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GESELLSCHAFT / FRAUEN Grete im Wunderland

aus DER SPIEGEL 52/1966

Ein Millionenheer von gelackten Robotern rückt alljährlich, von Weihnachtsgeld, Zweck-Gespartem, 13. Monatsgehalt und festlichen Kreditkäufern rhythmisch beflügelt, bei »Stille Nacht, heilige Nacht« und »O du fröhliche« in Deutschlands Küchen, Stuben und Keller ein.

Den 19 Millionen deutschen Hausfrauen winkt das Glück einer, trotz Weihnachtsglanz und -gans, ungestörten Festtagsmuße - und droht das Unbehagen eines sinnentleerten, verödeten Daseins.

620 000 vollautomatische Waschmaschinen und rund 150 000 Geschirrspüler schüttete die Elektro-Industrie allein in diesem Jahr auf den Markt. Der Abwaschroboter - er steht schon in rund 200 000 Haushalten - verschafft der deutschen Hausfrau eine Zeitersparnis von jährlich 244 Arbeitsstunden.

In 14 Prozent aller Wohnungen und über der Hälfte aller 1964 gebauten Wohnungen Westdeutschlands verrichten thermostatgesteuerte Öl-, Gas-, Elektro- und Fern-Heizer das, was vor kurzem noch über Kellertreppen keuchende Hausfrauen verrichten mußten.

Nicht zu errechnen sind die Arbeitsstunden, welche die Industrie den Hausfrauen abnimmt, indem sie ihnen die geputzte Möhre, topfbereit den Rotkohl, das vorgefertigte Kartoffelmus, den tiefgekühlten Nachtisch, die tranchierte Weihnachtsente, cellophanverpackt und nur noch des Wärmens bedürftig, in die Küche liefert.

Jede fünfte Frau in der Bundesrepublik besitzt einen Führerschein. Vielen erspart der Familien- oder Zweitwagen den päckchenbeladenen Fußmarsch zwischen Kaufhaus und Haus.

Doch am Horizont der neuen Freiheit von Spülen und Schrubben, Waschen und Wischen, Kochen, Kohlentragen und Kaufen erscheinen gespensterhaft noch und kaum erkannt neue Gefahren, deren Umfang und Inhalt von Frauenärzten und Soziologen, Psychiatern und Seelsorgern erst an Hand dramatischer Erscheinungen, wie der Zunahme von Suchtkrankheiten und Frauen-Neurosen, an Hand der Deformationen des Geschlechterverhältnisses erkundet werden müssen.

Von Homer bis Hebbel, vom heiligen

Augustin bis August Strindberg begriff der Mann die Frau als ein Problem der Liebesbeziehung und der Fortpflanzung des eigenen Namens.

Was immer die Jakobs, die Romeos, die Hermanns und Holofernes bewegte, um ihre Rachels, Julias, Dorotheas und Judiths zweimal sieben Jahre zu dienen, Krieg, Flucht und Gefahren zu ertragen, im Grunde war es immer ihre Schönheit und allenfalls ihre Fruchtbarkeit, und die hatte nicht zuletzt einen ökonomischen oder politischen Sinn.

Die Bibel gebot: »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde«, denn viele Kinder bedeuteten Wohlstand und Macht.

»Das Weib liegt unten, es wird seit langem dazu abgerichtet. Ist immer greifbar, immer gebrauchsfertig, ist die Schwächere und ans Haus gefesselt«, schrieb während des Zweiten Weltkriegs der deutsche Philosoph Ernst Bloch in »Das Prinzip Hoffnung«.

Indessen haben Haushaltindustrie, moderne Medizin, Kosmetik und Hygiene dem Leben der Frau eine neue Dimension hinzugefügt.

Entlastet wie nie zuvor von der Arbeit im Hause, entlastet wie nie zuvor von den Gefahren und Schäden häufiger Geburten, so früh wie nie zuvor von Erziehungspflichten befreit, zum ersten Male in der 5000jährigen überlieferten Geschichte der Menschheit gesünder, müßiger und mit einer längeren Lebenserwartung ausgestattet als der Mann, betritt die deutsche Frau des 20. Jahrhunderts eine völlig neue Lebenslandschaft: Grete im Wunderland.

Das Tempo, mit welchem die Landschaft der neuen technischen Zivilisation aus den Nebeln, Dämpfen und Rauchschwaden ihrer Schlote und Retorten heraustritt, eine »zweite Natur« enthüllend, ausgestattet mit stählernen Dienstmädchen, maschinellen Hirnen und elektronischen Sinnesorganen, ist so atemberaubend, daß nicht einmal die Spürhunde des Künftigen, Literatur und Kunst, zu folgen vermögen.

Sie verzeichnen kaum mehr als die Zerstörungen, die das Neue an dem vorindustriellen Menschenbild vornimmt - vor allem an dem der Frau.

Selbst Staat und Wissenschaft haben es schwer, mit der bloßen Fixierung der von Jahr zu Jahr sich ändernden, sich anreichernden und undurchsichtiger werdenden Tatsachen auf dem laufenden zu bleiben.

Im Dezember 1962 verlangte die SPD -Bundestagsfraktion, die Bundesregierung möge eine Enquete über die Situation der deutschen Frau erstellen lassen. Anderthalb Jahre lang sammelten zehn Arbeitskreise, von sechs Bundesministerien mit über einhundert Referenten und Sachbearbeitern beschickt, alle Daten über das bundesdeutsche Gretchen.

Im Oktober dieses Jahres legte Hans Katzer, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Bundestag und der Öffentlichkeit den »Ersten Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft« vor - ein sorgfältiges und verdienstvolles Werk: 640 Seiten lang.

Indessen, viele seiner Zahlen sind bereits heute überholt. Verzeichnet die Enquete als zuletzt verfügbare Zahl, daß im Jahre 1963 rund 24 Prozent der bundesdeutschen Haushalte über eine Waschmaschine verfügten, so sind es heute - ohne den jüngsten Weihnachtsschub - bereits 49 Prozent.

