»Gremien voller Gremlins«
SPIEGEL: Soll man Sie zum Abbruch Ihrer Verhandlungen mit der ARD eher bedauern oder beglückwünschen, Herr Jauch?
Jauch: Sie treffen mich in einem eher traurigen Gemütszustand an. Und auch wenn ich jetzt eine gewisse Erleichterung spüre, bedaure ich doch sehr, die geplante Talk-Sendung nicht machen zu können. Dafür hatte ich mich wirklich ins Zeug gelegt.
SPIEGEL: Wann genau haben Sie sich entschieden, die monatelangen Verhandlungen zu beenden?
Jauch: Das war ein schleichender Prozess, der sich länger hinzog. Ich hatte mir kurz vor Weihnachten noch eine Bedenkzeit erbeten, die mir gewährt wurde. In dieser Zeit habe ich mit vielen befreundeten Fachleuten gesprochen, die die ARD auch intern kennen ...
SPIEGEL: ... unter anderem Loriot ...
Jauch: ... der sicher der glühendste Fürsprecher war, dass ich einen Vertrag mit der ARD abschließe. Loriot meinte mit dem ihm eigenen Charme, man solle erst mal unterschreiben und sich dann nicht dran halten. Eine fabelhafte Idee, die ich jetzt nur noch für mich behalten muss.
SPIEGEL: Was gab trotz solch wohlmeinender Tipps letztlich den Ausschlag, dass Sie der ARD den Laufpass gaben?
Jauch: Mein berufliches Interesse bezog sich ja nur auf die geplante Talk-Sendung am Sonntagabend nach dem »Tatort«. Mehr und mehr zeigte sich dann, dass die ARD mich journalistisch mit Haut und Haaren vereinnahmen wollte. Außerdem sollten plötzlich noch die Zuständigkeiten gravierend geändert werden.
SPIEGEL: »Sabine Christiansen« läuft bislang als Unterhaltungsformat unter Führung des NDR.
Jauch: Eben. Meine Talkshow sollte in den Bereich Information wechseln. Das hätte bedeutet, dass sich regelmäßig zehn ARD-Chefredakteure über jeden Satz von mir oder meinen Gästen gebeugt hätten. Da wäre die Gefahr doch enorm geworden, dass in meine tägliche Arbeit sehr unterschiedliche Meinungen eingeflossen wären - um es vorsichtig zu formulieren.
SPIEGEL: Wozu noch die Vorsicht?
Jauch: Ach, ich wäre da nur noch hin- und hergeschubst worden als Spielball aller möglichen absurden Interessen, die ich im Zweifel nicht mal durchschaue. Diese politischen Grabenkämpfe! Ich bin als Journalist freies und unabhängiges Arbeiten gewohnt.
SPIEGEL: Wäre im Falle eines TV-Stars wie Ihnen der Druck von oben wirklich so eine Bedrohung gewesen?
Jauch: Ich hatte am Ende das Gefühl, dass man mich an möglichst kurzer Leine um die Anstalt rennen lassen wollte. Jeder drittklassige Bedenkenträger schlug ein anderes Pflöckchen in den Boden. Jeder hatte eine Meinung - im Zweifel eine unfreundliche. Mir war natürlich klar, dass die Rundfunkräte als Kontrollorgan ein scharfes Auge auf meinen Vertrag haben würden. Aber dass monatelang jede Woche Gremien voller Gremlins der Verführung nachgeben würden, mit meinem
Namen auch mal den eigenen in der Zeitung zu lesen - das war schon anstrengend. Ich gebe auch zu, dass ich die Zahl der Profilneurotiker, die selbst gestandenen Intendanten das Leben schwer machen können, unterschätzt habe.
SPIEGEL: Die Debatte um Ihre Person hat Sie wirklich überrascht?
Jauch: Am Anfang war es ja noch einfach, weil diese Irrlichter mit ihren Zwischenrufen weit hinter dem aktuellen Stand meiner Vertragsverhandlungen herhechelten. Diesen Wichtigtuern ging es meist um zwei Punkte: dass ich angeblich zu viel Geld koste und dass ich mit meinen Werbeengagements nicht dem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen könnte. Beide Felder hatte ich mit der ARD schon nach wenigen Tagen abgehakt.
SPIEGEL: Inwiefern?
Jauch: Die bis dahin übliche Honorierung im Falle von Sabine Christiansen habe ich im Wesentlichen akzeptiert. Meine Werbeverträge habe ich samt und sonders auslaufen lassen oder gekündigt sowie alle neuen Anfragen abschlägig beschieden - übrigens ohne irgendeine vertragliche Verpflichtung. Die wäre für mich auch nicht in Frage gekommen. Ich hatte aber eben auch Verständnis für die Sensibilitäten der anderen Seite. Insofern war die ARD der teuerste Flirt meines Lebens. Die Dame ist noch immer attraktiv - aber bei näherem Hinsehen doch sehr kapriziös und zudem von Hunderten von Gremien-Grummlern umstellt, die ihr nur zu gern in die Parade fahren.
SPIEGEL: Eine selbsternannte »Mediennutte« wie Harald Schmidt wollten Sie dann doch nicht werden?
Jauch: Auch mit Schmidt habe ich lange gesprochen. Sein eigener Vertrag wurde einst von der ARD-Tochterfirma Degeto an allen Gremien vorbei verhandelt ...
SPIEGEL: ... was doch zu Recht kritisiert wurde.
Jauch: Mag sein. Aber ARD-intern heißt der Schmidt-Deal nur noch »Der Sündenfall«. Da wurde mir klar, dass von meinem eigenen Vertrag auch die letzte Fußnote vorab öffentlich ausgeweidet werden würde.
