UMWELT Große Zwickmühle
Ein »schwerer Eingriff« droht aus der Sicht des nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministers Diether Deneke, und der wird »einiges kaputtmachen«. Für Karl Hubert Coerdt indessen, Ministerialrat im Wirtschafts- und Verkehrsministerium und Deneke gleich benachbart, handelt es sieh nur um eine Bagatelle -- »um ein paar Nadelstiche« eben, »kein Problemfall«.
Die Operation, die von den Düsseldorfer Entscheidungsträgern so unterschiedlich beurteilt wird, betrifft 50 Quadratkilometer schönster Natur am Rande des Ruhrgebiets: die Haard, die nördlich Herne und Recklinghausen ins Münsterland hineinwächst.
Kiefernwälder und Eichenhaine, stille Sandwege zwischen sanften Hügeln -die Haard ist Zuflucht für viele aus der Emscherzone, wo das Grau des Reviers noch grauer ist und der Pott noch verrußter. Pech nur für dieses Stück Grünland; Es bedeckt, wie Probebohrungen bestätigen, beträchtliche Mengen hochwertiger Kokskohle.
Und nun soll der Bodenschatz, 560 Millionen Tonnen schwarzen Gesteins, von der zur Ruhrkohle AG gehörenden Bergbau AG Herne/Recklinghausen möglichst bald abgebaut werden, Schon läuft beim Landesoberbergamt das Genehmigungsverfahren für den Bau von Schächten, Straßen, Strom- und Abwasserleitungen -- zum Kostenpunkt von vorerst einer Milliarde Mark.
Dieses Projekt treibt das Ruhrvolk in einen unlösbar erscheinenden Zielkonflikt. Einerseits mühen sich nordrhein-westfälische Regierung und der »Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk« (SVR), ein Zusammenschluß der Reviergemeinden, seit langem. das verkokelte Image des Landes aufzufrischen.
Für 15 Millionen Mark beispielsweise ließ der SVR Bäume und Sträucher pflanzen; fünf große »Revierparks« entstanden längs der Kohleschiene zwischen Duisburg und Dortmund. Grün wurde es, wo immer sieh eine Lücke bot, und dazwischen verteilten die Planer Schwimmbäder, Sportanlagen, Tiergehege oder Minigolf-Plätze.
Andererseits scheint die Existenz derer, die von dem ansehnlichen Natur- und Freizeitangebot Gebrauch machen sollen, langfristig nicht mehr sicher. Zumindest die Kumpel müssen, wollen sie weiter fördern, der Kohle nachziehen. Aus den alten Schächten kann der steigende Energiebedarf auf die Dauer nicht gedeckt werden.
Quer durch die Parteien und die Ministerien zieht sich unterdessen der Streit, ob es wichtiger ist, die Arbeitsplätze oder die Natur zu schützen -- und ob es denn so zugespitzt überhaupt betrachtet werden muß. Während Landwirtschaftsminister Deneke unverwandt »schwere Bedenken« anmeldet, mäkelt etwa ein Hochgestellter aus dem Sozialministerium über den »Deneke mit- seinem Wald, die Existenzsicherung ist doch wohl wichtiger«. Weise erkannte Ministerpräsident Heinz Kühn: »Eine große Zwickmühle.«
Die Lage unter Tage, die Sicherung von mehr als 10 000 Arbeitsplätzen und das auf gleichbleibende Kohleförderung abzielende Bonner Energieprogramm, so argumentiert ein Sprecher der Ruhrkohle AG, zwinge »den Steinkohlenbergbau zum Abbau neuer Kohlenvorräte«.
Und der Haard, so beteuern die Projektplaner, solle ja auch kaum ein Baum gekrümmt werden. Die Kohle soll unterirdisch an den Rand dieser Grünzone transportiert und erst dort über bereits vorhandene Förderanlagen nach oben kommen -- »so daß es«, wie die Kohle AG hören ließ. »Halden in der Haard nicht geben wird«.
Zwar sollen an drei verschiedenen Standorten eben doch vier Schächte über tausend Meter tief in das Waldland getrieben werden, mit den dazu gehörigen Waschkauen, Parkplätzen, Belüftungsanlagen, Material- und Büroräumen. Aber da entsteht, wie ein Kohlen-Mann versichert, jeweils »doch nur ein Loch mir ein paar Gebäuden drumherum«.
Lediglich t 8 Hektar von den 50 idyllischen Quadratkilometern müßten für die Löcher und das Drumherum geopfert werden, so rechneten die Fürsprecher vor. Und lokale SPD-Leute waren erleichtert: »99,5 Prozent der jetzigen Haard bleiben erhalten.«
Die beamteten und privaten Naturfreunde des Reviers aber mögen an diese schöne Geschichte nicht glauben. Tagtäglich, so hält Ministerialrat Ludger Pielow aus dem Hause Deneke dagegen, werde »brausender Autoverkehr« auf den bereits geplanten Zufahrtstraßen die Stille zerstören. Regelmäßige Rush-hours vor und nach Schicht scheinen in der Tat unvermeidlich, wenn die knapp 4000 Bergleute durch die Seilfahrtschächte an ihre Arbeitsplätze gelangen sollen.
Denn die Forderung, nicht nur die Kohle, sondern auch die Kumpel unterirdisch vom Waldesrand aus zu transportieren, scheiterte bislang am Kalkül: Die Anfahrt unter Tage zählt bereits zur Arbeitszeit, die oberirdische mit Bus oder Auto geht auf Kosten der Beschäftigten.
Für den Rechtsanwalt Horst Ley von dem in Wattenscheid ansässigen gemeinnützigen Grünflächenverein »Pro Grün« ist mit dem Pütt-Projekt »das letzte Grün vor unserer Haustür« und damit auch ein bedeutsames Frischluftreservoir der verqualmten Emscherregion ernstlich bedroht. »Ein Verhängnis, wenn dieser Cordon sanitaire verschwinden würde.«
Überdies werden die Waldhüter den Verdacht nicht los, daß die vier kleinen Löcher die »Initialzündung für weitere Expansion« geben werden (Pielow) -- die Ansiedlung von Kohlekraftwerken etwa und einschlägigen Unternehmungen. Anwalt Ley glaubt gar: »Die Haard ist für die Industrie der Test zum Einstieg in den Naturpark Hohe Mark« -- eine Wald- und Wiesenlandschaft an der Nordflanke des Ruhrgebiets, die mit über 100 000 Hektar bis fast an die holländische Grenze reicht.
Das Test-Ergebnis scheint festzustehen. Das Oberbergamt hat gegen die Ruhrkohle-Pläne »keine grundsätzlichen Bedenken«. Und der Düsseldorfer Wirtschafts-Ministeriale Coerdt, für den ohnehin klar ist, »daß der Bergbau nach Norden wandern muß«, ist sich höchsten Wohlwollens sicher: »Der liebe Gott hat die Kohle nun mal unter die Haard gelegt.«