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UMWELT Grün abgezockt

Rechnungsprüfer und Kommunen machen Front gegen den Grünen Punkt. Das Duale System sei zu teuer und arbeite mit falschen Zahlen.
aus DER SPIEGEL 29/1997

Sammelrekord, Recyclingweltmeister, Kostenstabilisierung - bei der Vorstellung der Jahresbilanz des Dualen Systems Deutschland (DSD) schwelgte Geschäftsführer Wolfram Brück in Superlativen. Und: »Wir sind aus den roten Zahlen raus.«

Doch das kann sich bald wieder ändern. Wegen »großer Mängel in der flächendeckenden Entsorgung von Verpackungsmaterialien« will der hessische Lahn-Dill-Kreis (263 000 Einwohner) die Zusammenarbeit mit dem DSD aufkündigen. Auch in vielen anderen der restlichen 322 Landkreise hagelt es Kritik am Grünen Punkt.

»Die Verantwortlichen des Dualen Systems«, klagt Reiner Haupt, Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft im Landratsamt, »rechnen sich ihre Zahlen schön.«

Auch sechs Jahre nach Einführung des Grünen Punkts landen die zum Recycling vorgesehenen Verpackungen nicht nur in den gelben Tonnen des DSD, sondern auch in den grauen der kommunalen Abfallwirtschaft und damit auf deren Deponien - weit weg von jeder Recyclingfabrik.

Die dadurch entstehenden Mehrkosten für die Kommunen treiben die Müllgebühren in die Höhe. Die Folge: Verbraucher, die schon beim Kauf von Produkten mit dem Grünen Punkt die Entsorgung der Verpackung mitbezahlt haben, werden abermals zur Kasse gebeten.

»Wir bitten um geeignete Vorschläge«, wie dieser Mißstand abzustellen ist, schrieb Haupt im Auftrag des Landkreises an die Verantwortlichen des DSD. Denn es bestehe ein »verfassungsrechtliches Verbot einer gebührenrechtlichen Doppelbelastung« der Bürger. Sollten die entsprechenden Tips bis Mitte des Monats nicht im Landratsamt eingehen, wollen die Hessen die ihnen zusätzlich entstehenden Kosten vom DSD einfordern und eine eigene Anlage in Betrieb nehmen, in der Müll gepreßt und verbrannt werden kann.

Daß der Grüne Punkt für rote Zahlen sorgt, belegen auch neue Untersuchungen aus Sachsen-Anhalt, Berlin und dem Ruhrgebiet. In Duisburg fanden die stadteigenen Müllwerker »bis zu 20 Prozent« Fremdmüll in den eigenen Tonnen. Die Standardantwort, es handle sich um »Fehlwürfe« der Verbraucher, für deren Disziplinlosigkeit das DSD nicht verantwortlich sei, läßt Duisburgs Umweltdezernent Jürgen Christian Brandt nicht gelten: »Dann funktioniert offenbar das ganze System nicht.«

Dieser Ansicht scheinen sich die Umweltminister der Länder langsam anzunähern. Auf ihrer Konferenz vergangene Woche in Bonn machten sie die Zustimmung zu einer geplanten Novelle der Verpackungsverordnung von »Nachbesserungen« abhängig. »Der deutsche Recyclingwahn ist eine Sackgasse«, meint Hamburgs Umweltsenator Fritz Vahrenholt, »warum sollen die Bürger Joghurtbecher für den Export auswaschen?« Nicht alles, was vom DSD zu Recyclingzwecken gesammelt wird, sei sinnvoll wiederzuverwerten.

Immer wieder war Recyclingmaterial aus DSD-Beständen von dubiosen Firmen in Ländern wie Libyen, Nordkorea und Libanon »entsorgt« worden, wo es als Sondermüll verrottet.

Deshalb fordert Vahrenholt aus »ökologischen Gründen«, Kleinverpackungen ganz normal mit anderem Hausmüll zu verbrennen. Auch ökonomisch sei dies die sinnvollere Lösung - so das Ergebnis einer neuen Untersuchung des DSD durch den Hamburger Landesrechnungshof.

Mit »985 Mark pro Tonne«, kritisieren die Prüfer der Hansestadt, würde das Duale System nur für die Sammlung der sogenannten Leichtfraktion aus Milchdöschen oder Frischhaltefolien »fast das Doppelte« dessen aufwenden, was die Beseitigung des Abfalls durch die Kommunen kostet.

Darüber hinaus, monieren die Verfasser des Berichts, fehle eine »fundierte, länderübergreifende Erfolgskontrolle« bei der Müllerfassung. Die Zukunft des Grünen Punkts sei daher von seiner »wirtschaftlichen Zumutbarkeit« abhängig.

DSD-Chef Brück wertet solcherlei Kritik als versuchten »Beutezug« zugunsten »leerer Stadtkassen«.

Schützenhilfe bekommen die Hamburger vom Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft in Köln und den Abfallbehörden der Länder. Deren Untersuchungen kommen zu dem Schluß, daß der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch aller Verpackungen nicht, wie vom DSD angegeben, bei 78 Kilo, sondern fast das Doppelte beträgt.

Der Hintergrund: Die Vertreter des Dualen Systems hätten ein Interesse an niedrigen Zahlen, weil sie die vom Gesetzgeber vorgesehenen Verwertungsquoten einhalten müssen. Nur dann hat das DSD Anspruch auf die rund vier Milliarden Mark Lizenzentgelte für den Grünen Punkt.

Weil mit den realen Mengen die vorgeschriebenen Quoten nicht zu erfüllen seien, hätte das DSD beispielsweise allein im Lahn-Dill-Kreis seit 1993 »100 Millionen« für nicht erbrachte Leistungen kassiert.

Der Müllmulti verweist auf Zahlen der Wiesbadener Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung für »Privathaushalte« und »Kleingewerbe« im Auftrag der Bundesregierung. Und die Müllrebellen erhielten einen groben Brief: Weil Haupt mit »unseriösen Rechnungen an die Öffentlichkeit« gehe, müsse er »mit juristischen Konsequenzen« rechnen.

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Kostenindex der Müllabfuhr und der Entsorgung des Recyclingmülls

[GrafiktextEnde]

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