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STRAUSS Greißlige Henn'

aus DER SPIEGEL 13/1971

Am Montagmittag letzter Woche um halb zwölf Uhr Ortszeit meldete sich beim Deutschen Generalkonsulat in New York ein Polizist und teilte mit, gegen 2.45 Uhr sei »ein gewisser Josef Straub«, wohnhaft im Hotel Plaza, von drei Frauen, »zwei Negerinnen und einer Weißen«, überfallen, aus der rechten Gesäßtasche sei ihm ein Portemonnaie mit 180 Dollar und 300 Mark geraubt worden. »Er gab an«, so berichtete der Anrufer, der Geschädigte sei »Mitglied des deutschen Parlaments«.

Das Konsulat beschied den Polizeianrufer: »Wir wissen nicht, daß ein Abgeordneter hier ist.« Dann ließen die Konsulatsbeamten den Polizisten warten. Sie durchstöberten ihre Der gerupfte Strauß, leidgeprüft im Umgang mit sich selbst, suchte einer hämischen Mißdeutung seines New Yorker Black-and-white-Erlebnisses vorzubeugen. Wenige Stunden nach dem Vorfall beschied er den SPIEGEL: »Keine politischen Geheimnisse, kein politischer Skandal, nichts für den SPIEGEL.«

Doch dies Abwiegeln half nicht mehr, Bonn amüsierte sich auf Kosten des Bayern in New York.

Regierungssprecher Conrad Ahlers, dem die Nachricht von der jüngsten Straußiade noch am späten Montagabend von seiner Nachrichtenzentrale zugesprochen wurde, brach in Lachen aus. Straußens bayrischer Landsmann, Ernährungsminister Josef Ertl, alberte: »Mir hätte das nicht passieren können, aber ich hab« halt solche Probleme nicht.« Und SPD-Geschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewski spottete hintersinnig: »Strauß mag ein Nationalist sein, aber Rassist ist er keiner.«

Noch am Donnerstag im Bundeskabinett juxten die Minister. Helmut Schmidt: »Ich gehe davon aus, daß die Sache Strauß In New York vom BND inszeniert ist.« Horst Ehmke: »Ich freue mich darüber, daß der Verteidigungsminister einer Organisation, die dem Chef des Kanzleramtes untersieht, so etwas Gutes zutraut.«

Nur Bundeskanzler Willy Brandt zeigte Verständnis: »Man muß Mitleid haben, das kann jedem passieren.«

Es kann sicher nicht jedem passieren. Es muß aber jeder damit rechnen, Vr nachts um halb drei auf der 59. Straße (Jahresrate der Raubüberfälle in New York City: 60 000) »ein wenig Luft schnappen« (Strauß) geht. Denn, so ein Polizist des 19. Reviers: »Eine Menge Männer, die auf Reisen hier in den Hotels wohnen, gehen um drei Uhr morgens spazieren, und die Mädchen nähern sich ihnen, um sie zum Geschlechtsverkehr zu animieren. Sie würden keinerlei Geld verdienen, wenn die Herren nicht auf der Straße wären.« Eine der Straßen vor dem Plaza Hotel heißt bei New Yorks Polizei »Prostitutes Promenade«.

Franz Josef Strauß hatte das nicht gewußt. Zusammen mit seinem Duzfreund Walter Schöll, Anzeigen-Agent aus München und 1951 als Walter I. Faschingsprinz der Weißwurst-Metropole, war der CSU-Chef übers Wochenende nach New York geflogen: nach Strauß, »um Freunde zu besuchen«, nach Schöll mehr durch Zufall: »Strauß hat noch Tickets g'habt vom letzten Jahr, und die hab'n wir auf'raucht. Einen echten Zweck der Reise hat's überhaupt net geb'n.« Dagegen Strauß-Freund Friedrich Jahn, Chef des »Wienerwald«-Konzerns: »Der Franz Josef war auf Einladung amerikanischer Finanzkreise da.«

Fest steht, daß das reiselustige Duo am Sonntagabend wie von ungefähr vom Plaza-Hotel in der 59. Straße zum Times Square spaziert ist, wo Jahn, zwischen 46. und 47. Straße gerade seine fünfzehnte New Yorker

»Wienerwald«-Hähnchenbratstation« die zweite am Broadway, eröffnete. Jahn: »Das war in München so abgesprochen gewesen.«

Die feuchtfröhliche Jahn-Partie zog sich bei Harmonika-Klängen und Jodei-Gesängen nach Auskunft des Hausherrn »bis zwei« hin. Schöll will mit seinem Freund Strauß das Lokal zwischen 23 und 24 Uhr verlassen haben, weil, so Jahn, der Bayer »übermüdet« gewesen sei. Andere Wienerwald-Gäste wollen die zwei erst um halb ein Uhr »guter Stimmung« davongehen gesehen haben.

