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IRAN Grenzen verwischt

Nun läßt Chomeini nicht nur Schah-Freunde, sondern auch Homosexuelle an die Wand stellen. Auch darin sehen viele Iraner einen Akt der Befreiung.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Oberst: »Mußt du immer wieder Soldaten bumsen?«

Leutnant: »Ehrenwort, es passiert nicht wieder.«

Oberst: »Du hast dein Versprechen schon ein dutzendmal gebrochen. Warum heiratest du nicht? Dann kannst du mit deiner Frau dasselbe machen.«

Leutnant: »Sobald ich Geld habe, werde ich heiraten,«

So war's in der iranischen Armee, bevor Ajatollah Chomeini an die Macht kam. Das ist wenigstens die Meinung des angesehenen iranischen Schriftstellers Resa Baraheni, der diesen Dialog selbst mit angehört hat und in seinem Buch »The Crowned Cannibals« wiedergibt.

Mögen Personen, die den gleichgeschlechtlichen Sexualverkehr pflegen, unter der Regentschaft des Schah wenigstens noch mit dem Leben davongekommen sein -- im revolutionären Fegefeuer des Schiitenführers Chomeini haben sie keine Chance mehr.

Unter den über 250 »Korrupten dieser Erde«, ehemaligen Schah-Anhängern und »konterrevolutionären Verbrechern«, die ihr Leben vor den Erschießungskommandos der Revolutionskomitees beenden mußten, befinden sich immer mehr auch Delinquenten, die wegen Sexualverbrechen angeklagt waren -- meist wegen homosexueller Vergewaltigung.

Vorletzte Woche ließ zum Beispiel Teherans »Revolutionäres Tribunal« zwei homosexuelle Vergewaltiger erschießen, unter dem Verdikt, sie beleidigten das öffentliche Gefühl für Anstand.

Als Chomeini neben dem Alkohol auch die Prostitution verbot, als neben den Schnapsläden auch Bordelle in Flammen aufgingen, handelten die Täter nach dem islamischen Grundgebot, daß »der Mann sich nur von der Weiblichkeit erobern lassen« dürfe.

Alle anderen Formen der Verwirklichung sexueller Wünsche widersprechen nach der Lehre des Islam »der Natur und stehen der Harmonie der Geschlechter unvereinbar gegenüber«. »Gott hat alle verflucht«, zürnte Chomeini, »die die Grenzen auf dieser Erde verwischen wollen.«

Der Homosexuelle verfällt nach dieser Lehre schwerster Verdammung. Er steht auf der gleichen Stufe mit dem Ehebrecher, der Koran empfiehlt gegen ihn die »schrecklichsten Züchtigungen«.

Und »die Homosexualität umfaßt alle Formen sexueller Perversionen«, so die Definition Chomeinis, die der islamischen Tradition entspricht. Danach fallen vier Arten von Menschen unter den Fluch Gottes: Männer, die sich zu Frauen machen, Frauen, die sich zu Männern machen, Männer, die mit Männern, und Männer, die mit Tieren geschlechtlich verkehren.

Solche Sexualbräuche waren freilich in der islamischen Welt trotz aller Strafdrohungen schon von alters her besonders stark verbreitet.

So besang schon Hafis, Persiens berühmtester Dichter, in zahlreichen seiner Werke die Liebesbeziehungen junger Männer, denen der Bart noch nicht sprießt, mit ausgewachsenen Mannsbildern, die in der Welt etwas darstellen.

Auf den aktiven Teil eines homosexuellen Paares fällt in der Vorstellung der Gesellschaft keine Schande, nur auf den passiven, überwältigten. Aus manchem Ort muß die ganze Familie wegziehen, wenn bekannt wird, daß sich einer der Söhne homosexuell mißbrauchen ließ.

In der homosexuellen Vergewaltigung sehen vor allem die Iraner einen Akt von Unterdrückung. Gehörte es doch zum Standard-Repertoire der Savak-Folterer, ihren Opfern die Hosen herunterzureißen und sie zu vergewaltigen oder ihnen dieses wenigstens anzudrohen.

Wer homosexuell ist, einen anderen also aktiv demütigt, oder die eigene Schande passiv erduldet, der hat, so das Volksempfinden, Verachtung und Strafe verdient. Die Hinrichtung homosexueller Vergewaltiger wurde für sie ein Akt politischer Befreiung.

Grund für den Widerspruch zwischen dem religiösen Verbot und der freieren Praxis im Orient: Frauen waren und sind ohne Heirat für liebesdurstige Männer schwer erreichbar, eine Prostituierte, die im Persien des Schah im Massengeschäft 4,50 Mark pro Gunsterweis nahm, war nicht jedermanns Geschmack.

Auch hatte durchaus nicht jeder Ort Damen in wünschenswerter Zahl zur Verfügung. Im Kurdengebiet, in Kermanschah zum Beispiel, fuhren deutsche Monteure ihre iranischen Arbeitskollegen mit Lastwagen zu den Hütten der wenigen Gunstgewerblerinnen.

»Die saßen dann da, auf dem Boden, schweigend, wie beim Zahnarzt«, erzählte einer, »und warteten, bis sie an der Reihe waren.«

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