bis 1254) verkündet, daß die körperliche Tortur sehr wohl mit der Sittlichkeit und dem Geist des Evangeliums vereinbar sei,
- Papst Paschalis II. (1099 bis 1118) einen Grafen belehrt, daß, wer die Kaiser oder andere Gegner des Papstes mit Krieg überziehe, aller Sünden ledig sein werde,
- Papst Bonifaz VIII. (1294 bis 1303) gelehrt, daß der Papst alle Rechte dieser Welt »im Schreine seiner Brust« trage, so daß er auch jeden König oder Kaiser absetzen könne.
An der historischen Richtigkeit der von Döllinger ausgegrabenen und publizierten päpstlichen Absurditäten war nicht zu zweifeln. So gesteht der englische Abt Cuthbert Butler in seiner Geschichte des Ersten Vatikanums (ins Deutsche übersetzt und bearbeitet von Abt Hugo Lang), daß manche Päpste »ausgelassene Jünglinge, schwache Greise, weltlich gesinnte Windbeutel« gewesen seien und daß die Papstgeschichte »von Episoden strotzt, die jeden quälen müssen, der zum Heiligen Vater als dem Hort des Reiches Gottes auf Erden aufzuschauen gewöhnt wurde«.
Das Erste Vatikanum bemühte sich denn auch, die Unfehlbarkeit der Päpste möglichst so zu formulieren, daß sie jene Windbeuteleien ausschloß. Man bestimmte, daß die Päpste nur dann unfehlbar gewesen seien und nur dann unfehlbar sein würden, wenn sie
- »ex cathedra« sprechen, und das heißt kraft ihrer obersten Lehrgewalt,
- eine Lehre definieren, die den Glauben und die Sitten betrifft,
- diese Lehre dergestalt definieren, daß
erkennbar ist, diese Lehre sei von der gesamten Kirche »festzuhalten«,
- zudem das sogenannte Glaubensdepositum festhalten, und das heißt: »unversehrt bewahren und getreu auslegen ... die durch die Apostel überlieferte Offenbarung, das heißt die Hinterlage des Glaubens«.
Diese vorsichtige Formulierung bedeutete, daß - um ein Beispiel zu nennen - Papst Johannes XXII. keineswegs »unfehlbar« gesprochen habe, als er einigen Gläubigen versprach, sie würden am Sonnabend nach ihrem Tode aus dem Fegefeuer geholt werden.
Auch Pius selbst hatte vor Beginn des Konzils allen Gläubigen einen vollständigen Nachlaß ihrer Sünden versprochen, wenn sie nur eine Woche lang nebst Beichte und Abendmahl täglich 50mal das Ave Maria und fünfmal das Vaterunser wiederholten und dies nach des Papstes Absicht für ein glückliches Ende des Konzils täten. Auch diesem Versprechen dürfte heute die Würde der absoluten Sicherheit fehlen.
Die Unfehlbarkeitsformel des Ersten Vatikanischen Konzils erwuchs aus dem Für und Wider der beiden Konzilsparteien. Langsam entstand jene Fassung, die den Unfehlbarkeitsbereich der Päpste scharf einengte, dafür aber um so mehr Wert auf die Untrüglichkeit des Papstes in Angelegenheiten des Glaubens legte: Der Papst sollte oberster Richter in dogmatischen Streitfragen sein - und immer gewesen sein.
Daß die römischen Päpste immer - das heißt seit Anbeginn der christlichen Kirche - Oberhäupter der Kirche und als solche unfehlbar gewesen seien, war die zentrale These, auf die sich während des Ersten Vatikanums die päpstliche Partei stützte. Sie begründete ihre These unter anderem mit den berühmten »petrinischen« Bibelstellen (siehe erste Folge dieser Serie), darüber hinaus aber auch mit der Behauptung,
- in den ersten Jahrhunderten nach
Christi Tod sei der römische Bischof von den Konzilien immer als oberste Autorität in Glaubenssachen anerkannt worden; es sei auf diese Weise eine kirchliche Tradition entstanden, die den römischen Bischof als das von Gott auserwählte Oberhaupt der christlichen Kirche für alle Zeiten ausweise.
Über diesen Punkt wurde auf dem Ersten Vatikanum heftig gestritten. Der Bischof von Rottenburg, Hefele, ein Freund Döllingers, verfaßte während des Konzils eine Broschüre, in der er am Beispiel des Papstes Honorius (625 bis 638) nachwies, daß der römische Papst keineswegs immer als Oberhaupt der Kirche anerkannt worden sei, daß vielmehr die heilige Bischofsversammlung, das Konzil, die oberste Autorität innerhalb der Kirche gebildet habe (siehe zweite Folge).