SPIEGEL: Es geht eben um Gebührengelder.
Jauch: Das Argument wird von etlichen Bedenkenträgern und Heckenschützen auch gern missbraucht.
SPIEGEL: Wie konnten Sie trotzdem so lange die Hoffnung haben, dass die Verhandlungen erfolgreich sein würden?
Jauch: Meine Gesprächspartner waren die ARD-Intendanten Jobst Plog vom NDR und Fritz Pleitgen vom WDR sowie Programmchef Günter Struve. Alle drei drehen zurzeit ihre letzten Runden vor der Pensionierung. So unabhängig, souverän und angstfrei wie die ist niemand sonst im Ersten. Wer also, wenn nicht die?, dachte ich.
SPIEGEL: Selbst dieses Trio also konnte sich gegen das eigene Haus nicht durchsetzen?
Jauch: Die Begleitumstände waren auch mehr als schwierig: immer neue Schleichwerbeskandale, der Ärger um die Nebengeschäfte des ARD-Sportkoordinators Hagen Boßdorf inklusive der dubiosen Verträge mit Jan Ullrich, das Reklameengagement von Leuten wie Reinhold Beckmann. All das ließ die zweite und dritte Reihe der ARD immer kleinmütiger werden. Am Ende geriet ich noch in die Intendantenwahlkämpfe von SWR und WDR. Für mich persönlich ist das Wort des Jahres 2006 »Gremienvorbehalt«.
SPIEGEL: Stimmt es, dass Ihr Vertrag eigentlich unterschriftsreif war?
Jauch: Ja, für beide Seiten. Aber dann kamen immer neue Nachforderungen - zuletzt der Wunsch, eine zweite ARD-Sendung zu machen, von der aber niemand auch nur im Ansatz wusste, wie sie hätte aussehen sollen. Pleitgen, Plog und Struve sind zuverlässige Männer, die zu ihrem Wort stehen. Das sind Platzhirsche, die sich zur Not auch allein auf die Lichtung wagen und ihrem Rudel zeigen, wer Herr im Haus ist. Aber das nachgeordnete Niederwild reißt mit dem Hintern ein, was die Chefs mit dem Kopf gerade erst aufgebaut haben.
SPIEGEL: Konkreter bitte!
Jauch: Ich musste zum Beispiel eine lächerliche Diskussion um die Archivöffnungszeiten der ARD führen. Da sollte ich für eine aktuelle Sonntagabendsendung akzeptieren, dass ab Freitagnachmittag wegen fehlender Planstellen kein Filmmaterial mehr abrufbar sei. So absurde Probleme werden zwar mit einem Anruf von ganz oben gelöst, erklären aber zugleich die innere Verfasstheit des Systems.
SPIEGEL: Klingt, als seien Sie schon vor dem Bruch mehrfach drauf und dran gewesen, der ARD den Krempel hinzuschmeißen.
Jauch: Es war mühsam. Ursprünglich wollten wir ja im September schon fertig sein. Irgendwann wurde mir dann klar, dass das keine normalen Geburtswehen sind, wie mir Herr Struve versprochen hatte - eher die Aussicht auf eine Fehlgeburt.
SPIEGEL: Sie begannen Ihre Karriere einst beim BR und wechselten später zum ZDF, kennen also die Skurrilitäten der Öffentlich-Rechtlichen. Haben sich die Sender in all den Jahren verändert?
Jauch: Ich hätte gedacht, dass sich das System weiterentwickelt. Aber ich sollte bei der ARD unter Aufsicht gestellt werden wie in grauer Vorzeit. Ich wollte das Talk-Format ja nicht nur verwalten, sondern gestalten. Inzwischen weiß ich jedenfalls: Auch RTL ist eine attraktive Frau, manchmal mit etwas zu knappem Rock oder zu viel Rouge auf den Wangen. Aber die lässt mich wenigstens frei arbeiten.
SPIEGEL: Ihr bisheriger Heimatsender hat Ihren Seitensprung gefasst begleitet?
Jauch: RTL war nicht amüsiert, aber ließ mich gehen. Der Sender zeigte Grandezza ...
SPIEGEL: ... und hat finanziell nachgelegt?
Jauch: Nein. An meiner Tätigkeit für RTL wird sich auch nichts ändern, weder was »Stern TV« angeht noch »Wer wird Millionär?« Da kann ich aber auch von heute auf morgen aussteigen. Ich habe mir immer die Freiheit erhalten, dahin gehen zu können, wo ich hin möchte. Das hat RTL ertragen. Das verdient meinen Respekt.
SPIEGEL: Was wird aus Ihrer Talkshow-Idee?
Jauch: Nichts. Das Projekt war auf den Sendetermin Sonntag, 21.45 Uhr, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fixiert. Das Thema ist abgehakt.
SPIEGEL: Nach Ihrer Absage zerfleischen sich die ARD-Oberen nun gegenseitig ...
Jauch: ... was ich nicht weiter kommentieren möchte. Aber das könnte ein weiteres Indiz für die Systemfehler sein.
SPIEGEL: Ist das ARD-Debakel auch für Sie eine Niederlage?
Jauch: Für beide Seiten, denke ich. Keiner der Beteiligten konnte seine Ziele erreichen. Auch ich habe verloren.
SPIEGEL: Sie könnten sich jetzt mit neuen Werbeverträgen trösten.
Jauch: (lacht) So schnell falle ich nun auch nicht unter die Armutsgrenze.
INTERVIEW: THOMAS TUMA