Bis dahin wohlbehalten, langten die beiden Bayern per Taxi wieder im Plaza-Hotel an und fanden auf Straußens Zimmer im zehnten Stockwerk noch eine angebrochene Flasche Whisky vor. Sie nahmen »jeder von uns drei lange Whiskys« (Schöll) und haben noch »ein Stündchen getratscht« (Strauß). Gegen zwei Uhr verabschiedete sich Schöll: »Weißt du, i geh' jetz ins Bett, i bin müd.« Strauß hingegen plagte »wegen der überhitzten Räume in New York« Bierdurst und er strebte ohne Schöll dem Hotelrestaurant zu. Dort jedoch hatten sie bereits die »Stühle auf den Tisch« (Strauß) gestellt.

Rastlos verließ der Bayer das Hotel. Was ihn auf die 59. Straße trieb, weiß nur er selbst. Daß es der unbefriedigte Bierdurst gewesen sei, bestritt er anderntags.

Einmal vor der Hoteltür, habe er sich nur noch »die Füße vertreten« wollen. Reisebegleiter Schöll: »Das macht er immer, wenn er auf Reisen ist.« Und der Strauß-Referent im Bonner Bundeshaus, Friedrich Voss, bestätigt: »Das macht er auch hier in Bonn, wenn er Gäste gehabt hat.«

Kaum war der im offenen Mantel nachtwandelnde CSU-Chef aus dem Lichtkegel der Hotelhalle entschwunden, da »habe -- so erinnert sich Strauß -- ein gelber Pkw am Bordstein gehalten, am Steuer ein »Wesen«, das er nicht näher habe identifizieren können. Ausgestiegen sei ein Negermädchen mit blonder Perücke, das Ihn mit einer eindeutigen Geste und den Worten »get in« aufgefordert habe, im Fond der Liebeskutsche Platz zu nehmen.

Strauß, bis dahin noch entschlossen, »das Ganze von der ironischen Seite« zu nehmen, wehrte ab: »Komm, Mädchen, fahr weg. Es hat keinen Zweck.« Die schwarze Freierin entschied: »Dann kann ja meine Freundin mit dir aufs Zimmer.« Sprach's und vertauschte ihren Platz an Straußens Seite mit einer weißhäutigen Gefährtin. Der gelbe Wagen, ein Ford, fuhr ab.

Strauß, nun schon wieder auf dem Rückzug zum Hoteleingang, will auch das zweite Angebot mit einem »definitely not« quittiert haben, machte gieichwohl wieder kehrt und tauchte mit dem fleißigen Lieschen in den Häuserschatten ein. Sein persönlicher Referent Voss sagt, es sei Strauß genierlich gewesen, mit der Dame am Ärmel die Hotelhalle zu betreten.

Doch während Straußens unvermittelter Wendung ins Dunkel konnte das passieren, wofür die beiden Prostituierten später beim zuständigen Criminal Court wegen »schweren Diebstahls« und »Raubes« angeklagt wurden. Strauß: »Mit raffiniertem Griff ist die mir in die Hosentasche gefahren, ich konnte mich nicht einmal so schnell umdrehen, und davon warn's.«

Im wiederaufgetauchten gelben Wagen -- für eine Auto-Runde um den Block braucht man an dieser Stelle etwa fünf bis acht Minuten -- entschwanden die Nachtschönen (Strauß: »Schnell wie Wildkatzen") mitsamt der Geldbörse, dem Führerschein, dem Impfschein und -- wie der CSU-Chef erst viel später bemerkte -- auch dem Paß, der in der Rocktasche gesteckt hatte.

Doch Strauß hatte Glück. Ein rotbärtiger Taxifahrer beobachtete den Vorfall. Noch bevor der Beraubte ins Hotel zurücktrottete, tauchte auch eine Polizeistreife mit den Beamten Donald Herlihy und Donald Hart vom 19. Revier auf.

Der Taxifahrer gab den Polizisten die Autonummer des gelben Wagens« Strauß schilderte ihnen den Tathergang und hinterließ, wo er zu erreichen sei. Dann ging er ins Bett.

Streifenführer Herlihy hatte gleich den Eindruck, der Herr aus Deutschland sei ein »sehr kooperativer Informant«. Was Franz Josef Strauß sonst noch ist, erfuhr Herlihy erst später von einem Kollegen. Herlihy: »Danach sieht er gar nicht aus. Du machst Witze.«

Von Strauß programmiert, stoppten die beiden Polizisten das gelbe Auto um vier Uhr an der Ecke Madison Avenue/60. Straße. Sie winkten den Wagen an den Straßenrand und sahen noch, wie zwei Insassen etwas im Handschuhfach versteckten. Es war Straußens Taschengeld. Weiter fanden sie unter der hinteren Sitzbank ein Steak-Messer.

Der blaue Diplomaten-Paß des Abgeordneten sowie sein Impfschein tauchten erst später wieder auf. Postbeamte hatten sie aus einem Briefkasten nahe der »Grand Central Station« geholt.

Um 4.40 Uhr identifizierte der aus dem Schlaf geholte Bayer auf dem Revier durch einen Einwegspiegel (für die Verdächtigen unsichtbar) seine Räuberinnen:

* die Prostituierte Lisa Gonzales, 27, schwarz, 1,67 Meter, 149 Pfund, Beruf: Hausfrau, Adresse: 245 West, 45. Straße (falsch), vorbestraft, Aktenzeichen A -- 5947;

* die Prostituierte Linda Philips, 23, weiß, 1,65 Meter, 104 Pfund, Beruf Tänzerin, Adresse 301 East, 73. Straße (falsch), vorbestraft, Aktenzeichen A -- 5946.

Beide -- die dritte Person Im Auto wurde nicht gefaßt -- gaben kund, nicht sie hätten Strauß, sondern Strauß habe sie angesprochen, eine Einlassung, die Strauß energisch zurückwies. Die beiden Frauen seien zutiefst unglaubwürdig.

Strauß-Freund Schöll, den der Spätheimkehrer Strauß morgens zwischen sechs und 6.30 Uhr aufweckte, mußte sich »noch ganz schlaftrunken« (Schöll) die Leidensgeschichte des Franz Josef anhören. Nach seiner Erinnerung scheide ein körperliches Interesse des CSU-Mannes an den beiden Damen aus. Er habe sich allenfalls von der Behendigkeit der Diebin beeindruckt gezeigt, nicht aber von ihren körperlichen Vorzügen.

Strauß laut Schöll: »Stell dir vor, daß einem so a dürre, greißlige Henn', die weit unter einem Zentner wiegt, was tun könnt.«

Daß es dem Reisegefährten Strauß zu jener Nachtstunde vorübergehend an dem notwendigen Unterscheidungsvermögen gefehlt haben könnte, schließt Schöll aus: »Wir waren beide mehr der Sinne mächtig als notwendig.«

Auch Freund Jahn hält einen unbedachten Schritt seines Wienerwald-Ehrengastes für ausgeschlossen. Nach einer Unterredung mit ihm am nächsten Mittag zeigte er Verständnis für Straußens Abneigung gegen die beiden Damen: »Man weiß ja nie, ob die krank sind.«

Der Geprellte selber schwankte am Morgen nach der Tat im Urteil über die Zweckmäßigkeit seines nächtlichen Verhaltens. Strauß einerseits: »Wenn ich das nur ernst genommen hätte, wenn ich einmal hingelangt hätte, wären die vier Wochen ohnmächtig gewesen.« Strauß andererseits: »Ich werde ja häufiger mal von solchen Mädchen angesprochen, doch nie bin ich so behandelt worden, nachdem ich nein gesagt hatte.« Merke: »Wenn Ich das Angebot angenommen und nicht nein gesagt hätte, wäre es anders glaufen.« Daheim in München fand der deutsche Law-and-order-Politiker wieder Tritt. Seine CSU-Landesleitung ließ verlauten, im Hintergrund des »unglücklichen Eventments« (Referent Voss) stehe die zunehmende Rauschgiftsucht in den USA: »Wir sollten aus den schlechten Erfahrungen der Amerikaner die Lehren ziehen und der Kriminalisierung durch Rauschgift Einhalt gebieten, solange noch Zeit dazu ist.«

Die beiden New Yorkerinnen mußten unterdessen, weil sie die festgesetzte Kaution von 2500 Dollar pro Kopf nicht aufbringen konnten, in die Besserungsanstalt für Frauen einziehen. Aus ihrer Zelle im siebten Stock des »Women's House of Detention« ließen Lisa und Linda sagen: »Am Mittwoch packen wir aus.«

An diesem Mittwoch soll ihr Fall erstmals vor dem Criminal Court verhandelt werden. Voraussichtlich im Juni müßte Strauß selbst als Zeuge vor Gericht auftreten. Kommt er nicht, könnte die Anklage fallengelassen werden.

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