Während die Enquete-Autoren in ihrem knapp drei Monate alten Werk von Tiefkühltruhen noch überhaupt keine Notiz nehmen konnten, haben heute schon sechs Prozent der deutschen Familien einen Obst-, Gemüse- und Fleisch -Gefrierer aufgestellt. Zu Weihnachten 1966 dürfte die Zahl weiter erheblich gestiegen sein.

Ärgerlicher jedoch als der unvermeidliche Verzögerungssatz des behördlichen Meßapparats ist die Tatsache, daß im Frauen-Bericht gezielte Untersuchungen gerade der problematischen Aspekte fehlen.

So werden die wichtigsten Tatsachen der spezifischen Frauen-Situation von heute, nämlich:

- Mechanisierung des Haushalts,

- Senkung der Kinderzahl,

- höhere Lebenserwartung,

vom Frauen-Bericht zumeist statistisch erfaßt oder jedenfalls angedeutet, doch die dialektische Wirkung dieser Vorgänge - Entlastung einerseits, Lebenssinn-Verlust andererseits - nicht ins Blickfeld gebracht.

Der für die Frau und deren Situation folgenreiche Fragenkomplex - Mechanisierung des Haushalts und Verlagerung der Hausarbeit in die Industrie - wird

in der Enquete nur in einer Fußnote behandelt.

Dabei bietet die Industrie - vielleicht allerdings für die Enquete noch nicht erfaßbar - sorgfältig belegte Berechnungen über Arbeitszeitersparnisse an.

Das Deutsche Tiefkühlinstitut in Köln-Riehl errechnete, daß die moderne Hausfrau bei Verwendung von Tief kühlkost erhebliche Minuten-Quanten sparen kann - bei einer Vier-Personen -Portion

- Karotten 15 Minuten,

- Kartoffelpuffer 30,

- Erbsensuppe 26,

- Kartoffelklöße 32.

Die Stuttgarter Bundesforschungsanstalt für Hauswirtschaft erprobte, daß Rouladen, Spinat und Kartoffelklöße bei Verwendung gefrorener, vorbehandelter Produkte in einer Zeit zubereitet werden können, die ein Viertel so lang ist wie bei Verwendung frischer Lebensmittel.

Der Prozentsatz der gelegentlich Tiefkühlkost verwendenden Hausfrauen stieg zwischen 1962 und 1965 in der Bundesrepublik von 15 auf 45 Prozent, die der regelmäßigen Tiefkühl-Kunden von 7 auf 25 Prozent.

Als der bislang populärste Arbeitszeit-Verkürzer hat sich der Waschautomat bewährt. Die Hälfte aller deutschen Haushalte beherbergt die stählerne, surrende Waschfrau.

Früher benötigte die Frau in dampfender Waschküche für 40 Kilo Schmutzwäsche - laut Dr. Herbert Sinner ("Über das Waschen mit Haushaltswaschmaschinen") - einen bis anderthalb Arbeitstage. Heute hält sich die adrett gekleidete Küchentechnikerin mit der gleichen Wäschemenge 40 Minuten am Waschautomaten auf.

Einen ähnlichen Durchbruch zu Popularität und Absatz erhofft sich die Industrie vom Geschirrspülautomaten. Ein Prozent der bundesdeutschen Hausfrauen haben den mechanischen Küchensklaven schon erworben. Sie sparen - laut Industrie-Werbung - täglich 40 Minuten.

In Wirklichkeit ist jedoch die Gesamtwirkung der Industrie-Hilfe für die Frau noch nirgends erfaßt oder beschrieben. Vom Frankfurter Divo-Institut ermittelte Einzeldaten, wonach

- 75 Prozent der Haushalte kochfertige Suppen verwenden,

- 79 Prozent der Hausfrauen einen

Staubsauger,

- 40 Prozent einen Küchenmixer,

- 74 Prozent einen Kühlschrank,

- sechs Prozent eine Kühltruhe besitzen,

- sechs Millionen Bundesbürger arbeitstäglich in einer Kantine essen,

- 23 Prozent ihre Wäsche außer Haus

geben,

lassen den Umfang des Entlastungs -Effekts mit seinen sozialen und psychologischen Folgen allenfalls vermuten, die weiteren Wirkungen der schneller und schneller in Küche und Familie eindringenden Automaten und Automaten-Produkte nur ahnen.

An dem Entlastungs-Effekt selbst jedoch kann kein Zweifel sein, zumal die Wirkung der Mechanisierung durch andere Entwicklungen gesteigert wird - vor allem durch sinkende Kinderzahlen.

Noch um die Jahrhundertwende hatte fast die Hälfte aller deutschen Ehefrauen nach rund 20jähriger Ehe vier und mehr Kinder - waschend, flikkend, schleppend, kochend - zu betreuen; im Jahre 1960 hingegen nur noch knapp ein Sechstel. Zwei Drittel

der modernen Ehefrauen brauchen sich

nur um zwei Kinder oder noch weniger zu kümmern - so etwa Eliette von Karajan um zwei, Kriemhild Barzel um eines.

Einem zeitgenössischen Autor zufolge hatte die Frau des 17. Jahrhunderts zehn bis fünfzehn Kinder zu gebären, von denen freilich oft nur wenige älter als zehn Jahre wurden. Der 1794 gestorbene Osnabrücker Historiker Justus Möser mahnte eine Freundin, mit »Deinem Dutzend Kindergen« künftig »alle zwei Jahr nur ein Wochenbett zu halten«.

Sebastian Bach hatte 20 Kinder, Maria Theresia 16, Franz Schubert war das zwölfte von 14 Kindern. Dürer, Kant, Gellert, Bismarck, Robert Koch, Werner von Siemens und Richard Wagner hatten fünf oder mehr Geschwister.

