Zur Ausgabe
Artikel 31 / 81

GRAF GIESE UND DER ZWIESPALT DER NATUR

Von Gerhard Mauz
aus DER SPIEGEL 43/1969

Der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Hajo Wandschneider, 44, hat es als Strafverteidiger dadurch schwer, daß er es leicht hat. Ihm sind jene Manieren eines Weitmannes eigen, die sich nicht lernen lassen. In den Verdacht, ein Intellektueller zu sein, gerät er nicht, denn seine Intelligenz macht sich reserviert bemerkbar. Für seine druckreife Rede steht ihm ein Wortschatz zur Verfügung, der den Juristen befriedigt und dennoch den Laien erreicht. Seine Stimmlage ist ein Ton, der Absicht auch dann nicht verrät, wenn Absicht am Werk ist. Und obendrein -- sieht er hervorragend aus.

Wer derart zum Strafverteidiger disponiert ist und zu allem der Sohn eines noch nicht vergessenen Strafverteidigers, weckt Widerstände, wo eine gewisse Bresthaftigkeit der Verteidigung die Gerichte nicht selten dazu anhält, den Angeklagten nicht auch noch für seinen Rechtsbeistand zu bestrafen. Herr Wandschneider hat als Strafverteidiger so gut zu sein wie der Eindruck, den er macht: Das darf man schon eine Hypothek nennen.

Herr Wandschneider ist mit seinem Problem fertiggeworden, ob es ihm je bewußt war oder nicht; und so gilt er denn heute, der peinliche Ausdruck ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen, als »Starverteidiger«. Doch in dem Zwang, sich gegen eine augenfällige Begabung zu behaupten, dürfte weiterhin die Wurzel dafür zu finden sein daß Herr Wandschneider vor Mandaten nicht zurückschreckt, die zur Quadratur des Kreises auffordern.

Im April dieses Jahres mußte vor einer Großen Strafkammer in Hamburg der Prozeß gegen Erich Bender und seine Adoptivtochter Carola abgebrochen werden, nachdem, wie man dergleichen zu umschreiben pflegt, ein »Vertrauensverhältnis« zwischen den Angeklagten und ihrem Verteidiger Goldberg »nicht mehr bestand«. Herr Wandschneider übernahm die Sache. Er entschloß sich zu einem praktisch ruinierten Fall.

Die Einlassungen der Angeklagten waren Im April in ein immer trostloseres Mißverhältnis zur Beweisaufnahme geraten. Erich Bender, 56, der Mann, der den Kinderchor des Nordwestdeutschen Rundfunks gegründet und zum Erfolg geführt hat, begegnete dem Vorwurf der Unzucht mit Abhängigen als neuer Hiob, gegen den sich Himmel und Hölle verschworen haben.

Bestreiten vor Gericht verdient aus rechtlichen und menschlichen Gründen Respekt. Doch gibt es ein Bestreiten, das die Beteiligten zuletzt zu kalter Objektivität zwingt; zu einer Objektivität, die Gerechtigkeit wie ein Fallbeil walten läßt.

Die zweite Hauptverhandlung gegen Erich Bender beginnt am Donnerstag vergangener Woche mit einem Vorteil für die Verteidigung, die allerdings Wert darauf legen muß, daß dieser Vorteil nicht ihrer Anstrengung zugeschrieben wird. Benders Adoptivtochter Carola, der Kuppelei angeklagt, ist nicht erschienen. Aus Spanien hat sie mitgeteilt, sie sei einer Erkrankung wegen nicht reisefähig. Sie hat es an den Nieren, und ein beauftragter Arzt wird sich davon überzeugen. Dem Volksmund, der schon immer viel von Psychosomatik verstand, ist bekannt, daß etwas jemand »an die Nieren geht«.

Carola Benders Ausbleiben ist ein Gewinn für die Verteidigung. Im April attackierte sie die meist gleichaltrigen Zeuginnen, die ihren Adoptivvater belasteten, wie ein Terrier. Rabiat in jener Weise, der nur Frauen untereinander fähig sein sollen, hatte sie die Gewogenheit des Gerichts überfordert; eine Gewogenheit die in keinem Paragraphen zu finden ist, die jedoch nur Tollheit meint verschmähen zu können.

Auch diesmal weiß Erich Bender Erklärungen dafür, daß sein Verhältnis zu manchen Mitgliedern seines Mädchenchors ein besonderes Verhältnis war: »Ich bin als Süddeutscher ein zärtlicher Mensch ... Hier oben kennt man das nicht so.« Die Rhein-Main-Linie ist für den geborenen Frankfurter Erich Bender offenbar ein nationaler Graben neuer Art. Doch immerhin -- Erich Bender, der sich im April nahezu als ein sexuelles Neutrum hinstellte, den in seinem Haus gefundenen Aktaufnahmen zum Trotz und ungeachtet des vielfältig belegten, »freien Tons« in seiner Umgebung, sagt nun doch vieles, was zum Verständnis beiträgt. Ja, sexuelle Dinge haben ihn beschäftigt, er hat Freude an schönen Gestalten, an Bildern, an verbalen Darstellungen von Sexuellem. Erich Bender spricht auch offen davon, daß er im Umgang mit den Chormitgliedern Fehler gemacht, sich Mißdeutungen ausgesetzt hat.

