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MARL Groll am Grab

aus DER SPIEGEL 18/1964

Bürgermeister Willi Derks legte einen

Kranz am offenen Grab des Genossen Gerhard Ebben nieder und hob zu sprechen an: »Lieber Gerhard, nur wenige Jahre hast du von deiner Rente gelebt. Es ist das Schicksal des Arbeiters hier, früh zu sterben. Darum hast du dich schon frühzeitig der Partei der Arbeiter und des Volkes, der SPD, angeschlossen

Weiter kam Derks nicht. Pfarrer Josef Hülsmann von der St.-Johannes-Gemeinde der Bergarbeitersiedlung Bertlich bei Marl unterbrach ihn: »So dürfen Sie hier nicht sprechen. Das ist eine kirchliche Beerdigung.«

Aber Derks verstummte nicht, und während Kirchenmann und Politiker am offenen Grab lautstark ins Disputieren gerieten, verließen die Trauergäste verstört die Ruhestätte.

Der Spektakel auf dem Gemeindefriedhof von Polsum, das ebenso wie Bertlich zu Marl im Norden des Ruhrreviers gehört, führte unlängst zu einer kommunalen Kontroverse zwischen Sozialisten und katholischer Kirche. Da Pfarrer Hülsmann sich bei den empörten Sozialdemokraten nicht entschuldigte, schrieb ihm Marls Stadtoberhaupt, der SPD-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordneter Rudolf Heiland, einen Brief.

Der konfessionslose Heiland ging mit dem Kleriker hart ins Gericht. Hülsmann sei »an einem Ort, der jedem

heilig sein sollte«, in verletzender Form aufgetreten. Das Verhalten des Geistlichen habe dazu geführt; »daß in weiten Kreisen der Bertlicher Bevölkerung Empörung entstanden ist«.

Umgehend kam des Pfarrers Antwort:

Ich kann und werde es nicht zulassen, daß gottesdienstliche Feiern, wie ein kirchliches Begräbnis, offen zur Verbreitung von Wahlparolen gleich welcher Partei mißbraucht werden.« Damit entspreche er dem Wunsch und Gefühl- der Angehörigen.

Allerdings: Witwe Ebben wollte von einer vorsorglich angebrachten - Entschuldigung des Bürgermeisters Derks nichts hören: »Wer sich zu entschuldigen hat, ist Pfarrer Hülsmann.«

Die Marler SPD ließ sich mit dem pastoralen Brief denn auch nicht abspeisen und schwärzte den störrischen Pfarrer bei seinem Dienstherrn an, dem Bischöf Höffner von Münster.

Der sozialistische Heiland an den Oberhirten: »Ich bin grundsätzlich anderer Meinung als Pfarrer Hülsmann, der das Bekenntnis zu einer politischen Partei an sich schon für etwas Unsittliches zu halten scheint.«

Während nun höheren Orts über die Heiland-Klage beraten wurde, ging der Nahkampf auf der unteren Ebene weiter:

- Die SPD verteilte Flugblätter, auf denen sie mit schwarzer Schrift auf rotem Grund behauptete, daß es

- nichts Außerordentliches sei, am

Grab den Dank für die Zugehörigkeit zu einer Partei auszusprechen.

- Dem eifernden Hülsmann kam sein evangelischer Amtsbruder Jürgen Schmeling zu Hilfe. Er verteidigte den Kollegen in der parteilosen »Marler Zeitung": »Keinem Pfarrer (kann) verwehrt werden, so zu reagieren.«

Schließlich traf im Marler Rathaus auch die Antwort des bischöflichen Generalvikariats aus Münster ein: Hirte Hülsmann habe recht gehandelt.

Der von beiden Kirchen enttäuschte Heiland will den Vorfall nunmehr an die weltliche Glocke hängen: Jetzt soll der Landtag von Nordrhein-Westfalen über den Friedhofs-Streit von Polsum debattieren.

Bürgermeister Heiland

Nach dem Streit auf dem Friedhof ...

Pfarrer Hülsmann

... eine Debatte im Landtag

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