Um 1800 begann der britische Pastor Thomas Robert Malthus vor dem Kinderreichtum seiner Zeit zu warnen. Er empfahl, auf die Seuchenbekämpfung zu verzichten, weil die Übervölkerung der Erde zu befürchten sei.

Aber noch John Stuart Mill (1806 bis 1873) wurde ins Gefängnis geworfen, weil er geäußert hatte, die hohe Zahl von Kindesmorden könne durch Geburtenregelung gemindert werden. Heute verwenden fast die Hälfte aller deutschen Ehefrauen Verhütungsmittel oder Verhütungspraktiken.

Das Gebären war - bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der Wiener Arzt Semmelweis die Ursachen des Kindbettfiebers erkannte - für die Frau ein gefährliches Abenteuer. 15 bis 20 Prozent der Wöchnerinnen in öffentlichen Entbindungshäusern starben gebärend.

Außer den Kindern stellten Haushalt und Kleidung früherer Jahrhunderte höhere Ansprüche als heute. Noch Johanna von Bismarck fragte sich, wie ihre zierliche, aber nach Art der Zeit üppig ausstaffierte künftige Schwiegertochter wohl im ehelichen Schlafgemach aussehen werde: »Was bleibt dann für den armen Herbert?«

Der Braunschweiger Patriziersohn Friedrich Karl von Strombeck (geboren 1771) berichtet, daß seines Vaters Haus »wohl vierzig Zimmer« besaß. Die Haushalte mit ihrem Aufwand an Dienstpersonal - Stubenmädchen, Köchinnen, Heizern, Zofen, Erziehern und Kutschern - glichen mittleren Gewerbebetrieben von heute.

Die pompöse Kleidung, aber auch Essen und Trinken stellten die Hausfrau des 18. Jahrhunderts vor organisatorische Aufgaben heute unbekannter Art. Selbst Bürger tischten bei Empfängen zwölf bis 16 Gänge auf. Ein zeitgenössischer Beobachter, der Preuße von Rohr, gestand, daß ein Bankett mit mehr als 50 oder gar 80 Gerichten wohl als Überfluß anzusehen sei.

Luise Adelgunde Kulmus, Braut des ersten deutschen Literatur-Diktators Johann Christoph Gottsched (1700 bis 1766), mahnte ihren Verlobten, er möge für die bevorstehende Hochzeit nicht mehr als 100 Taler - nach heutiger Währung drei- bis viertausend Mark - ausgeben.

Plüschportiere und Markartstrauß, Herden von Nippestierchen, auf Spitzendecken über konfektionierte Schnörkelmöbel verteilt, bereiteten der Frau bis in die zwanziger Jahre Kosten und Mühe.

Mangelnde Hygiene verstärkte die Anfälligkeit für Krankheiten. Die Rokoko-Dame vermied - schon wegen der Kostspieligkeit der Frisuren - das Waschen und Baden. Sie trug ständig eine Handharke bei sich, um den von Läusen und Flöhen verursachten Juckreiz zu bekämpfen.

Krankheit und Geburten wirkten sich auf die Frauen zerstörender aus als heute. Die Frau noch der letzten Jahrhundertmitte war oft schon als Dreißigjährige durch Zahnlücken und eingefallene Mundpartien entstellt. Die Zahnprothese kam erst von 1900 an in Gebrauch.

Die unmittelbare Beanspruchung der Frauen durch Gebären, Erziehen und Haushalten wurde vom Mann oft als

geistige Minderwertigkeit mißverstanden. Arthur Schopenhauer meinte, die Frauen blieben »ihr Leben lang Kinder": Sie sähen »immer nur das Nächste, kleben an der Gegenwart«.

»Eine Henne ist kein Vogel und ein Weib kein Mensch«, spottete ein russisches Sprichwort. Noch ganz ähnlich scherzte das deutsch-norwegische Humoristen-Paar Olav Gulbransson und Dr. Owlglass: »Frauen, Tiere und Kinder haben es gut, aber wir Menschen nicht.«

Kinderreichtum traf die Proletarierin des beginnenden Industrie-Zeitalters ärger noch als die Bürgersfrau. Der zeitgenössische Autor Theobald Ziegler beschrieb die Folgen: »Die Frau vor der Zeit verblüht und vergrämt, der Mann, angewidert vom Elend und der Schlamperei im eigenen Haus, ein Kunde des Wirtshauses und ein Wüterich.«

Geburtenbeschränkung, moderne Hygiene und Medizin verhindern im 20. Jahrhundert das frühe Altern der Frau, deutlicher noch die Frauensterblichkeit überhaupt.

Zwar ist die Tatsache, daß ein zwischen 1871 und 1880 geborenes Mädchen nur eine Lebenserwartung von 38,4 Jahren hatte, hingegen ein 1963/64 geborenes Mädchen mit 73,13 Jahren rechnen darf (in ferner Zukunft: mit 90 Jahren), zur Hauptsache durch den Rückgang der Kinder-Sterblichkeit zu erklären. Doch zeigen genauere Untersuchungen aus jüngerer Zeit, daß auch die Lebenserwartung der Mütter ständig steigt.

Eine Frau, die zwischen 1871 und 1880 das Lebensalter von 40 Jahren erreichte, hatte Aussicht, noch runde 26 Jahre zu leben, eine 41jährige von heute hingegen darf mit mehr als 35 weiteren Lebensjahren rechnen.

War in früheren Jahrhunderten die Lebenserwartung von Mann und Frau fast gleich hoch, so wird neuerdings die Kluft zwischen der Lebenserwartung der Frau und des Mannes immer größer.