Man atmet auf, der Mann, der einen freien Ton pflegte, wagt es endlich, sich zu der Freiheit im Lebensstil zu bekennen, die er sich genommen hat und für die es schließlich auch Argumente gibt. Doch dann wird Erich Bender wieder verschwommen und spricht wie ein verspäteter Wandervogel von »Hochgefühl«, wo er von Lustgefühl reden sollte. »Also kann ich sagen, Sie haben einen sexuellen Überdruck«, muß der Vorsitzende zusammenfassen. Erich Bender Selbstverständlich.«

Der erste Vormittag des Prozesses ist eine einzige Mühe nahezu aller Beteiligten, den Angeklagten zu ermutigen. Professor Giese, einer der Sachverständigen, baut Brücken im Ackord. Doch Erich Bender weicht aus: »Es machte mir Spaß. Wenn Sie Befriedigung sagen, dann sagen Sie das schon wieder in einem besonderen Sinne Dem Angeklagten ist ein von ihm angeregter Brief seiner Adoptivtochter vorgehalten worden ("Ich freue mich, daß mein Brief an Dich eine gute Onaniervorlage war"), doch er hat halt nur »ein Hochgefühl« gehabt.

Professor Giese, er ist wahrhaftig kein leichtfertiger Fürsprecher der Angeklagten, sondern ein geprüfter Mann, den seine Sexualwissenschaft zum Gehilfen auf dem Weg zum Verständnis bestimmt: »Es sieht so aus, als ob sie sich in eine Gartenlaube zurückziehen und mit Glasperlen spielen. Und dabei ist auch noch so ein Jasminduft ...«

Der Vorsitz hat seit dem April gewechselt, der Landgerichtsdirektor Herbert Schmidt leitet die Sitzung, und an seiner Menschlichkeit kann kein Zweifel sein. Herr Schmidt hat eine lustige Neigung zu Sprüchen und Zitaten, die manchem Puristen zuwider sein mögen, die jedoch Mißverständnisse ausräumen: Ein Goethe-Zitat beispielsweise ist immer noch eine Formel, die klärt, worum es geht. Herr Schmidt beschwört den »Grafen Giese«, auf daß er ihm den Zwiespalt in der Benderschen Natur erkläre. Doch Erich Bender mag nicht über den sexuellen Überdruck hinaus, spricht von Kompensation und davon, daß er frei gesprochen, geschrieben und gelebt habe: doch ohne die Realisierungen, die nach landläufiger Erfahrung mit derartigem Sprechen, Schreiben und Leben verbunden sind.

Strafverteidiger Wandschneider hat seinem Mandanten offenkundig erklärt, auf welche Einwände er mit seinen Einlassungen rechnen muß. Wiederholt versucht er Erich Bender von der Angst zu lösen, er mache bereits Zugeständnisse hinsichtlich der Straftatbestände, um die es erst später gehen wird, wenn er hier, zur Person, freimütig spricht. Das Mißtrauen Erich Benders ist leider unüberwindlich. Und es ist diesem Mißtrauen zugute zu halten, daß unser Strafprozeß in keiner Hinsicht darauf angelegt ist, die Wahrheit zu honorieren.

Es geht nicht darum, daß einem Angeklagten die Wahrheit abgekauft oder abgehandelt werden sollte: Es geht nur darum, daß ein Angeklagter wie Erich Bender den Strafrahmen kennt, der ihn bedroht -- und mehr nicht. Wer als Berichterstatter in den Gerichten zu Haus ist, kann wahrnehmen, daß beispielsweise das Gericht in Sachen Bender die Wahrheit auch um des Angeklagten willen sucht. Der Angeklagte Erich Bender jedoch fühlt sich nur umstellt.

Die ersten Zeuginnen sind gehört worden. Ihre Tapferkeit ist imponierend. Keine von den bisher gehörten hat das Verfahren gegen Erich Bender in Gang gebracht, jede ist hineingezogen worden. Und dennoch schmähen sie den Mann nicht, dessen Verhalten ihnen gegenüber für sie einmal verwirrend war; den Mann, der für das Leben einer Zeugin eine Zäsur bedeutet, wie sie einschneidender kaum zu denken ist.

Herr Wandschneider muß so verteidigen, wie sein Mandant verteidigt zu werden wünscht. Daß es für ihn noch ein anderes Interesse des Mandanten gibt als jenes, auf das der Mandant wie hypnotisiert starrt, ist Herrn Wandschneiders Verteidigung anzumerken. Herr Wandschneider kämpft nicht nur für, sondern auch um seinen Mandanten. Der Fall Erich Bender steht im Begriff, ein Exempel zu werden. Er führt vor Augen, daß der Strafprozeß nicht nur nach der Meinung von Sektierern, sondern notwendig zur gemeinsamen Ergründung, Erörterung und Entscheidung sozialschädlicher Unfälle, Fehlentwicklungen und Krankheiten werden muß. Angst bestimmt und Taktik erzwingt den Ablauf dieses Prozesses. Es wird über einen verängstigten Menschen verhandelt, nicht mit ihm.

Zur Ausgabe
Artikel 31 / 81
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren