GRENZSCHUTZ
Abgesehen von der Stellungnahme des Herrn Helmut Schmidt gehen die Äußerungen am Kern der Dinge vorbei. Die Herren Powell, Miksche und vor allen Ruge haben die entscheidenden Punkte meines Artikels offenbar übersehen - oder nicht begriffen. Ich präsentiere sie ihnen daher noch einmal in aller Kürze:
1. Ein mit Massen an Menschen und Material geführter, als solcher schon in der Vorbereitung klar erkennbarer Großangriff der Roten Armee zwischen Ostsee und Alpen, das heißt eine echte Aggression des Ostens gegen die Bundesrepublik, beziehungsweise Westeuropa, ist in Anbetracht des für die UdSSR damit verbundenen geradezu ungeheuerlichen atomaren Risikos seit vielen Jahren völlig ausgeschlossen.
2. Denkbar dagegen, wenn auch angesichts der Gefahr einer Eskalation zum Atomkrieg höchst unwahrscheinlich, sind wirkliche Überraschungsaktionen konventionell bewaffneter Truppen des Ostblocks gegen Westdeutschland. Die hierfür in Betracht kommenden Kräfte sind jedoch, wie in meinem Artikel eingehend dargelegt, relativ schwach und können somit nur gegen Nahziele im ostwärtigen Grenzgebiet der Bundesrepublik angesetzt werden.
3. Die Nato und in ihr die Bundeswehr sehen - zumindest offiziell - ihre Aufgabe noch heute in der »Verteidigung« gegen das Phantom der »russischen Dampfwalze«. Demgegenüber ist die unmittelbare, ständige und wirksame Sicherung der Ostgrenze der Bundesrepublik gegen die in Ziffer zwei geschilderte Möglichkeit überraschender Zugriffe der anderen Seite bisher sträflich vernachlässigt worden. Grenze und Grenzraum liegen praktisch schutzlos da.
4. Ich fordere die Abkehr von einer nicht nur in meinen Augen sinnlosen »Verteidigungs«-Konzeption und die Umstellung der Bundeswehr auf den allein sinnvollen Auftrag eines wirklichen Grenzschutzes, der die Bundesrepublik nicht, wie zum Beispiel Herr Miksche merkwürdigerweise annimmt, gegen eine imaginäre Großoffensive der Roten Armee »verteidigen« soll, sondern nur das eine Ziel hat, etwaige Überraschungsaktionen schwächerer Kräfte der Gegenseite mit höchster Wahrscheinlichkeit schnellstens zum Scheitern zu bringen.
5. Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, daß das Vorhandensein unzähliger amerikanischer Atomwaffen auf unserem Territorium gleichbedeutend mit sofortiger totaler Vernichtung Westdeutschlands im massierten Feuer sowjetischer Kernwaffen ist, wenn es jemals zum Atomkrieg zwischen den beiden Weltmächten USA und UdSSR kommen sollte. Eine von Atomwaffen freie
Bundesrepublik dagegen hätte in einem solchen Falle zumindest eine Chance des Überlebens.
Ich glaube, daß die Entwicklung der Interkontinentalraketen und anderer weitreichender Fernlenkwaffen die hier in Massen stationierten sogenannten taktischen A-Waffen der USA längst überflüssig gemacht hat. Denn nicht sie, die schlagartig auszuschalten sind, sondern das unverwundbare, weil verbunkerte und auf hoher See schwimmende Atompotential der Vereinigten Staaten bildet das abschreckende Moment für Moskau, sich auf keinen Fall auf ein kriegerisches Abenteuer in Europa mit wahrscheinlich fürchterlichem Ausgang einzulassen. Ich bin überzeugt, daß der von mir geforderte Abzug sämtlicher A-Waffen aus der Bundesrepublik unsere Sicherheit nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil ganz entscheidend erhöht.
Wir sollten endlich Schluß machen mit dem im atomaren Zeitalter wirklich nur noch albern und kindisch wirkenden Märchen von der ständigen Bedrohung Westdeutschlands durch einen im Stil von Weltkrieg-II-Offensiven geführten Großangriff der Roten Armee. Und uns statt dessen auf das Nächstliegende besinnen und endlich der Bundeswehr einen vernünftigen Auftrag zuweisen!
Hannover BOGISLAW VON BONIN
von Bonin