Bereits um 1901/10 überlebte die Frau ihren Mann durchschnittlich um 3,51 Jahre, heute jedoch schon um 5,81 Jahre. Die Frau ist die Bevorzugte der modernen Zivilisation. »Die Fortschritte der Medizin unseres Jahrhunderts«, so der Berliner Arzt Dr. Paul Kühne, »scheinen nur den Frauen zu dienen.«

Während die spezifische Beanspruchung des Mannes jenseits der 40er Grenze, nämlich mit dem Steigen in der Hierarchie seines Berufes, eher zunimmt, zeigt die spezifische Belastung der Frau (Erziehung/Haushalt) fallende Tendenz. Der modernen Frau eröffnet sich jenseits der 40er Grenze ein Lebensraum von 35 Jahren, von denen sie zehn noch als attraktiv und mindestens 20 noch als beruflich leistungsfähig anzusehen ist.

Dabei beginnt das, was man den »Ehe -Ruhestand« genannt hat, für die statistische Durchschnitts-Eva von heute früher als bei ihrer Großmutter.

Während die Frau der Jahrhundertwende

- mit dem 15. Lebensjahr die Geschlechtsreife erlangte,

- mit dem 25. heiratete,

- mit dem 33. ihr letztes Kind gebar

und

- bis an die Grenze ihrer Fünfziger für ihr jüngstes Kind zu sorgen hatte,

ist die Frau von heute

- mit zwölf Jahren geschlechtsreif,

- heiratet mit 24,

- gebiert mit 27 ihr letztes Kind.

- ist von 41 an der erzieherischen Aufgaben ledig.

Darüber hinaus: Ihr Ehe-Abend ist komfortabler und chancenreicher.

Unter den Händen von 7000 fachkundigen Schönheitspflegerinnen verwandeln sich die bundesdeutschen Vierzigerinnen in reife Kopien ihrer Töchter - wie »Constanze« in einer Bildergeschichte dokumentierte.

Der Verbrauch von Hautcreme, Puder und Schönheitsmitteln wird heute in Tonnen gemessen. Nach Berechnungen des Verbandes der Körperpflegemittel-Industrie wurden 1965 für Kosmetika und Körperpflegemittel durchschnittlich 37,50 Mark ausgegeben. 1960 waren es nur 18,50.

Gleichwohl bereitet die Nutzung des neuen Lebensspielraums Schwierigkeiten. Eingeschliffene Überlieferungen hindern die entlastete Frau daran, einen ihren Fähigkeiten und ihren hinzugewonnenen Freiheiten angemessenen Platz in der modernen rationalisierten Gesellschaft zu finden.

Während Luther bereits meinte: »Also kann ein Maidlin ja so viel Zeit haben, daß es des Tages eine Stunde zur Schule gehe«, dekretierte noch knapp dreihundert Jahre später Napoleon I., die Weiber hätten »schwach entwickelte Hirne« - und: »Die Frau ist unser Eigentum.«

Napoleons weiberfeindliches Gesetzbuch - der Code Napoleon - bestimmte bis in die Gegenwart hinein die Situation der französischen Frau. Erst Charles de Gaulle revidierte es: Seit dem 1. Februar dieses Jahres darf die französische Frau ohne Genehmigung ihres Ehemannes ein eigenes Konto eröffnen.

Doch - laut Ménie Grégoire: »Männer sind kein Maßstab"* - leben noch heute 90 Prozent aller verheirateten Französinnen in finanzieller Abhängigkeit von ihrem Mann.

Die Durchschnittsfranzösin, auch die Städterin, sei - befand Frau Grégoire entgegen deutschen Frauenzeitschriften -Vorstellungen - »bäuerlichen Typs«, eine »schwarze Ameise« und konservativ.

Freilich ist auch die mechanische Entlastung der Hausfrau in Frankreich nicht so weit vorangeschritten wie in der Bundesrepublik: Ein Fünftel sogar der Neubauwohnungen hat keine Badewanne und keine Dusche, elf Prozent kein WC und sechs Prozent nicht einmal einen eigenen Wasseranschluß.

Mehr idyllischer Art ist der deutsche Konservativismus. »Sich vom Krampf der modernen Lebensform zu -lösen und im Hause für Familie und Kinder zu sorgen«, wünschte die CDU der deutschen Frau. Bundespräsident Dr. Heinrich Lübke las vor Fernseh-Kameras vom Blatt ab: Hoher Lebensstandard und Berufsfreude könnten mit dem »Verlust innerer Werte« bezahlt werden.

Freilich, die von den Konservativen Europas proklamierten »drei Ks« - Kind, Küche und Kirche - sind streitbaren Damen seit langem verdächtig.

1792 verkündete die Irin Mary Wollstonecraft die »Rechte der Frau«. Ihr Zeitgenosse, der Schriftsteller Horace Walpole, nannte sie dafür »eine Hyäne in Röcken«, und das ebenfalls zeitgenössische »Ladies Magazine« sah Fürchterliches heraufziehen: Es berichtete, daß eine Dame - nach Lektüre des Wollstonecraft-Pamphlets - ihr Pferd mit eigener Hand gefüttert habe.

Im Revolutionsjahr 1848 betrat die erste deutsche Frauenrechtlerin Luise Otto-Peters mit der Parole »Dem Reich der Freiheit werb' ich Bürgerinnen!« die Bühne der Öffentlichkeit. 17 Jahre später gründete sie in Leipzig den Allgemeinen deutschen Frauenverein. Als »Frauenschlacht zu Leipzig« verspottete die deutsche Presse das überraschende Ereignis.

In Frankreich, wo die Frauenbewegung eine vorwiegend literarische Erscheinung blieb, zeigte sich die Schriftstellerin und Chopin-Freundin George Sand in Männerkleidern. In England ketteten sich Suffragetten (suffrage = Stimmrecht) an die Gitter des Parlaments oder warfen sich vor die Pferde der königlichen Equipage.

Erst nach dem Ersten Weltkrieg erwarben Engländerinnen und deutsche Frauen das Stimmrecht - die deutschen, ohne daß sie sich sonderlich dafür echauffiert hatten.

