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PHILIPPINEN Großer Regisseur

Imelda Marcos kaufte im Exil bereits Kampfanzüge. Doch vorige Woche scheiterte ein Putschversuch von Marcos-Anhängern in Manila. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Hawaii ist nicht Elba, und der 79 Jahre alte Ferdinand Marcos ist - wenngleich er sich wohl selbst gern so sähe - ganz sicher nicht ein nachgeborener Napoleon.

Doch als der kränkelnde Ex-Diktator Mitte vergangener Woche überraschend aus seinem Exil-Heim in Honolulu verschwand und längere Zeit nicht mehr gesehen wurde, schien die Rückkehr des selbsternannten Kriegshelden und Feldherrn auf die Philippinen unmittelbar bevorzustehen: An der Spitze seiner ihm immer noch loyal ergebenen Truppe würde FM, wie er allgemein kurz genannt wird, zum Marsch auf Manila ansetzen und die Präsidentschaft erneut für sich zurückerobern.

Daheim traf man Vorsorge. In Laoag City wurden mehr als 100 Elite-Soldaten und vier Hubschrauber zur Sonderbewachung des Flughafens abgestellt. Denn dort, im Herzen seiner Heimatprovinz Ilocos Norte, würde FM landen, hieß es.

Der Bürgermeister von Cebu City verstärkte die Wachmannschaften am Flughafen und ordnete höchste Alarmbereitschaft ("red alert") an. Denn dort, in der drittgrößten Stadt der Philippinen, würde FM landen, hieß es. Erhöhte Wachsamkeit auch an der Nordküste des Landes und in den Häfen. Denn dort irgendwo, hieß es, würde Marcos mit einem U-Boot ankommen.

Zwar blieb es vorerst bei Gerüchten. Denn nach zwölf Stunden im Untergrund tauchte Marcos wieder in Honolulu auf. Er sei nur mal telephonieren gewesen, meinte er unschuldig, da bei ihm zu Hause die Leitung angezapft worden sei.

Tatsächlich aber hatte der vor elf Monaten nach einer unblutigen Revolution von den Philippinen verjagte Diktator bereits sehr konkret seinen, wie er hoffte, triumphalen Einzug in Manila vorbereitet. Bis Donnerstagabend noch wartete eine Boeing-707 in Honolulu auf ihn und seine Entourage. Er hatte das Flugzeug über den notorischen Waffenhändler Kaschoggi, einen engen Freund der Familie, von dem nicht minder notorischen libanesischen Waffenhändler Sarkis Shoghanalian gechartert.

Auffällig war auch, daß Marcos-Gattin Imelda, bekannt vor allem als Schuh-Liebhaberin (3000 Paar ließ sie bei ihrer Flucht aus Manila zurück), Mitte der Woche in einem Army-Shop in Honolulu für mehr als 2000 Dollar Schnürstiefel und Kampfanzüge verschiedener Größe kaufte - als rüste sie für den Vormarsch nach Manila.

Auf Intervention des philippinischen Generalkonsuls Tomas Gomez versagten amerikanische Behörden dem Ex-Diktator die Start-Freigabe. Nun klagt Ferdinand Marcos, er werde auf Hawaii »wie ein Gefangener behandelt«.

Das kann der Marcos-Nachfolgerin im Malacanang-Palast zu Manila, Präsidentin Corazon ("Cory") Aquino, nur recht sein, eine Heimkehr des Tyrannen hätte sie in der Tat zu fürchten.

Die persönliche Popularität Cory Aquinos ist zwar immer noch sehr hoch, aber ihrer Leistung als Regierungschefin und ihrem Kabinett steht gut jeder zweite Filipino kritisch bis ablehnend gegenüber. Vor allem in seiner Heimatprovinz Ilocos Norte kann Marcos noch auf Gefolgschaft bauen.

Schwach ist Corazon Aquino vor allem, weil »ihre Legalität als Staatsoberhaupt bezweifelt werden muß«, wie Marcos ehemaliger Vizepräsidentschaftskandidat Arturo Tolentino erklärte. Bislang versteht Frau Aquino sich als Vorsitzende einer Revolutionsregierung, gestützt auf eine seinerzeit in der Euphorie des Marcos-Sturzes nachlässig zusammengeklitterte »Freiheitsverfassung« - mehr Pamphlet denn Grundgesetz.

Erst an diesem Montag sollen die Filipinos in einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung für ihr Land, bezeichnenderweise schon allgemein »Cory-Verfassung« genannt, entscheiden. Nur eine Mehrheit gäbe der Präsidentin ein unanfechtbares Mandat für die nächsten sechs Jahre.

Die größte Bedrohung allerdings, unmittelbare Gefahr für Cory Aquinos Regime, ging von den philippinischen Streitkräften aus. Mag sein, daß es sich bei den »Loyalisten«, wie sich die Marcos-Anhänger nennen, nur um »wenige irregeleitete Elemente« handelt - so der Stabschef General Fidel Ramos, dem Cory ihr politisches Überleben zu verdanken hat.

