»Grenzenloses Erstaunen, tiefe Betroffenheit«
»Die Zeit":
Die Kollision bahnte sich an, als der Bundeskanzler am Wochenende in seiner Hamburger Wohnung ein Vorausexemplar des SPIEGEL erhielt, der erstaunliche Erwägungen für eine größere Teilhabe des Bundespräsidenten an den politischen Entscheidungen in Bonn veröffentlichte. Die Darstellung beruht auf einem Gespräch des SPIEGEL mit dem Chef des Präsidialamtes, Staatssekretär Paul Frank, das schon fünf Wochen zurückliegt, aber erst jetzt mit vielen Zitaten ausgewertet worden ist. Am Montag früh breitete. sich in Bonn sogleich die Gewißheit einer heraufziehenden Krise aus. Im Kanzleramt herrschte grenzenloses Erstaunen, in der FDP-Führung tiefe Betroffenheit. Der Staatssekretär bot seinen Rücktritt an.
»Süddeutsche Zeitung":
Wer am Montag nach seiner SPIEGEL-Lektüre die Fernsehnachrichten sah, mußte sich die Augen reiben. Soll an der Affäre um den Bundespräsidenten und seinen Staatssekretär wirklich nichts Ernstes gewesen sein? Daß das Informationssystem Fernsehen ohnehin an geringer Tiefenschärfe leidet, ist bekannt. Aber müssen die beiden Bonner Platzhirsche der zwei Programme, müssen Hans-Joachim Reiche und Friedrich Nowottny sieh zusätzlich noch in der Kunst des Abwiegelns üben? Für Reiche schrumpfte der Fall Scheel/ Frank zu einem neuerlichen Beweis journalistischer Indiskretion -- als ob Frank mit dem SPIEGEL zu anderen Zwecken gesprochen habe, als seine Ansichten unter die Leute zu bringen. Nowottny erweckte den Eindruck, als empfänden alle Parteien die SPIEGEL-Veröffentlichung und nicht etwa die Ansichten des Präsidenten als störend. Wenn das Fernsehen schon nicht immer kritisch zu informieren vermag, so sollten seine Protagonisten wenigstens nicht versuchen, mit Angriffen auf schreibende Journalisten über ihr Defizit hinwegzutäuschen. »Frankfurter Rundschau":
Es gibt keinen Grund, die Aussage der SPIEGEL-Redaktion zu bezweifeln, wonach sämtliche dem Staatssekretär Paul Frank zugeschriebenen wörtlichen Zitate des umstrittenen Artikels korrekt seien. Denn wer die Materie einigermaßen kennt und nachliest, was Walter Scheel selbst zur Frage seiner Amtsbefugnisse bisher gesagt hat, findet das alles nicht neu. Aber auch der Chef des Bundespräsidialamtes ist nicht zu widerlegen, wenn er sich »auf das entschiedenste« von der »Tendenz« des Artikels distanziert, weil er eben keineswegs dafür eintrete, »die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten auf Kosten anderer Verfassungsorgane zu erweitern«. Paul Frank ist ein Fuchs und ein unbestechlicher Jurist dazu. Er argumentiert, daß die Rechte, die sein Herr und Meister in Anspruch nehme, diesem nach der Verfassung zustünden und es nicht sein Fehler sei, wenn sich andere darüber ärgerten, weil sich Scheels Vorgänger mit weniger zufriedengegeben hätten.
»Stuttgarter Zeitung":
In der halbherzigen Erklärung aus dem Präsidialamt distanziert sich Scheels Frank »auf das entschiedenste« nur von einer »Tendenz«, die im SPIEGEL-Gesprächsbericht gar nicht die entscheidende Rolle spielte. Er trete nicht dafür ein, so Frank jetzt, die verfassungsrechtlichen Kompetenzen des Bundespräsidenten auf Kosten anderer Verfassungsorgane zu erweitern, Wer es für die Tendenz des Berichts gehalten hatte, daß Frank und mit ihm Scheel die verfassungspolitischen Möglichkeiten des Amtes weiter ausdehnen möchten und daß beide sich über die »Enthaltsamkeit« ihrer Vorgänger in solchen Fragen eher mokieren, darf weiterhin annehmen, daß der Mann in der Villa Hammerschmidt Ambitionen hat, die mindestens auf einen Bruch mit der in 30 Jahren eingependelten Rollenverteilung zwischen den obersten Verfassungsorganen hinausliefen.