In der Tat ist politischer Eifer unter den Frauen aller Länder bis auf den heutigen Tag selten: Von 1000 bundesdeutschen Frauen gehören sechs einer Partei an. Von den Männern sind immerhin 40 Pg.

Zwar schreiben Spät-Suffragetten der Gegenwart, wie die Schwedin Barbro Bickberger, 35, männlicher »Gehirnwäsche« zu, daß auch die Frau von heute noch nur darauf wartet, »daß er etwas mit ihr anstellt« ("So war es bereits in Tausendundeiner Nacht, so ist es bei Schneewittchen").

Doch treffen die Backbergerschen Vermutungen, »aktive« Frauen würden durchweg von der Gesellschaft als »bösartig« oder gar als »Hexen« und »Stiefmütter« dargestellt, nicht durchgängig zu.

Das möglicherweise freilich mit spezifisch maskulinem Interesse gemischte Wohlgefallen der Bundesbürger an Politikerinnen wie der streitbaren Münchnerin Hildegard Hamm-Brücher und der zur Miß Bundestag gekürten SPD-Abgeordneten Ursula Krips ist unverkennbar.

Allerdings deutet das Verhalten sogar der emanzipierten Frau von heute auf eine niedrigere Ehrgeiz-Grenze im Berufsleben.

Eine Betriebsumfrage in einem süddeutschen Unternehmen ergab, daß die Frauen »allgemein keinen Wert auf Vorgesetztenpositionen legen«. Nur ein Fünftel der Arbeiterinnen zeigte Interesse an beruflicher Weiterbildung (bei Männern zwei Drittel).

Arbeiterinnen, auch hochindustrialisierter Länder, streben selten nach Karriere. Bei 150 000 schwedischen Arbeiterinnen stellte die Weltgesundheitsorganisation 1961 keine Berufsausbildung fest. Einzige Ausnahme: Textilarbeiterinnen mit Anlernzeiten.

Nach den Beobachtungen der Hamburger Soziologin Professor Elisabeth Pfeil ("Die Berufstätigkeit von Müttern") arbeiten fast zwei Drittel aller berufstätigen Mütter aus ökonomischen Gründen ("Aufbau und Erweiterung der häuslichen Basis« und »Existenznot"), nur etwas mehr als ein Zehntel aus »psychologischen« Motiven - worunter die Professorin neben »Kontakt haben«, »im Leben stehen« auch Liebe zum Beruf und Selbständigkeitsstreben versteht.

Wickert-Meinungsforscher stellten fest, daß 66 Prozent der Frauen sich einen geistig überlegenen Mann wünschen.

Selbst in den Ostblockländern, wo die Angleichung der Frau an den Mann mit ideologischem Sprengsatz vorangetrieben wird (Lotte Ulbricht: »Immer mutiger und selbstbewußter dringen sie in die Gebiete der Wissenschaft und Technik ein"), ist inzwischen eine Grenze des Erreichbaren sichtbar geworden.

Zwar versicherte die Leipziger Medizinerin, Frau Professor Aresin, auf Befragen durch die Frauenzeitschrift »Constanze«, daß Routine-Arbeit von den DDR-Müttern »gut verkraftet« werde, mußte jedoch auf die Frage nach Höherbildung eingestehen: »Da wird es schwer.«

In der Sowjet-Union, wo die berufstätigen Frauen fast die Hälfte der weiblichen Personen aller Altersklassen ausmachen (in Deutschland, England und Schweden ungefähr ein Drittel, in den USA etwas mehr als ein Viertel), zeigen sich Bestrebungen, die Frauenarbeit auf die geburten- und erziehungsfreien Jahre der Frau oder in besondere Berufe zu lenken: Zwei Drittel aller Lehrer und drei Viertel aller Ärzte der Sowjet-Union sind weiblich.

Tatsächlich bildet die Frauenarbeit auch in den westlichen hochindustrialisierten Ländern trotz mechanischer Entlastung, trotz sinkender Geburtenziffern, trotz Medizin, Hygiene und Kosmetik nach wie vor ein Problem - freilich keineswegs mehr von der dramatischen Art, wie sie auf den anklagenden Bildern von Käthe Kollwitz und Heinrich Zille dargestellt wurde.

Wichtigste Überraschung: Die Tatsache, daß rund ein Drittel (Bundesrepublik 1965: 31,9 Prozent; DDR 1963: 39 Prozent) der gesamten weiblichen Bevölkerung Deutschlands beruflich arbeitet, ist - entgegen allen konservativen Vorstellungen vom idyllischen Heim-und-Herd-Mütterchen früherer Zeiten - keineswegs ein Novum.

Bereits 1882 verzeichnete die Statistik, daß ein Viertel aller deutschen Frauen berufstätig war - wobei anzunehmen ist, daß der Prozentsatz in Wirklichkeit noch höher lag. Die Mitarbeit der Frau im häuslichen Gewerbe - oder Landwirtschaftsbetrieb wurde damals noch nicht so zuverlässig erfaßt wie heute.

Seit der Jahrhundertwende schwankt denn auch der Anteil der weiblichen Erwerbspersonen an der Gesamtzahl der Frauen ziemlich stationär um 33 Prozent - nur zeitweilig durch Krieg und Nachkriegszeit in die Höhe getrieben (1925: 35,6 Prozent; 1939: 36,2 Prozent; 1953: 33,1 Prozent).

Freilich: Innerhalb dieser relativ stabilen Drittel-Quote spielten sich, gerade in jüngster Zeit, durchgreifende Strukturveränderungen der Frauenarbeit ab.

Während noch 1939 von den 7,23 Millionen weiblichen Berufstätigen rund drei Millionen (41 Prozent) »mithelfende Familienangehörige« waren, sind heute von den 9,86 Millionen weiblichen Erwerbspersonen der Bundesrepublik nur noch 1,87 Millionen (19 Prozent) im Familienbetrieb tätig.

Die Frau ist unabhängiger geworden

- und anspruchsvoller.