Aber immerhin fühlten die Loyalisten sich stark genug, wiederholt nach der Macht zu greifen. Traurige Bilanz nach noch nicht einmal einem Jahr Cory-Amtszeit: sieben Staatsstreich-Versuche des Militärs, allesamt gescheitert oder schon vorab vereitelt.

Vorige Woche wurde es ernst: Rund 500 Soldaten, gelenkt von zwei Generalen, sieben Obristen und neun nachgeordneten Offizieren, starteten ihren vorerst letzten Versuch, die Macht an sich zu reißen. Sichtlich bewegt und verbittert wandte sich Corazon Aquino live übers Fernsehen an die Nation: »Es gibt eine Zeit der Aussöhnung, und es gibt eine Zeit des Rechts und der Vergeltung. Diese Zeit ist nun gekommen.«

Am Dienstagmorgen, noch vor Sonnenaufgang, hatten die Rebellen-Einheiten an mehreren Orten in der Hauptstadt Manila gleichzeitig losgeschlagen.

Eine Gruppe stürmte den Luftwaffenstützpunkt Sangley Point, nahm einen General und einen Oberst als Geiseln gefangen, wollte sich mehrerer dort stationierter Kampfhubschrauber bemächtigen. Eine Armee-Einheit unter Luftwaffenoberst Bertuldo de la Cruz griff Villamor Air Base an, stieß aber auf heftigen Widerstand.

Über 100 Soldaten schließlich fuhren auf schweren Armeelastern vor der Fernsehstation »GMA 7« auf, besetzten den Sender, nahmen 40 Menschen als Geiseln. Kommandiert wurden die Rebellen von einem Oberst Oscar Canlas.

Daraufhin umzingelten an die 2000 Polizisten und Regierungssoldaten die

Rundfunkstation, Verteidigungsminister Ileto und Stabschef Ramos begaben sich selbst zum Tatort, um mit dem Rebellenführer Canlas zu verhandeln. Der zierte sich zunächst und forderte dann eine öffentliche Pressekonferenz mit Ramos.

Am Dienstagvormittag kam unerwartete zivile Unterstützung für die Putschisten. Hunderte, schließlich Tausende Marcos-getreuer Filipinos versammelten sich vor dem Sender und riefen mit ohrenbetäubendem Geschrei nach ihrem Chef im Exil. Die aufgeputschten Massen entwurzelten mehrere Bäume, errichteten daraus Barrikaden gegen die anrückende Polizei.

Grob gemalte Plakate wurden an der Stacheldraht-bewehrten Außenmauer des Senders aufgehängt. »Cory - fahr zur Hölle« stand darauf, und »Willkommen daheim, geliebter Präsident«.

Etwa 50 zivile Marcos-Loyalisten, darunter zwei bekannte Schauspielerinnen, begehrten aus Solidarität Einlaß. Hausfrauen warfen den verschanzten Soldaten Freßpakete zu.

Am Straßenrand zertrümmerten Mädchen, sogar einige alte Frauen, Asphalt- und Mörtelbrocken zu wurfgerechter Größe: Sie bombardierten damit Cory-Fans auf der anderen Straßenseite.

Bis in den späten Nachmittag tobte die Straßenschlacht. Mehr als 20 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt in Krankenhäuser eingeliefert. Eine Frau, aus einer Kopfwunde blutend, schrie: »Marcos - wir wollen Demokratie.«

In der Dunkelheit der Nacht gelang es Polizei und Armee, die auf 20000 angeschwollene Menschenmasse mit einem Tränengas-Bombardement zu vertreiben.

Die Soldaten in »GMA 7« harrten dennoch aus, ließen sich auch durch mehrere Tränengas-Angriffe nicht vertreiben. Erst am Donnerstagnachmittag um 16 Uhr war die Welt scheinbar wieder in Ordnung:

Die Rebellen ergaben sich - nein, »wir ergeben uns nicht«, sagte ein lächelnder Oberst Canlas, »wir gliedern uns nur wieder in die Streitkräfte ein«. Er soll vor ein Kriegsgericht kommen.

Zur gleichen Zeit gab auch Ferdinand Marcos in Honolulu eine Pressekonferenz: Wortreich bestritt er, mit dem gescheiterten Putsch irgend etwas zu tun gehabt zu haben - um im gleichen Atemzug die Rebellen als »Helden« zu preisen.

»Es gibt gar keinen Zweifel daran«, bemerkte Generalkonsul Gomez, »daß Marcos hinter all den Destabilisierungsversuchen der große Regisseur ist.«

Das sieht General Fidel Ramos, Stabschef der philippinischen Streitkräfte, auch so. Dunkel warnte er, die »jüngste Krise« sei nur ein »Ablenkungsmanöver« gewesen für »eine größere, besser organisierte Operation«.

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