Der Fall des Honorius bildete denn auch (neben einer Reihe ähnlicher Papst-Irrtumer) die vielleicht schärfste Waffe der Unfehlbarkeitsgegner auf dem Ersten Vatikanum - bewies dieser Fall doch,
- daß Päpste keineswegs unfehlbar sind, sondern sogar in Glaubenssachen irren, ja sogar ketzerisch sprechen können, und darüber hinaus,
- daß die früheren Päpste sich die oberste Autorität des Konzils hatten gefallen lassen müssen.
Indessen, die päpstliche Partei auf dem Vatikanum war durch historische Tatsachen solcher Art nicht aus dem Konzept zu bringen.
Um so mehr Zustimmung fanden Reden wie die des infallibilistischen Bischofs Pie von Poitiers, der ausführte, Petrus sei mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden, wobei sein Kopf die ganze Last des Körpers zu tragen gehabt habe - woraus erhelle, daß der Papst, als Kopf der Kirche, die ganze Last der Kirche trage, mithin unfehlbar sei.
Ein sizilianischer Bischof berichtete (laut Ignaz von Döllinger) dem Konzil, daß Petrus auf seinen Missionsfahrten auch nach Sizilien gelangt sei und dort von der Unfehlbarkeit erzählt - habe, die ihm, von Christus verliehen worden sei. Da, diese Mitteilung des Apostels für die Sizilianer neu gewesen sei, hätten sie eine. Gesandtschaft zu Maria, der Mutter Christi, entsandt, um sich zu Vergewissern. Tatsächlich habe sich Maria erinnert, dabeigewesen zu sein, als ihr Sohn dem Petrus dieses spezielle Vorrecht der Unfehlbarkeit verliehen habe. Döllingers Kommentar: »Das ist am 14. Mal 1870 wirklich in der Aula gesprochen worden.«
Die päpstliche Partei bediente sich bei Ihrem Kampf gegen die wissenschaftlich gebildeten Bischöfe aus Deutschland und Frankreich oft unlauterer Mittel, gleichwohl kann man nicht sagen, daß die Unfehlbarkeitsformel nur mit faulen Tricks durchgesetzt worden sei.
Selbst die historischen Einwendungen, die von Hefele, Döllinger und französischen Bischöfen gemacht wurden, konnten schließlich nicht die Tatsache aus der Welt schaffen; daß die Päpste nun einmal de facto zu Oberhäuptern der christlichen Kirche in Westeuropa geworden waren.
Tatsächlich leugneten auf dem Ersten Vatikanum nicht einmal die radikalsten Gegner der Unfehlbarkeit, daß dem römischen Papst ein Primat innerhalb der katholischen Kirche zukomme. Viele der Opponenten gegen die Dogmatisierung der Unfehlbarkeitslehre waren sogar der Meinung, daß die Lehre an sich richtig sei. Der Widerstand dieser Opponenten beschränkte sich auf das Argument, es sei nur im Augenblick »inopportun«, die an sich richtige Lehre zu dogmatisieren und feierlich vor aller Welt zu proklamieren. Sie widerspreche allzusehr dem demokratisch-parlamentarischen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts und werde daher zu einer großen Abfall-Bewegung führen.
Im Gegensatz zu diesen sogenannten Inopportunisten gab es im antiinfallibilistischen Lager eine Gruppe, die es auf einen grundsätzlichen Streit mit dem Papsttum angelegt hatte. Diese Gruppe - angeführt von Döllinger und vor allem aus französischen und deutschen Bischöfen zusammengesetzt - bestritt zwar auch nicht den Primat des Papstes über alle Bischöfe, wollte aber das Konzil zur obersten Instanz der Kirche machen.
Dieser Gruppe schwebte vor, den jahrhundertealten Streit zwischen Konzil und Papst zugunsten des Konzils zu entscheiden und damit gleichsam eine Demokratisierung der Kirche herbeizuführen. Der Papst sollte zu einer Art von konstitutionellem Monarchen und das Konzil zum Parlament der Kirche werden.
Dieser Plan scheiterte. Das Unfehlbarkeitsdogma vom 18. Juli 1870 bereitete ihm ein Ende - zugleich auch der geistlichen Laufbahn Döllingers. Seine Freunde unter den deutschen und französischen Bischöfen beugten sich nach und nach dem Unfehlbarkeitsdogma. Döllinger selbst beugte sich nicht. Im Jahre 1871 mußte ihn sein ehemaliger Schüler und alter Freund, der Erzbischof Scherr von München, exkommunizieren.