Während der Anteil der Arbeiterinnen an der Gesamtzahl der weiblichen Erwerbspersonen konstant (1939 und 1965: 37 Prozent) blieb, stieg der Anteil

der weiblichen Angestellten erheblich: von 14 auf 35 Prozent.

Im Zusammenhang hiermit steht, daß sich die Frauenarbeit mehr und mehr in die mittleren und oberen Schichten der Gesellschaft verlagert - und dort nicht mehr als bloßes Übel empfunden wird.

Zwar sind Industrie-Arbeiterinnen immer noch ungern Industrie-Arbeiterinnen, Volksschullehrerinnen jedoch gerne Volksschullehrerinnen, stellte die Professorin Pfeil fest.

Die tippenden und kaffeekochenden Vestalinnen der glitzernden Büro -Kathedralen erfreuen sich zunehmenden Sozialprestiges. Zumal Töchter aus mittleren Schichten drängen in Berufe mit Lehr- oder weiterführender Berufsausbildung.

1896 legten zum ersten Male weibliche Gymnasiasten in Deutschland die Reifeprüfung ab: sechs an der Zahl. Heute verlassen alljährlich rund 18 000 Abiturientinnen die höhere Schule.

Die weiblichen Abgänger auch der Volks- und Mittelschulen verlangen zunehmend nach qualifizierten Berufen. Während noch 1950 sich nur 13 Prozent für »Verwalten, Buchen, Schreiben« entschieden, waren es 1964/65 bereits 20 Prozent.

»Lehren, Helfen, Pflegen« nahm offenkundig beträchtlich an Attraktion zu - von 5 auf 17 Prozent.

Hingegen sank das Interesse an Dienstleistungsberufen von 19 auf 15 Prozent. Werben und verkaufen wollen heute nur noch 13 Prozent, früher 19.

1950 wollten noch über ein Fünftel der Schulabgängerinnen Schneiderinnen, Köchinnen oder Putzmacherinnen werden, heute nur noch sechs Prozent.

Mehr Mädchen als 1900 haben eine Ausbildung, und die Ausbildung ist heute besser als 1900. Aber auch: Die Mädchen von heute heiraten früher als die von 1900. Heute heiraten mehr Mädchen als 1900.

So kommt es, daß immer mehr Ehefrauen, sogar junge Ehefrauen mit Kleinkindern, berufstätig sind. Zwischen 1950 und 1962 stieg die Zahl der berufstätigen Mütter mit Kindern unter 14 Jahren um 74 Prozent - eine Tatsache, welche die meisten Frauenärzte und Soziologen beunruhigt.

So behauptete der Ludwigshafener Frauenarzt und Professor Hugo Otto Kleine, eine »frühzeitige Invalidisierung« beobachtet zu haben.

Sein Göttinger Kollege Heinz Kirchhoff dekretierte kurzerhand: »Eine Mutter mit Kindern bis zu 15 Jahren gehört nicht in eine außerhäusliche Berufsarbeit.«

Der inzwischen verstorbene Alt -Soziologe Alexander Rüstow wollte sogar die Berufsarbeit von Müttern mit kleinen Kindern unter gesetzliches Verbot stellen.

Der Münchner Kinderarzt Professor Theodor Hellbrügge beklagte die Kinder berufstätiger Frauen als »Waisenkinder der Technik« - von denen es, einem Bericht der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) über die Tagung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge im Herbst 1963 zufolge, nicht weniger als drei Millionen geben sollte.

Die Zahl von drei Millionen »Schlüsselkindern« ist - wie 1964 das Statistische Bundesamt in Wiesbaden feststellte - Unsinn. Kommentar des Bundesfamilienministers, Dr. Bruno Heck: »Das spricht eindeutig ... dagegen, das Thema Mütterarbeit ... zu einer 'familienpolitischen Tragödie' hochzuspielen.« Die wirkliche Zahl der tagsüber (während der Arbeitszeit beider Eltern) nicht betreuten Kinder beträgt 8000 - 0,4 Prozent der Kinder berufstätiger Mütter.

Die volle Berufstätigkeit der Eltern von Kindern unter 14 Jahren bildet gleichwohl ein Problem. 57 Prozent der Klein- und 47 Prozent der Schulkinder solcher Ehen werden von Verwandten, zumeist den Großmüttern, betreut - eine Notlösung, die keinesweg befriedigt. Es fehlt in der Bundesrepublik an Kinderkrippen und Kindergärten. Tagesheim-Schulen sind rar - es gibt in der Bundesrepublik nur 58.

Auf einem statistischen Irrtum beruht wahrscheinlich Professor Kleines Behauptung von der »Frühinvalidisierung« der berufstätigen Frau. Schon die ständig zunehmende Lebenserwartung der Frau spricht dagegen.

Dagegen sprechen auch andere Tatsachen. In fast derselben Zeit (1952 bis 1964), in welcher die Zahl der berufstätigen Ehefrauen mit Kindern unter 14 Jahren um 74 Prozent zunahm, fiel die Müttersterblichkeits-Quote der Bundesrepublik um 100 Prozent.

Örtliche Untersuchungen lassen darüber hinaus erkennen, daß Frauen, die in modernen Unternehmen von Betriebsärzten betreut werden, weitaus seltener zu früh gebären als Frauen ohne Beruf.

Während von 100 bundesdeutschen Schwangeren sechs zu früh gebären, kamen von den schwangeren Arbeiterinnen und Angestellten eines Krefelder Unternehmens nur 2,3 vorzeitig nieder. Frauenarzt Professor Kirchhoff hingegen behauptet, bei 17 Prozent der schwangeren Berufstätigen Frühgeburten festgestellt zu haben.

Dazu ein Hamburger Frauenarzt: »Berufstätige Frauen sind bei der Geburt nicht so verkrampft und verlassen eher das Wochenbett.«

Seit einiger Zeit beobachten Betriebsärzte ein völlig neues Phänomen: Bis 1958 war die Pro-Tausend-Zahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle von berufstätigen Frauen stets höher als die ihrer männlichen Kollegen, seit 1960 ist sie geringer.

