Zur Ausgabe
Artikel 12 / 81

BERLIN-ABGEORDNETE Gottes Segen

aus DER SPIEGEL 43/1969

Erst nach der Tagesordnung kamen die Herren zur Sache -- zu der Frage, ob Willy Brandts Bundestags-Mehrheit um sechs Stimmen wachsen soll.

Am Mittwoch letzter Woche hatte die deutsch-alliierte Arbeitsgruppe eine Routinesitzung in Bonns Außenamt bereits beendet, als die Vertreter der drei Westmächte ihre deutschen Partner wissen ließen: Sie erwarteten eine offizielle Anfrage der neuen Bundesregierung, ob den West-Berliner Bundestagsabgeordneten künftig volles Stimmrecht gewährt werden könne; erst dann wollten sie sich dazu äußern.

* Im West-Berliner Abgeordnetenhaus am 28. September dieses Jahres mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz (l.).

Auch der US-Stadtkommandant von West-Berlin, General Robert G. Fergusson, eröffnete vorletzte Woche Vertrauten: »Von uns aus unternehmen wir nichts. Wir warten auf die Deutschen.«

Seit sich in der Wahlnacht zeigte, daß ein Machtwechsel in Bonn möglich war, drängen vor allem die Sozialdemokraten darauf, die knappe Mehrheit von zwölf Mandaten für die SPD! FDP-Koalition mit Hilfe der Berliner Abgeordneten auszubauen. Denn von 22 Berliner Parlamentariern gehören 13 zur SPD, acht zur CDU, einer ist FDP-Mann, so daß sich die Majorität des neuen Bündnisses auf 18 Sitze erhöhen würde.

Bislang freilich waren alle Vorstöße zugunsten des Berliner Stimmrechts am alliierten Veto gescheitert. Die drei West-Berliner Schutzmächte beriefen sich auf den Sonderstatus der Stadt und ihr Einspruchsrecht, das im Deutschland-Vertrag von 1954 verbrieft ist.

Im Bundestag: können daher bis heute Berlins Vertreter weder den Kanzler wählen noch Gesetze verabschieden. Voll stimmberechtigt sind sie nur bei der Wahl des Staatsoberhaupts, des Bundestagspräsidenten und des Wehrbeauftragten sowie in den Ausschüssen.

Eine ähnliche Regelung galt bisher für die 66 Ost-Berliner Abgeordneten in der DDR-Volkskammer. In der Woche vor der Bundestagswahl jedoch ließ Volkskammer-Präsident Gerald Götting im Angesicht von Sowjet-Botschafter Pjotr Abrassimow die Ost-Berliner Vertreter über den Atomwaffen-Sperrvertrag mit abstimmen.

Bonns Sozialdemokraten werteten das als Zeichen dafür, daß aus Moskau kein ernsthafter Einwand gegen eine Emanzipation der West-Berliner Bundestagsabgeordneten zu erwarten sei. Mit dem Hinweis auf sowjetisches Entgegenkommen, so glaubt Willy Brandt, ließen sich die Bedenken der westlichen Alliierten ausräumen.

Zwar will sich. Brandt am Dienstag dieser Woche ohne die Stimmen der Berliner zum Bundeskanzler wählen lassen, aber als Regierungschef, so hatte er schon vor der Bundestagswahl angekündet, wird er den Alliierten die Gleichstellung der Berliner Volksvertreter im Bundestag abfordern.

Ein Brandt-Berater sprach seinem Chef Mut zu: »Die Amerikaner werden ja wohl nicht gleich in Bonn einmarschieren, wenn die Berliner volles Stimmrecht bekommen.« Der Berliner Senatsdirektor Günter Hartkopf (FDP), als Staatssekretär im Bundesinnenministerium vorgesehen, argumentierte koalitionstreu: »Die Alliierten kommen alle zwei Jahre zu uns und wollen drei Milliarden Mark Devisen-Ausgleich. Da werden wir ja auch einmal einen Wunsch äußern dürfen.«

Der künftigen CDU-Opposition fällt es schwer, gegen eine Aufwertung Berlins zu kämpfen. Deshalb zitieren die Christdemokraten den Artikel 38 des Grundgesetzes, der zwingend die unmittelbare Wahl zum Bundestag vorschreibt; die Vertreter West-Berlins sind jedoch lediglich vom Abgeordnetenhaus ins Bonner Parlament delegiert.

Ernst Benda, Innenminister der Großen Koalition und als Berliner Abgeordneter selbst von der Ausnahmeregel betroffen: »An sich habe ich nichts gegen ein Stimmrecht der Berliner. Allerdings müßte dann die Berliner Bevölkerung die Möglichkeit haben, ihre Vertreter im Deutschen Bundestag selbst zu bestimmen.«

Auch der Berliner CDU-Bundestags-Novize Jürgen Wohlrabe lavierte: »Wenn die CDU nicht mitmacht, wird sie in Berlin nicht mehr ernst genommen. Aber ohne Direktwahl geht es nun einmal nicht.«

So pingelig waren die Unions-Christen freilich nicht Immer. Im Januar 1957, nach der Rückgliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik, hatte der Landtag in Saarbrücken zehn seiner Abgeordneten für den Bundestag bestimmt. Sie genossen volles Stimmrecht, und Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier wünschte ihnen zu ihrer Arbeit »Gottes Segen«.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 12 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren