ENGLAND Grab schaufeln
Kommissar Benn«, klagte die rechte »Daily Mail«, will den Sozialdemokraten »die Pistole an die Schläfe setzen«.
Denn der radikal linke Ex-Minister und einstige Lord Anthony Wedgwood Benn verlangte eine Entscheidung: Wenn die seit Monaten drohende Spaltung der britischen Labour Party stattfinden solle, dann lieber sofort.
So forderte Benn am vergangenen Mittwoch von der gesamten Parteiführung ein »Treuegelöbnis«, das Versprechen, »für die Rückkehr einer Labour-Regierung bei den nächsten Wahlen« zu kämpfen.
Damit wollte er die zu einem »Rat für Sozialdemokratie« (CSD) zusammengeschlossenen gemäßigten und rechten Parteiführer in die Enge treiben, ihnen die Möglichkeit versperren, von innen eine neue gemäßigte Partei aufzubauen.
Es war eine historische Stunde: Englands große Labour Party, eine der Säulen der europäischen Arbeiterbewegung und seit ihrem ersten Regierungsauftrag 1924 Alternative zur konservativen Herrschaft über Großbritannien, bewegte sich mit selbstmörderischer Konsequenz auf ihre eigene Entmachtung zu. »Noch nie in ihrer 81jährigen Geschichte«, so der »Daily Telegraph«, »war die Labour Party einer Spaltung so nahe.«
Jahrelang hatte der linke Parteiflügel -- radikaldemokratische Puristen, dogmatische Sozialisten und Trotzkisten -vor allem für ein Ziel getrommelt: Wahl des Parteiführers nicht mehr durch die gemäßigte Unterhausfraktion, sondern durch ein Wahlkollegium mit sicherer linker Mehrheit, beherrscht von mächtigen Gewerkschaftsbossen.
Am vorletzten Samstag vollzog der Sonderparteitag in Wembley die Wendung nach links, aber viel härter als erwartet: Während der linke Parteichef Michael Foot die Unterhausfraktion noch zu 50 Prozent an der Wahl des Parteichefs beteiligen wollte, reduzierte die Parteitagsmehrheit diesen Prozentsatz auf 30, ebensoviel wie die lokalen Parteigremien haben. Den Löwenanteil von 40 Prozent steckten die in der Labour Party schon immer dominierenden Gewerkschaften ein.
Die Gemäßigten würden, wenn ihr Abmarsch nicht noch gestoppt wird, die Labour Party mit der Konkurrenz einer sozialdemokratischen Partei konfrontieren, deren landesweit bekannte Führer längst in der inneren Emigration stehen:
* Die frühere Erziehungsministerin Shirley Williams, dank ihrer brillanten Karriere unter den Premiers Wilson und Callaghan als mögliche Premierministerin im Gespräch, hat das Charisma, eine neue Partei anzuführen.
* Roy Jenkins, einst Schatzkanzler, Parteivize und EG-Kommissar, redet schon seit Monaten einer Neugründung das Wort. Der »Salonsozialist« (so Ex-Premier Harold Wilson) erklärte demonstrativ, seinen Labour-Mitgliedsbeitrag für 1981 nicht bezahlt zu haben.
* Die ehemaligen Minister Dr. David Owen (Äußeres) und William Rodgers (Transport) würden der Partei mit ihrem Weggang einen fühlbaren Verlust an Fachkräften zufügen.
Hauptangriffspunkt dieser »Viererbande« sind die Gewerkschaften, Quelle so manchen Übels der britischen Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur, an denen sich schon Reformer wie die Premiers Wilson, Heath und Callaghan die Zähne ausbissen.
Da die Delegierten des Parteitags für die Gesamtzahl der bei ihnen eingeschriebenen Parteimitglieder wählen, haben die Gewerkschaften mit ihren hohen Mitgliederzahlen entscheidenden Einfluß. Insgesamt können sie über sechs Millionen Stimmen aufbringen, gegenüber nur 700 000 der nicht-gewerkschaftlichen Parteibasis.
Die Anzahl der Stimmen jeder Gewerkschaft wird bestimmt durch die »politischen Beiträge«, die eine Gewerkschaft der Parteikasse zufließen läßt, eine absurde Regelung.
So »kauften« sich die öffentlichen Angestellten etwa 100 000 Stimmen mehr, als sie Mitglieder zählen. Andere melden weniger Parteimitglieder an, als tatsächlich in der Gewerkschaft eingeschrieben sind.
»Es ist wahr, daß die Blockstimmen suspekt sind«, meinte der Eisenbahndelegierte Sid Weighell auf dem Parteitag. »Ich weiß es, denn ich halte eine in der Hand.«
Doch sogar bei ehrlicher Abrechnung ist eine Blockstimme nicht demokratisch. Zahlreiche Arbeiter bezahlen ihren Beitrag zwar an die Gewerkschaft, wählen aber nicht unbedingt Labour. Die Abstimmungsergebnisse auf dem Parteitag entsprechen mithin keineswegs den Meinungen jener Millionen Mitglieder, als deren Vertreter sich die Gewerkschaften mit ihren Blockstimmen aufführen. S.111 Minoritätsansichten der Arbeiterschaft werden schon gar nicht berücksichtigt, ihre Stimmen sogar auf die Seite der Mehrheit gepackt.
Oft wird aber nicht einmal diese Mehrheit befragt. Im vergangenen Oktober etwa beschloß der Parteitag in Blackpool das von der Linken gewünschte Kollegium für die Wahl des Parteiführers, verschob den wichtigen Entschluß über dessen Zusammensetzung aber auf Januar. In der Zwischenzeit machten sich nur die wenigsten Gewerkschaften die Mühe, ihre Mitglieder einzubeziehen.
Nur sechs der 52 Gewerkschaften befragten alle Mitglieder, rund 847 000. Elf weitere (3,3 Millionen) befragten nur ihre lokalen Funktionäre, bei den anderen (2,3 Millionen Mitglieder) entschieden die Angelegenheit die »Männer in den rauchgefüllten Zimmern«, so Shirley Williams über die Spitzenfunktionäre.
Das Ergebnis von Wembley überraschte dann auch die Gewerkschaften. Zwar war die überwältigende Mehrheit für die Errichtung eines Wahlkollegiums eingetreten, doch eine so radikale Entmachtung der Fraktion hätten viele lieber vermieden.
»Es tut mir leid, daß es durchkam«, klagte Gewerkschaftsboß Bill Whatley vom Verkäuferverband, obwohl gerade der Vorschlag seiner Organisation, die 30-30-40-Prozent Aufteilung, den Sieg errungen hatte.
Die Gewerkschaften fürchten, nunmehr direkt für die Wahl des Parteiführers verantwortlich zu sein, so daß sie nach einem Wahlsieg dann auch direkt für die Regierungspolitik geradestehen müßten. Ihre undemokratischen S.112 Entscheidungsmechanismen wären nicht mehr vertretbar.
Freilich -- auch das bisherige Verfahren, allein die Unterhausfraktion über den Parteiführer befinden zu lassen, war nicht eben demokratisch. Die Resolutionen der Labour-Kongresse konnten von den Labour-Premiers gerade mit Hinweis auf die suspekten Blockstimmen leicht ignoriert werden.
Die Linken in Partei und Gewerkschaft sind nun nach langjähriger Arbeit endlich einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die Blockstimmen auf den Parteikongressen, jahrzehntelang die Waffe der Rechten gegen eine aktivistische Parteibasis, wurde zum Hebel der radikalen »Basisdemokraten«, die sich in loser Allianz um Tony Benn scharen, um die Rechte abzuservieren.
Durch den Rücktritt von William Rodgers am vergangenen Dienstag rückte Benn ins Schattenkabinett vor.
Die ganze Macht hat die Linke damit aber immer noch nicht. Denn nicht nur in der Fraktion, sondern auch unter den Gewerkschaftsführern erhoben sich in der vergangenen Woche etliche Stimmen, die eine Revision des Parteibeschlusses von Wembley durch einen neuen Parteitag forderten.
Sollte das nicht gelingen, hätte sich eine einst große europäische Linkspartei in politischer Todessehnsucht ihr eigenes Grab geschaufelt.
Denn eine Sozialdemokratische Partei der »Viererbande« könnte optimal vielleicht ein Viertel der Wählerstimmen erreichen, aber aufgrund des englischen Mehrheitswahlrechts damit keinesfalls auch ein Viertel der Sitze. Sie könnte allenfalls hoffen, mit den wenigen Abgeordneten, die sie in direkter Wahl durchbringt, einer der beiden großen Parteien eine Koalition anzubieten.
Die alte Labour Party, total nach links abgerutscht, würde nach dem Wegbrechen des sozialdemokratischen Flügels die absolute Mehrheit wahrscheinlich nie mehr erreichen können.
Um eine solche Entwicklung zu verhindern, stellte Tony Benn der »Viererbande« vorige Woche sein Ultimatum.
»Wenn sie sich verschwören, um eine neue Partei aufzubauen«, klagte Benn, »können sie nicht hier in den höchsten Gremien der Labour Party sitzen bleiben.«
Doch der linke Parteiführer Foot blockierte den Angriff des linken Benn, wohl in der Hoffnung, die rechte »Viererbande« würde doch noch in der Partei bleiben.
Schon lockt der Sirenengesang der Liberalen: Parteiführer David Steel versprach den Sozialdemokraten »ein unbesiegbares Bündnis«, das sei »die Chance, von der wir seit Jahren träumen, um den Rahmen dieses gescheiterten politischen Systems zu sprengen«.
S.110Rodgers, Shirley Williams, Jenkins, Owen.*