Professor Rüstows rigorose Forderung nach einem Verbot der Jungmütter-Berufstätigkeit scheitert indes sowohl an liebenswürdigen als auch an harten Tatsachen:

- Fast ein Drittel von Deutschlands

Bräuten trägt am Tage der Eheschließung ein Kind entweder auf dem Arm oder unterm Herzen;

- die Hälfte aller deutschen Bräute

bringen keine Mitgift in die Ehe (Test-Antwort: »Wir hatten nichts und brauchten alles");

- der Aufbau eines Haushalts nach durchschnittlicher Konsum-Norm kostet 12 000 Mark.

Der »Nestbau«, mit seinen spezifisch hohen Startkosten für Geburt, Kind -Betreuung und Erstanschaffungen, fällt also zwangsläufig mit Berufstätigkeit zusammen.

Die Ballung in den ersten Ehejahren hat oft nachteilige Folgen für das ganze Leben. Die jungen Frauen brechen ihre Berufsausbildung ab (rund 50 Prozent aller bundesdeutschen Studentinnen verlassen die Universität ohne Abschluß) und suchen sich, wenn überhaupt, später einen Beruf, bei dem Ausbildung nicht verlangt wird.

Die für Studium oder Fachschulausbildung eingesetzten Geld- und Zeitaufwendungen sind damit vertan. Die junge Ehefrau ist beruflich degradiert - und zwar auch für die Zukunft, in der sie wieder Zeit für eine volle Berufstätigkeit hat.

Die Frauenreferentin der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, Dr. Else König, empfiehlt deswegen, in den Studienablauf mehr Prüfungen einzubauen, um der früheren Studentin »eine Berufstätigkeit im nichtakademischen Feld der entsprechenden Studienrichtung zu ermöglichen«.

Insbesondere für die Vierzigjährige ist heute der frühe Abbruch der Ausbildung folgenschwer. Nur auf Kosten eines Abstiegs kann sie die Rückkehr in die Berufstätigkeit erzwingen. Ohne abgeschlossene Ausbildung kommt sie meistens nur noch für Hilfsberufe in Frage.

DAG-Hauptabteilungsleiterin Herta Meyer-Rickenberg: »Die Frau strebt nach der Mutterschaftsphase in den Beruf zurück, lehnt aber eine Schlechterstellung gegenüber ihrer früheren Berufsstellung ab.«

In allen hochindustrialisierten Ländern bemühen sich vierzig Jahre alte und ältere Frauen um »Wiedereingliederung«. In den USA stellen die 55jährigen den stärksten weiblichen Arbeitsjahrgang.

Von den Frauen, die 1965 - nach Berufsunterbrechung - bei bundesdeutschen Arbeitsämtern um Vermittlung nachsuchten, waren über 42 Prozent älter als 39 Jahre.

Dabei verhält sich die Gesellschaft gegenüber der modernen Vierzigerin mißtrauisch. Ihr Lebensdurst, ihre Vitalität werden oft als krankhaft empfunden.

Während noch in der Literatur der ersten Jahrhunderthälfte die Mutter als heroische Löwin auftrat - Hauptmanns »Mutter Wolffen«, Brechts »Mutter Courage« -, gilt sie den Modernen als sex-hungriges, neurotisches, lächerliches Scheusal.

Friedrich Dürrenmatts »Alte Dame« ist ein männermordendes Ungeheuer, Martin Walsers Birga Kristlein ("Das Einhorn") nimmt ihren Mann zu sich wie eine Speise (von »Mampfen« ist dabei die Rede), und Thomas Manns Rosalie von Thümmlar ("Die Betrogene") erntet für eine späte Liebe grausige Ironie. Bei Heinrich Böll, Uwe Johnson und Wolfgang Koeppen kommt die Vierzigjährige entweder überhaupt nicht oder allenfalls als abscheuliche Staffage vor.

»Verödung«, »Daseinsleere«, »Lebensdefizit« sind denn auch die Vokabeln, mit denen Psychologen und Soziologen den inneren Zustand der berufslosen Vierzigjährigen beschreiben. »Bild« verkürzte das psychische Hausfrauen -Drama zur Moritat vom vitalen Postboten und der lüsternen Ganztagswitwe in den grünen Slums der Großstädte.

Die zunehmende Zahl frustrierter Frauen über vierzig spiegelt sich auch in den Randbezirken der Gesellschaft. Treffpunkte »einsamer Herzen« ("Wer hat und braucht Herz?") bewähren sich in wachsendem Maße als Umschlagplätze reifer Liebe. Tatortnahe Beobachter wie Kellner und Büfettbedienstete berichten: »Wir haben Stamm -Damen, die zwei- bis dreimal im Monat hierherkommen.«

Alerte Jünglinge offerieren in einschlägig renommierten Frauenzeitschriften Damen mit defizitärem Lebenssinn-Saldo ihre Dienste: »Junger Mann, 24/1,65, sucht extravagante, mollige Dame, bis 45, möglichst mit Auto, zwecks Freizeitgestaltung. Ganzphoto erbeten.«

Häufiger aber reagiert die vom Sinnverlust bedrohte Vierzigerin durch Flucht in neurotische Erscheinungen.

Ein Frauenarzt: »Die Nur-Hausfrau läßt sich gehen, vernachlässigt sich, pflegt sich nicht mehr. Damit beginnt in vielen Fällen ein Teufelskreis. Der Mann wendet sich ab - eventuell einer anderen zu. Die Frau flüchtet sich in Krankheit und hofft, an sein Mitgefühl appellierend, ihn zurückzugewinnen. Der Mann reagiert aber nicht, und so kommt es zu gegenseitigen Grausamkeiten.«

Kirchliche Eheberatungsstellen berichten, »daß es in Ehen mit Nur-Hausfrauen mehr Ehekonflikte gibt«.

Die Kontakt-Verarmung der berufslosen Vierzigerin beschäftigt Ärzte, Polizisten, Trunksucht-Bekämpfer und Lebensmüden-Fürsorger.

Arzt Dr. Klaus Thomas, Gründer der »Ärztlichen Lebensmüdenbetreuung des ökumenischen St.-Lukas-Ordens": »Einsame und vereinsamte Frauen zählen zu unseren häufigsten Ratsuchenden.«

Arbeit wird als Therapie empfohlen. Dr. Thomas: »Berufstätigkeit, Teilzeitbeschäftigung, karitative Tätigkeit und anderes mehr können wesentlich mildernd wirken.«

Der Frankfurter Professor Adolf Allwohn: »Berufstätigkeit, auch eine Teilzeitbeschäftigung, kann die Suchtgefahr verringern, vorausgesetzt, daß sie hinsichtlich des Betriebsklimas und des Umgangs mit Menschen befriedigend ist.«

Geschirrspülmaschine, Waschautomat und' vorgefertigte Lebensmittel drohen gerade die Villenbezirke in psychische Elendsviertel zu verwandeln. »Besonders fremd«, schrieb Professor Walter Schulte, Direktor der Tübinger Universitätsnervenklinik, »kann sich die ältere Frau in einer Umwelt vorkommen, in der alles wie heute so ausgezeichnet funktioniert ... wenn selbst das Waschen und Flicken, das Spülen und Kartoffelschälen ihr entzogen zu werden drohen.«

Frauenzeitschriften, Illustrierte und Wochenendblätter bieten den Vereinsamten und Enttäuschten Traumkonsum als Ersatz an: »Schön für die Party, »Neun Monate hübsch angezogen«, »Abrechnung mit Don Juan 1966«, »Er zog ihren Kopf herunter und küßte sie ...«, »Können Sie zärtlich sein?«

Die Probleme der Wiedereingliederung der Frauen mit schulpflichtigen, vor allem aber der Vierzigjährigen mit über 15 Jahre alten Kindern rücken immer mehr in den Mittelpunkt soziologischen und medizinischen Interesses - unter einem revolutionierenden Gesichtspunkt: Berufstätigkeit nicht mehr als Plackerei, sondern als Heilmittel, nicht nur als wirtschaftliche Notlösung, sondern als Faktor zur Beseitigung familiärer und damit auch sozial störender Spannungen.

Einer Befragung von Betriebsleitern zufolge ist der Arbeitsausfall bei älteren Frauen wesentlich geringer als bei jungen. Gerühmt werden insonderheit die organisatorische Begabung, die Fähigkeiten im menschlichen Umgang und das Pflichtbewußtsein der Vierzigjährigen.

Hingegen verzeichnen Betriebsärzte bei älteren Frauen zunehmende Neigung zu Ermüdung und abnehmendes Gedächtnis.

Deswegen empfehlen Personalchefs von Großbetrieben Teilzeitarbeiten. Betriebliche Vorteile: höhere Arbeitsleistung, bessere Kapitalnutzung, geringere Fehlzeiten, stabilere Arbeitsmoral.

Aber auch die individual-psychologischen Vorteile werden hoch eingeschätzt.

Ein Hamburger Betriebsleiter: »Arbeit ist besser als Ostrogen.«

Ähnlich der Hamburger Frauenarzt Dr: Hellmann: »Die befriedigende Arbeit erhält die Frau länger jung und fördert die Spannkraft - um es mit einem Wort unserer Tage zu sagen, sie wirkt östrogen-ähnlich.«

Eine planmäßige Lebensgestaltung der Frau und für die Frau -

- voreheliche Berufsausbildung,

- stufenweise Ausbildungsgestaltung

mit Zwischen-Abschlüssen,

- Fortbildungskurse für junge Ehefrauen,

- Ermöglichung frühzeitiger Wiedereingliederung durch Krippen und Tagesheim-Schulen,

- Wiedereingliederungskurse für die

Vierzigerin -

werden heute nicht nur von Wirtschaft und Politik, sondern auch von der Medizin gefordert. Gewerkschaftlerin Herta Meyer-Rickenberg: »Die Wirtschaft braucht die Frau, und die Frau braucht den Beruf.«

* Ménie Grégoire: »Männer sind kein Maßstab«. Das Buch erscheint 1967 im Scherz -Verlag, München.

Mutter und Tochter 1897, 1966: Am Horizont des besseren Lebens ...

... neue Gefahren für die deutsche Frau: Wäscherin 1933, 1966

Küche 1925: Bei Erbsensuppe für vier Personen ...

... sechsundzwanzig Minuten-Zeitersparnis Küche 1966

Vater Sebastian Bach, Kinder: Abenteuer im Kindbett

Munter Eliette von Karajan, Kinder: Vorzug der Zivilisation

Britische Suffragetten 1910: »Hyänen in Röcken«

Deutsche Bundestagsabgeordnete 1965*: »Bürgerinnen im Reich der Freiheit«

Kundin im Schönheitsinstitut

»Befriedigende Arbeit ...

... erhält länger jung": Arbeiterinnen im Fabriksaal

Symbol-Figur »Alte Dame"*

Männermordendes Ungeheuer

Symbol-Figur »Mutter Courage"** Heroische Löwin

The New Yorker

»Ich bin so einsam!«

Vorort-Bewohnerin im Eigenheim: »So war es mit Schneewittchen«

* Von links: Lucie Bayer, Margarete Berger -Heise, Hedwig Meermann, Ursula Krips, Annemarie Renger.

* Elisabeth Flickenschildt in der Hamburger Aufführung von Dürrenmatts Komödie »Der Besuch der alten Dame«.

** Helene Weigel in der Ost-Berliner Aufführung von Brechts »Mutter Courage«.

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