Zwar hatte Döllingers Opposition gegen die Unfehlbarkeit in Deutschland eine Abfall-Bewegung ausgelöst. Aber die daraus entstehende Altkatholische Kirche« blieb ein winziges Gebilde. Sie zählt heute rund 40 000 Gläubige.
Döllinger selbst schloß sich ihr nicht an. Er starb ungebeugt, hochangesehen und bis zuletzt von der katholischen Kirche umworben, im Jahre 1890.
Obschon Döllingers Pläne scheiterten, war er doch nicht ganz erfolglos geblieben. Seine Opposition gegen die Unfehlbarkeit trug zweifellos dazu bei, daß die endgültige Infallibilitäts-Formel mit einer Menge Absicherungen gegen päpstlichen Hochmut, Machtdurst und Ehrgeiz versehen wurde.
Viele radikale Anhänger der Unfehlbarkeit, wie zum Beispiel der, englische Erzbischof Manning von Westminster, ein Konvertit und cholerischer Eiferer, waren denn auch von der beschlossenen Formel enttäuscht. Sie hatten gehofft, daß alle päpstlichen Äußerungen ohne Unterschied - also auch Briefe, gelegentliche Predigten, sämtliche Enzykliken und Bullen - für unfehlbar erklärt werden würden. Auch diese Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt.
Im Jahre 1923, also ein halbes Jahrhundert nach der Unfehlbarkeitserklärung, stellte sich ein französischer Theologe die Frage, ob seit jenem Ereignis irgendeiner der darauffolgenden Päpste eine Erklärung abgegeben habe, die im Sinne des Infallibilitäts-Dogmas als »unfehlbar« anzusehen sei. Seine Antwort lautete: Wahrscheinlich nicht.
Alle in diesem Zeitraum ergangenen päpstlichen Rundschreiben - darunter auch die berühmte Sozial-Enzyklika »Rerum novarum« (1891) des Papstes Leo XIII. - besitzen nicht die Würde einer unfehlbaren Äußerung, und zwar, weil der betreffende Papst darin entweder
- nicht »in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller obersten apostolischen Autorität« gesprochen hat oder
- eine Lehre verkündet hat, die nicht
den Glauben oder die Sitten betrifft«, oder
- eine Lehre nicht ausdrücklich so
definiert hat, daß sie als »von der gesamten Kirche festzuhalten« erkennbar ist.
Derselbe Theologe untersuchte dann, wie viele unfehlbare päpstliche Erklärungen es überhaupt gebe. Er fand schließlich in der ganzen, nahezu 2000jährigen Geschichte der Kirche nur zwölf Erklärungen, die nach seiner Ansicht zweifelsfrei »unfehlbar« seien, darunter die Verwerfung der Lehren Luthers und die Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Mariens durch Pius IX. im Jahre 1854. (Zu dieser Liste wird man heute noch die 1950 durch Pius XII. erklärte Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Mariens rechnen müssen.)
Von allen anderen Äußerungen der Päpste, zumal von ihren Enzykliken, gilt nach Ansicht eines anderen französischen Theologen allenfalls nur, »daß es klug und sicher ist, das Vorgelegte als wahr zu betrachten«.
Die beiden Franzosen sind nicht die einzigen katholischen Theologen, die sich mit der Frage nach unfehlbaren Äußerungen der Päpste beschäftigt haben. Im Gegenteil, seit der Dogmatisierung im Jahre 1870 gibt es in der katholischen theologischen Literatur einen nicht abreißenden Streit darüber, welche päpstlichen Erklärungen als unfehlbar anzusehen seien.
Allein diese Tatsache zeigt, daß die Infallibilitäts-Formel von 1870 so gefaßt ist, daß sie sehr unterschiedliche Anwendungen zuläßt - ein offenkundiger Vorzug, gestattet er doch, eine päpstliche Erklärung zeitweilig als »unfehlbar« hinzunehmen und sie zu anderen Zeiten wieder als keineswegs unfehlbar abzutun.
Tatsächlich dürften manche päpstlichen Erklärungen insbesondere von naiven Gläubigen als unfehlbar ansehen werden (was sollten für solche Gläubigen zum Beispiel päpstliche Sünden-Nachlässe für einen Sinn haben, wenn diese Nachlässe nicht,unfehlbar wären?), können aber später mit der sanften Hand theologischer Neubewertung zu Erklärungen degradiert werden, die zu glauben keineswegs nötig, sondern allenfalls »klug« sei.
Trotz dieser vorteilhaften Elastizität der Infallibilitäts-Formel ist es zweifelhaft, ob die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit für Kirche und Papsttum ein Gewinn gewesen ist. Einer der bedeutendsten Katholiken des 19. Jahrhunderts, der spätere englische Kardinal Newman, fragte sich während des Konzils, was wohl den Heiligen Vater Pius veranlaßt haben könnte, das Unfehlbarkeitsdogma zu erzwingen: »Was haben wir getan, daß wir behandelt werden, wie die Gläubigen nie zuvor behandelt wurden?« Zwar glaube er, Newman, persönlich an die Unfehlbarkeit des Papstes, aber: »Wann war denn eine Lehrdefinition über den Glauben ein Luxus, den sich die Devotion leistet, und nicht ein furchtbares, schmerzliches Gebot der Not?«
Newman deutete an, daß der Heilige Stuhl, als er den Unfehlbarkeitsplan faßte, betört gewesen sei von dem »Geschmeichel einer Clique von Jesuiten, Redemptoristen und Konvertiten« - letzteres eine böse Anspielung auf den Erzbischof Manning von Westminster, der ein Konvertit und ein polternder Vertreter der Infallibilität war.
Schließlich formulierte Newman einen Satz, der geradezu als ein Beispiel dafür gelten kann, wie man mit frommen Worten Boshaftes sagen kann. »Wenn es GottesWille ist«, schrieb Newman, »daß die Unfehlbarkeit des Papstes definiert werde, dann ist es Sein gebenedeiter Wille, 'die Zeiten und Augenblicke' des Triumphes, den Er für Sein Königreich bestimmt hat, weiter hinauszurücken.« Das hieß in schlichten Worten: Die von Pius gewünschte und erzwungene Dogmatisierung der Unfehlbarkeit sei ein Zeichen dafür, daß Gottes Reich in eine noch ferne Zukunft entschwinde. Boshafter konnte man den Heiligen Vater Pius kaum kritisieren.
Die Unfehlbarkeitsformel des Ersten Vatikanums war, als sie
dem Konzil zur Beratung vorgelegt wurde, Bestandteil eines größeren Dokuments gewesen, das neben der Festlegung des Primats auch die Rechte des Episkopats definieren sollte.
Das Konzil verlief nun aber so, daß zwar der Primat und die Unfehlbarkeit des Papstes definiert wurden, nicht aber die Rechte der Bischöfe. Als das Konzil Mitte Juli 1870 auseinanderging, hofften viele Bischöfe noch, sie würden im Herbst nach Rom zur Fortsetzung des Konzils zurückkehren und dann bei der Debatte über die Rechte des Episkopats die Machtvollkommenheit des Papstes wieder einengen können.
Diese Hoffnung, die insbesondere auch von deutschen Bischöfen gehegt wurde, erfüllte sich nicht. Pius suspendierte am 20. Oktober das Konzil (formell geschlossen ist es bis heute nicht), aber die geplante Fortsetzung unterblieb, vor allem, weil inzwischen der Kirchenstaat durch Viktor Emanuel okkupiert worden war.
Seither steht eine verbindliche Fassung der Rechte der Bischöfe aus, und seither ist auch das Verlangen nach einem neuen Konzil nicht still geworden.
Das Zweite Vatikanum ist denn auch von deutschen katholischen Geistlichen in der Hoffnung begrüßt worden, daß dieses Konzil endlich die Rechte des Episkopats im Verhältnis zur päpstlichen Jurisdiktion definiere. So schreibt Abt Hugo Lang in einem Nachwort zu der von Abt Cuthbert Butler verfaßten Geschichte des Ersten Vatikanums: Die »,allgemeine und ordentliche' Jurisdiktion nicht nur des auf einem Konzil versammelten, sondern auch des zerstreut In den Diözesen lehrenden, gebietenden und richtenden Episkopats ist in Schrift und Tradition ebenso bezeugt und in der Geschichte geübt wie die zur Herstellung und Sicherung der Einheit eingesetzte 'allgemeine und ordentliche' Jurisdiktion des Petrus und seiner Nachfolger«.
Der deutsche Abt stellt also fest, daß auf dem Gebiet der Jurisdiktion (der kirchlichen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung) jeder Bischof in seiner Diözese über formulierte Rechte verfügen sollte, die ihm auch gegenüber der päpstlichen Kurie Selbständigkeit verleihen.
In der Tat zeigte bereits die erste Arbeitssitzung des Zweiten Vatikanums
- das Papst Johannes in der vorletzten
Woche feierlich eröffnet hat -, daß die Formulierung der bischöflichen Rechte während des Konzils möglicherweise zu schweren Auseinandersetzungen führen wird.
