STRAFVOLLZUG Grenze überschritten
An einem Herbstabend im vergangenen Jahr, es war der 21. September, kamen am S-Bahnhof in Hamburg-Ohlsdorf zwei Männer wie zufällig ins Gespräch. Der eine war Chef der Sicherheitsgruppe in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, der andere ein Drogentäter -- und beurlaubter Insasse des gleichen Hauses. Die Kripo schaute aus Distanz zu.
Elf Tage später, am 2. Oktober, schlug der Sicherheitsbeamte mit seiner Truppe los. Auf dem Weg zur Essenausgabe schnappten sich die Vollzugs-Fahnder den Häftling Klaus-Peter Teichmann
( Name von der Redaktion geändert )
und fanden in dessen Unterhose, was sie gesucht hatten: einen Briefumschlag mit 17 Portionen Haschisch. Alltag im Knast, wie es schien.
Doch als Teichmann vergangene Woche in Hamburg vor Gericht stand, wandelte sich, was wie eine Routineverhandlung aussah, zu einem Skandalprozeß, der geeignet ist, den Strafvollzug ins Zwielicht zu bringen: Nicht der Angeklagte geriet in Bedrängnis, sondern seine Häscher. Der Stoff war Teichmann offenbar untergeschoben worden.
Nach drei Verhandlungstagen sprach Richter Rüdiger Göbel den Beschuldigten frei und warf der S-Gruppe und deren Chef Klaus Rettinger »Ungeheuerlichkeiten« vor, »die diesem Gericht so noch nicht untergekommen sind«. Göbel: »Die Grenze zur Falschaussage ist überschritten.«
Denn offenbar wurde vor dem Amtsgericht Hamburg, daß im westdeutschen Strafvollzug möglich ist, was sonst nur, via TV, in den Straßen von San Francisco oder Szenen aus Alcatraz gezeigt wird: Beamte, die drogenabhängige Häftlinge als V-Leute dingen, Unschuldige, denen Rauschgift eingeschmuggelt wird, Vernichtung von Beweismitteln und womöglich Meineid.
Dabei klang es zunächst wie eine typische Schutzbehauptung, als der Angeklagte bekundete, er habe das Drogen-Kuvert von einem anderen Häftling zur Aufbewahrung erhalten. Erst später, lange nachdem er erwischt worden war, sei ihm klargeworden, daß er einem V-Mann der Sicherheitsgruppe aufgesessen sei.
Doch als er auch den Namen seines Knast-Kollegen, Gerhard Mökel,
( Name von der Redaktion geändert )
verriet, wurde das Gericht hellhörig. Mökel war jener Mann, mit dem sich der Sicherheitsbeamte Rettinger am Ohlsdorfer Bahnhof getroffen hatte, kurz bevor Teichmann erwischt wurde.
Plötzlich schien gar nicht mehr so abwegig, daß im unheilvollen Beziehungsgeflecht zwischen inhaftierten Drogenabhängigen und Vollzugsbeamten Verrat und Unmoral gedeihen; daß sich, wie der gerade geschaßte Fuhlsbütteler Gefängnisbeirat und Pastor Ulfrid Kleinert (SPIEGEL 23/1980) kritisiert hatte, »eine willkürliche Herrschaft des Sicherheitsinspektors in der Anstalt ausbreitet«.
Zwar stritt Mökel sogleich ab, das Corpus delicti an Teichmann gegeben zu haben. Doch die Art und Weise, mit der die Beamten mit dem einzigen Beweisstück umgingen und wie sie sich in Widersprüche um dieses Indiz verstrickten, drängte dem Richter das Gegenteil auf.
Mal behauptete ein Rettinger-Mitarbeiter, der Umschlag sei verschlossen gewesen, mal wieder, man habe ihn schon geöffnet bei Teichmann vorgefunden. S-Gruppen-Chef Rettinger hatte das brisante Beweisstück, an dem sich womöglich Fingerabdrücke gefunden hätten, überhaupt nicht in Augenschein genommen.
Ein Beamter gab an, er habe das Kuvert »aus hygienischen Gründen« weggeworfen und ein neues Papier mit der Aufschrift »Originalumschlag« zu den Asservaten gegeben -- eine »dummerhafte« Ausrede, wie Richter Göbel das Unterschlagen des Beweisstückes nannte, und »ungeheure Dreistigkeit«.
Sowenig wie seine Mitarbeiter diente auch Sicherheitschef Rettinger der Wahrheitsfindung. Erst bei seiner zweiten Aussage fiel ihm das Treffen mit Mökel wieder ein; beim erstenmal hatte er den »höchst ungewöhnlichen Vorgang« (so Anstaltsleiter Heinz-Dietrich Stark) gar nicht erwähnt. Die Begegnung am Bahnhof sei allerdings ergebnislos verlaufen. Mökel habe »nur Plünnkram« erzählt und gelte daher auch nicht als V-Mann.
Daß, im Gegenteil, der drogenabhängige Mökel ein leicht erpreßbarer Handlanger Rettingers war und sich mit Informationen über Mitgefangene das Wohlwollen der Beamten einhandelte, bezeugte Anstaltsleiter Stark dem Gericht. Nachdem Teichmann mit dem Haschisch in der Hose erwischt worden sei, habe Starks Stellvertreter Jürgen Schmude erklärt, daß Sicherheitschef Rettinger den Hinweis auf Teichmann von Mökel erhalten habe.
Eine Verwaltungsangestellte bestätigte Starks Aussage. Auch ihr habe Schmude berichtet, V-Mann Mökel habe bei dem Treffen am Ohlsdorfer Bahnhof Teichmanns Namen genannt.
Zwar leugneten Rettinger und seine Mitarbeiter beharrlich, daß Mökel ihr Informant gewesen sei; selbst dann noch, als Richter Göbel sie eindringlich darauf hinwies, daß »das Strafmaß wegen Falschaussage reduziert werden kann«, wenn ein Zeuge noch innerhalb einer Verhandlung seine Aussage widerrufe -- ohne Erfolg. »Das kommt mir«, urteilte Göbel, »alles so auswendig gelernt vor.«
Der Richter verwarf die Aussagen der Sicherheitstruppe als unglaubwürdig, sprach den Häftling Teichmann frei und bedauerte, daß er in vorhergegangenen Verfahren zwei von Rettinger belastete Drogen-Delinquenten verurteilt hatte.
Daß der Sicherheitsinspektor Rettinger demnächst selbst vor Gericht stehen muß, stand für Göbel außer Zweifel: Die »Überprüfung seiner Glaubwürdigkeit beziehungsweise Falschaussage«, so des Richters Resümee, »wird Gegenstand einer anderen Verhandlung sein«. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Meineids.
S.98Name von der Redaktion geändert*Name von der Redaktion geändert*