Für eine größere Selbständigkeit der Bischöfe sprechen sachliche Erwägungen
- darunter auch die Tatsache, daß die
katholische Kirche in der ganzen Welt einer Vielfalt politischer Probleme unmittelbar gegenübersteht. Der Zwang zur Auseinandersetzung mit diesen Problemen ist unausweichlich. Deshalb gilt auch als sicher, daß auf dem Zweiten Vatikanum zahlreiche Beschlüsse gefaßt werden, welche die Stärkung der Kirche und ihrer Organisationen mit dem Ziel anstreben, das katholische Christentum für politische Auseinandersetzungen zu rüsten.
Die dogmatische Legitimation dieser Wendung ist uralt und ist durch die Konzilien der Antike formuliert worden. Sie verstanden Christus als den Gott-Menschen, durch den Gott »Fleisch« geworden sei und in die Welt hineinkomme. So erklärte Papst Johannes XXIII. in einer Rundfunkansprache am 11. September, in der er den Zweck des-Zweiten Vatikanums beschrieb: »Wahrhaftig, die Welt braucht Christus, und es ist die Kirche, die Christus in die Welt hineintragen muß.«
Von dieser dogmatischen Grundlage
her haben die römischen Bischöfe der ausgehenden Antike ihren politischen Führungsanspruch gegenüber den Kaisern Ostroms und die mittelalterlichen Päpste den gleichen Anspruch gegenüber den deutschen Kaisern verteidigt.
Die moderne Haltung der römischen Kirche gegenüber der Politik zeichnete sich im 19. Jahrhundert ab. Entsprechend der veränderten gesellschaftlichen Situation lag der Schwerpunkt dieser Haltung jedoch nicht mehr bei der hohen Kabinettspolitik, sondern bei der Organisation von- Laienverbänden - von katholischen Parteien, Gewerkschaften und sonstigen Pressure groups - und bei der Formulierung katholischer Programme für die Neuordnung der Gesellschaft.
Ein erster Höhepunkt dieser Entwicklung war die Enzyklika des Papstes Leo XIII. »Rerum novarum« (1891), In der er - fußend auf der christlichen Naturrechtslehre - gegen den Sozialismus, aber auch für den gerechten Lohn und die Eigentumsbildung der Arbeiterschaft Stellung bezog.
Ein weiterer Höhepunkt war die Enzyklika »Quadragesimo anno« (1931) des Papstes Plus XI., die in noch stärkerem Maße für eine soziale Neuordnung eintrat.
Die politische Tendenz des Zweiten Vatikanums unterstrich Papst Johannes XXIII. in seiner Rundfunkansprache vom 11. September mit der Feststellung, daß die Kirche die gesellschaftlichen und weltpolitischen Probleme »zum Gegenstand aufmerksamer Studien gemacht« habe; das Zweite Vatikanum werde »in aller Klarheit Lösungen anbieten können, wie sie von der Würde des Menschen und seiner christlichen Berufung her gefordert sind«.
Johannes ließ auch keinen Zweifel daran, daß nach seiner Auffassung der römische Bischof zum geistigen Führer der Menschheit berufen sei: »Welch ein Geheimnis der göttlichen Vorsehung, durch welche die bevorstehende Feier des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils aufs neue den Auftrag der Kathedra Petri zum Dienste und zur geistigen Führung in unvergleichlicher Weise offenbaren wird, erhoben über das wechselnde Geschick der ganzen Menschheit!«
* infallibel = unfehlbar.
* Anathema = Er sei verdammt. Offizielle Formel für den Ausschluß aus der Kirche.
Verlesung des Unfehlbarkeits-Dogmas auf dem Ersten Vatikanum (1870): Es donnerte und blitzte und ein Fenster zerbrach
Papst Pius IX.
Infallibel und fallit
Einmarsch der Italiener in Rom (20 September 1870): Der gedemütigte Papst...
Italiens Einiger Viktor Emanuel
... verfluchte den Eroberer
Segens-Erteilung durch Pius IX. während des Vatikanums. Deutsche in Equipagen, Italiener zu Fuß
Dogma-Opponent Stroßmayer
»Herauf, herum...
Dogma-Opponent Döllinger
..durch allerlei Brimborium«
Prager Erzbischof Schwarzenberg
Protest gegen Marien-Kult
Landesvater Pius IX. in seinem Hofzug (1863): Wollte der Papst die Gaslaternen verbieten?
Konvertit Manning
Den Papst betört
Papst Johannes XXIII.: Neue Rechte für die Bischöfe?